Die Wiener Stadtregierung verweist gerne auf neue Stadtentwicklungsgebiete. Doch die aktuellen waren bereits im vorigen Plan enthalten. Der ist zehn Jahre alt. Die Bundeshauptstadt hatte damals 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner weniger. Zudem lautete die Prognose, dass die Zwei-Millionen-Grenze erst binnen 15 Jahren erreicht wird. Doch Wien knackte sie in der halben Zeit. Die Stadt wächst viel schneller als vorhergesagt. Aber der Stadtentwicklungsplan blieb diesbezüglich unangetastet. Dafür sieht er massenhaft Gartenstraßen und übergeordnete Radwege vor.
Nachverdichtung statt Neuversiegelung
Laut Mathias Mühlhofer, Vorstand der IMMOBILIENRENDITE AG, liegt die Lösung in der Nachverdichtung des Bestands. „Dort, wo schon Menschen leben, wo Straßen, Kanalisation, U-Bahnen, Schulen und Kindergärten existieren, sollten weitere Menschen angesiedelt werden. Denn dafür muss keine neue Infrastruktur geschaffen oder neue Fläche versiegelt werden.“ Politisch greift das heiße Eisen derzeit allerdings niemand an, denn Nachverdichtung bedeutet, bestehende Mehrparteienhäuser zum Beispiel um zwei Stockwerke zu erweitern. Und dort, wo jetzt ein ebenerdiges Gartenhäuschen in einem Innenhof steht, bei einer Sanierung ein mehrstöckiges Objekt zuzulassen. „Das ist bei Anrainern unbeliebt und würde Proteste auslösen, weil keiner seinen Ausblick verlieren möchte“, resümiert der Sanierungsprofi. Doch Nachverdichtung wäre im Sinne von Umwelt, Mieterinnen und Mietern sowie Bauwirtschaft.
Wien ohne Plan bzw. mit einem aus den 70ern
Wiens Flächenwidmung für Bestandsobjekte stammt aus den 1970er Jahren. Hier hatte die Stadt 1,5 Millionen Einwohner und schrumpfte 40 Jahre lang, erinnert sich Markus Kitz-Augenhammer, Vorstand der IMMOBILIENRENDITE AG. „Wenn ein Haus damals drei Stockwerke hatte, wird es auch heute noch darauf beschränkt, selbst wenn links und rechts jetzt vierstöckige Gebäude stehen. Das Wachstum der Stadt wird ausgeblendet.“ Fragen Bauträgerinnen und -träger in punkto Angleichung der Höhen im Magistrat nach, erhalten sie stets eine Abfuhr. „Man wird als gieriger Spekulant abgetan, der seinen Profit maximieren will“, weiß der Makler-Experte. Dabei müsste in punkto Stadtentwicklung längst ein Umdenken stattfinden. „Die Zuziehenden können in Garten-Straßen und auf übergeordneten Radwegen leider nicht wohnen.“
Rückwidmung von Bauklassen
Ein Kuriosum erlebten das Team des auf Upcycling spezialisierten Gewerbeimmobilienunternehmens bei einem Projekt in der Wiedner Hauptstraße 112. Es wurde von vielen Jahren entwickelt, mit einer gemischten Nutzung aus Gewerbe im Erdgeschoss und Wohnungen darüber. „Inzwischen wurde die Bauklasse reduziert und es sind nur mehr zwei Geschoße erlaubt, wo aber fünf Geschoße stehen, seit 120 Jahren“, ärgert sich Mühlhofer. „Rückwidmungen sind leider kein Einzelfall.“ Dabei bräuchte die Stadt dringend Nachverdichtung.
Viel Nachfrage + wenig Angebot = hohe Preise
Die Folgen der Verunmöglichung von Nachverdichtung und Rückwidmung von Bauklassen belasten den ohnehin schon angespannten Immobilienmarkt zusätzlich. Zu viele Bewerberinnen und Bewerber prügeln sich um zu wenige Wohnungen. Das lässt die Preise im Markt in die Höhe schießen. Viele Menschen werden zur Übersiedelung in den Speckgürtel gedrängt und pendeln täglich mit dem Auto in die Stadt. Weil das aber weder im Sinne von Umwelt noch der Stadt Wien ist, fordert Kitz-Augenhammer ein Umdenken der Politik. „Wenn wir jetzt mehr Nachverdichtung im Bestand zulassen und die Rückwidmung von Bauklassen beenden, hätten wir in fünf bis zehn Jahren genügend Wohnungen, Kindergärten und Büros für alle Zuziehenden.“