Einen goldenen Boden hatte Handwerk früher einmal. Aktuell befinden sich die Betreiber von Werkstätten, kleinen Gewerbe- und produzierenden Unternehmen auf Stadtflucht, allen Förderungen zum Trotz. Markus Kitz-Augenhammer, Vorstand der IMMOBILIENRENDITE AG, kennt den Grund: „Fast niemand tut es sich mehr an, einen Betrieb zu beantragen oder zu führen. Denn Werkstätten und Industrie sind im urbanen Raum zunehmend unerwünscht. Sie könnten laut sein und stinken. Außerdem brauchen sie Mitarbeiter mit handwerklichen Fähigkeiten. Doch die werden nirgends mehr gelehrt.“
Immer öfter würden protestierende Anrainer für nicht zu erfüllende behördliche Auflagen sorgen. Wie bei einem Wiener Hersteller von Ölbindemitteln. Das Produkt ist dafür gedacht, großflächig im Freien ausgebracht zu werden – wenn zum Beispiel eine Pipeline im Wald leckt. Doch heimische Auflagen zwingen den Betreiber zum aufwendigen Nachweis, dass nichts davon jemals ins Freie gelangt.
Wegschmeißen statt reparieren?
Dazu kommt: Selbst in Zeiten der Digitalisierung dauern Bewilligungen von Betriebsanlagen oft mehr als zwei Jahre. In dieser Phase können Unternehmer nichts produzieren. Dennoch müssen sie ihre Mitarbeiter bezahlen – auf Dauer nicht leistbar. Auch Stadt-Logistiker haben ein (Image-) Problem: Weil der Onlinehandel zulasten stationärer Flächen boomt, benötigen sie immer neue Lager und erzeugen zunehmend Verkehr. Zudem ändern sich im Jahrestakt rechtliche Rahmenbedingungen: Emissions-, Arbeitgeber-, Finanz- und EU-Vorschriften – eine unternehmerische Planung ist nicht möglich. Ein Teufelskreis mit Abwärtsspirale.
Für die letzten Betreiber von Werkstätten bedeutet all das Preise, die nicht mehr konkurrenzfähig sind. Mathias Mühlhofer, Vorstand der IMMOBLIEN-RENDITE AG: „Viele Gewerbetreibende gehen pleite. Andere wandern ins östliche oder asiatische Ausland ab. Der urbane Raum verliert damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze.“
Kein Platz für Gewerbe & Industrie
Die Verdrängung von Handwerk, Gewerbe und Industrie ist auch auf dem Immobilienmarkt sichtbar: In Wien gibt immer weniger Gewerbeobjekte. Offizielle Zahlen fehlen, doch laut Mühlhofer hat die Stadt „einen Riesenbedarf an Werkstätten und Lagern“. Die Wiener Wirtschaftskammer warnte bereits: „Der Industrie geht der Platz aus.“ Aktuell gibt es hier 2.127 Hektar gewidmete Betriebs-flächen. Doch davon sind nur mehr 140 frei – bald herrscht akuter Platzmangel. Die Folgen: Neue Betriebe können nicht ansiedeln, bestehende nicht erweitern und die Preise steigen.
Früher kosteten einfache Büros neben Werkstätten in der Stadt zwischen 8 und 10 Euro pro Quadratmeter, angeschlossene Lager zwischen 4 und 5 Euro. Heute liegt das Büro bei 16 Euro plus und das Lager bei 8 bis 12 Euro. Vor drei Jahren vermietete die IMMOBILIENRENDITE AG in Spillen bei Korneuburg eine 5.500 Quadratmeter große Halle: das Büro um 9, das Lager um 6,50 Euro. Dann kaufte ein Wiener Gewerbebetrieb das Objekte: In der Stadt konnte er nicht mehr wachsen.
Auch auf dem Land steigen die Preise. Und die Entwicklung dauert an, weiß Michael Rajtora, Vorstand der IMMOBILIENRENDITE AG: „Solange Wien so rasant weiterwächst und es kaum neue Gewerbewidmungen gibt, wird der Trend anhalten.“ Leere Büros würden schnell in Wohnraum verwandelt. Und Offices in A-Lagen rasch vermietet. „Die wegen des Home-Office-Booms erwartete Entspannung auf dem Büromarkt ist bislang nicht eingetreten.“ Das zeigt auch die volle Buchungslage bei den über 200 kleinen leistbaren Büros der IMMOBILIENRENDITE AG in Wien und im niederösterreichischen Weikersdorf: Die dortige Gewerbehalle ist sogar für Industrieproduktion gewidmet.
Ausgerechnet die Konflikte in der Welt könnten das Problem fehlender Betriebe in der Stadt nun lösen: durch das Ende der Globalisierung und die Rückübersiedlung von Handwerk, Gewerbe und Industrie. Jetzt fehlen nur noch die Flächen.