Sind wir die Dummen?
Es ist DAS ewige Streitthema von Stammtischen und selbst Freundesrunden: Sind hart (und in Vollzeit) arbeitende Menschen in Österreich die Dummen, weil sie am meisten Steuern berappen müssen? 59 Prozent der von Integral Befragten schließen sich sehr oder eher dieser Meinung an, besonders Angehörige der unteren Mittelschicht (Anm.: soziale Schicht berechnet aus Haushalts-Einkommen, Bildung und Beruf). Leistung lohnt sich in Österreich also nicht mehr. Fast ebenso viele sind hingegen der konträren Ansicht. 55 Prozent möchten noch mehr Geld umverteilen, vermutlich von anderen zu ihnen selbst. Nach dem Motto, wer mehr hat, kann auch mehr zum Allgemeinwohl beitragen, in Form höherer Steuern. Beliebt ist der Ansatz vor allem bei Männern.
77 % würden Luxusgüter höher besteuern
In punkto Budgetsanierung machen die Befragten Finanzminister Marterbauer folgende Vorschläge: 77 Prozent möchten das Finanzloch durch höhere Steuern auf Luxusgüter wie Sportwagen, Kaviar und Privatjets stopfen. Zahlen sollen bitte andere, lautet die Devise, ganz besonders bei den Älteren zwischen 50 und 75, Steirerinnen und Steirern sowie Kärntnerinnen und Kärntnern. 63 Prozent wünschen sich die höhere Besteuerung von Konzernen. 62 Prozent die Mehrbelastung von Stiftungen, vor allem Menschen zwischen 50 und 75 sowie aus der stark besteuerten mittleren Mittelschicht. Und 58 Prozent träumen von einem (noch) höheren Spitzensteuersatz für Vielverdienerinnen und -Verdiener, vor allem Ältere zwischen 50 und 75.
Verpflichtende Einkommens- beziehungsweise Vermögens-Obergrenzen für Superreiche befürworten immerhin 55 Prozent, vor allem Menschen zwischen 50 und 75. Die vieldiskutierte Vermögenssteuer 51 Prozent. Und ebenso viele die Zweitwohnsitzabgabe, vor allem Männer, Tirolerinnen und Tiroler sowie Vorarlbergerinnen und Vorarlberger. Im Gegensatz dazu sind aber nur 30 Prozent für eine Erbschaftssteuer. Einen Solidaritätsbeitrag für alle Einkommen nach dem Vorbild Deutschlands wünschen sich lediglich 27 Prozent. Markus Kitz-Augenhammer, Vorstand der IMMOBILIEN-RENDITE AG: „Die Zahlen belegen, dass Neid auf Menschen, die mehr haben, in Österreich weitverbreitet ist. Statt Steuersenkungen zu fordern, um Eigentum aufbauen zu können, ruft ein Großteil der Befragten nach der einfachen Problemlösung, der Mehrbelastung anderer. Nach dem Motto, sparen ja, aber bitte nicht bei mir.“
Nur für 34 % stimmt Preis-Leistungsverhältnis des Staats
Trotz hoher Steuerbelastung betrachten aber nur 34 Prozent der Befragten Österreich als lebenswertes Land, weil das Beamtenheer seine Aufgaben gut erfülle und das Steuergeld hier gut investiert wäre, Stichwort öffentliche Schulen, geförderter Wohnbau, medizinische Versorgung, Straßen etc. Die triste Einschätzung, dass mit dem Preis-Leistungsverhältnis etwas nicht stimmt, vertreten vor allem Personen aus der unteren Mittelschicht. Die Oberschicht ist am unkritischsten. Ein Armutszeugnis für Bund, Länder und die neue Dreierkoalition, die personell zu den größten in der Geschichte der Republik zählt.
Nur was tun? Privatier werden? Das Ziel von einem Leben auf Basis passiver Einkünfte aus Zinsen, Investments und Mieteinnahmen haben 24 Prozent der Befragten, vor allem Männer, 16- bis 49-Jährige und Menschen aus der unteren Mittelschicht. Die Kapitalflucht aus Österreich und die Gründung einer Stiftung im Ausland erwägen immerhin 24 Prozent, interessanterweise vor allem Personen aus prekären Verhältnissen. Und die Auswanderung, wenn das hierzulande so weitergeht, immerhin 21 Prozent, vor allem 16- bis 29-Jährige, Menschen aus der Mittelschicht und prekären Verhältnissen. Letztere stellen sich so wohl ein finanziell sorgenfreies Leben vor.
Hingegen wünschen sich nur 17 Prozent, dass Grund- und Wohnungseigentümer jene unterstützen sollen, die nichts davon besitzen. Dieser Meinung sind verstärkt Wienerinnen und Wiener, Unter-30-Jährige sowie Personen aus prekären Verhältnissen. Michael Rajtora, Vorstand der IMMOBILIEN-RENDITE AG: „Aus den Zahlen geht eindeutig hervor, dass sich Menschen aus allen Schichten etwas aufbauen möchten, viele das aber hierzulande nicht können. Ein Auftrag an die Politik, endlich die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen.“
Alle meinen, der Mittelschicht anzugehören
Mit sozialwissenschaftlichen Methoden wurden die repräsentativ befragten Österreicherinnen und Österreicher mit Hilfe von Faktoren wie Haushaltseinkommen, Bildung und Beruf in die Gruppen Ober-, Mittel- und Unterschicht eingeteilt. Zusätzlich wurden sie nach ihrer Selbsteinschätzung befragt. Dabei sah sich fast niemand selbst als reich an (1 Prozent Selbsteinschätzung bei 10 Prozent aus der tatsächlichen Oberschicht). Der Großteil der Reichen reiht sich in die Mittelschicht ein (90 Prozent). Bei Menschen aus prekären Verhältnissen das gleiche Bild: Nur 4 Prozent der Befragten beurteilen sich als arm, doch in Wirklichkeit sind es 9 Prozent. Der Großteil der Armen (77 Prozent) sieht sich als Angehörige der Mittelschicht. Übrigens sind nur 1 Prozent der befragten Männer tatsächlich arm, aber 6 Prozent der Frauen.
Die falsche Selbsteinschätzung in punkto Geld ist für Petra Starecek, Studienleiterin von Integral, keine große Überraschung. „In den Daten sehen wir stets eine große Diskrepanz zwischen subjektiver Einschätzung und objektiver Berechnung. Viele Befragte wollen der Mittelschicht angehören, auch wenn sie sich nach objektiven Kriterien darüber oder darunter befinden.“ Auch für Mathias Mühlhofer, Vorstand der IMMOBILIENRENDITE AG, ist der kleine Selbstbetrug ein Klassiker: „Nur 9 Prozent der Angehörigen der Oberschicht sehen sich tatsächlich als Zugehörige der Klasse an. Auch umgekehrt verorten sich nur 22 Prozent der Menschen aus prekären Verhältnissen tatsächlich hier.“ Österreichs Reiche betrachten sich, im Hinblick auf Wohlhabendere, als Mittelschicht. Und Arme blicken auf noch Ärmere und reihen sich in der Mitte der Gesellschaft ein. „Hat die Umverteilung also funktioniert?“, so Mühlhofer nachdenklich, „Oder wollen sich Menschen ihre Stellung in der Gesellschaft nur nicht eingestehen?“