In der EU steht Kreislaufwirtschaft hoch im Kurs: Bauwirtschafts-Experten in Brüssel planen eine Material-Datenbank und Rohstoff-Pässe für jedes neue Gebäude. Hier werden alle Inhaltsstoffe erfasst, ebenso Anleitungen zur Demontage. Ziel ist Europas größtes Materiallager – es erspart künftig Energie-intensives Recycling oder die Deponie. Rene Kops beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Zukunft am Bau. Er ist Architekt, betreibt ein Büro mit 15 Angestellten, ist im Umbau bzw. der Sanierung tätig und im Aufsichtsrat des Upcycling-Spezialisten IMMOBILIENRENDITE AG: „Wir verbrauchen pro Jahr zwei Erden. Als Folge steuern wir auf eine große Ressourcen-Knappheit zu. Uns gehen die Rohstoffe aus. Außerdem versiegeln wir zu viel Fläche.“ Die Lösung heißt Kreislaufwirtschaft. Doch obwohl die Uhr auf 5 vor 12 steht, ist das noch Zukunftsmusik: „Nur 6,1 Prozent der eingesetzten Rohstoffe werden derzeit wiederverwertet – viel zu wenig.“
Umbau vor Abriss & Recycling
Aller Anfang ist die Erkenntnis: So wenig Neubau wie möglich. Und sparsamer Materialeinsatz. Für ein Projekt erfasst Kops gerade den Verbrauch von Fertigteilen – mit dem Ziel der Reduktion. Wie die IMMOBILIENRENDITE AG seit vielen Jahren zeigt, beginnt der Re-Use aber schon bei Bestandsgebäuden. Vorstand Mathias Mühlhofer: „Alte Objekte zu sanieren und neu zu nutzen ist immer sinnvoller als ein Abriss, die reine Wiederverwertung von Rohstoffen oder gar ein Neubau – im Sinne von Umwelt wie Geld.“ Parallel spezialisieren sich immer mehr Firmen auf den Re-Use von Baumaterial und speichernRohstoff-Daten von Bestandsobjekten. Bei älteren Objekten ist die Zerlegung in Einzelteile jedoch schwierig. Neubauten werden hingegen oft bereits für die Wiederverwertung geplant und damit zu Baustofflagern. Holland ist Österreich einen Schritt voraus: Hier bewerten Immobilienprofis beim Bau bereits die Abrisskosten von Gebäuden. Das für Re-Use geplante Material hat einen Verkaufswert und steigert die Rendite des Objekts.
Leasing-Böden, Wander- & Lehmwände
Beim Innenausbau befinden sich auch heimische Unternehmen auf Innovations-Kurs: Hersteller von gewerblichen Teppichboden-Fliesen bieten Leasing-Modelle an: Sie vermieten ihr Produkt, holen es bei einem Austausch ab und produzieren aus Altem Neues. Einen Boom erfährt auch die Wiederverwertung von Gipskarton-Wänden. Kops: „Warum immer herausreißen? Gips ist ein immer knapper werdender Rohstoff. Außerdem gibt es seit Jahren Systeme, durch die wir Wände versetzen und an anderer Stelle wieder aufbauen können. Sie haben einen Wert.“ Der Architekt realisiert ihren Re-Use bei einem Büro-Umbau für eine große Bank in der Wiener Lassallestraße: „Hier werden 90 Prozent aller Wände wiederverwertet. Das braucht mehr und intelligentere Planung, aber es funktioniert.“
Und ist nötig: Bei Naturgips, der Basis für Rigips, ist der natürliche Vorrat bald erschöpft. Dennoch gibt es laut Kops bis dato kein funktionierendes Recycling-System: „Gipskartonplatten werden mit Papier und Farbe kaschiert. Das ist bei Wiederverwertung nicht gut trennbar.“ Die Folge: Deponien gehen über – Ressourcenverschwendung. Als Alternative könnten Lehmbau-Platten zum Einsatz kommen. „Sie haben gute Eigenschaften, sind recycelbar, aber noch fehlt die Brandschutz-Zulassung.“
Wintergarten aus alten Fenstern & Ziegel aus der Baugrube
Ist Material-Re-Use unmöglich, kommt Downcycling ins Spiel: Die Wiederverwertung von Baustoffen oder Gebäudeteilen in etwas minderwertigerer Art und Weise. Beispielsweise von Fenstern aus den 80er Jahren. Sie erfüllen zwar nicht mehr die thermischen Anforderungen für einen neuen Einbau. Aber laut dem Architekten immer noch für die Realisierung eines Wintergartens. „Alles ist besser als neues Material einsetzen, altes schreddern oder gar wegwerfen.“ Die Anfänge der Kreislaufwirtschaft erlebte er Anfang der 90er bei einem Projekt in Indien. Hier wurde Lehm direkt aus der Baugrube geholt und vor Ort Ziegel hergestellt. Später landeten die Wände wieder im Kreislauf. „Ein gutes System, doch bei uns wäre das aufgrund der Kosten für Arbeitskräfte viel zu teuer.“
Baba Beton – in diesem Jahrhundert
Ein Auslaufprodukt ist auch Sand – und damit Beton. Während es in Ost-Österreich noch viele Gruben gibt, steuern wir weltweit auf eine massive Verknappung zu. Mühlhofer: „Die Auswüchse sind bereits sichtbar: In Ländern des globalen Südens verschwanden für die Betonproduktion bereits ganze Sandstrände.“ In Indien sind beispielsweise hunderte Kilometer Meeresufer für immer verloren gegangen. Wüstensand ist für die Herstellung ungeeignet. „Daher werden wir noch in diesem Jahrhundert das Ende des Betons erleben.“
Aus ökologischer Sicht ein Vorteil: Der Baustoff ist weder modular verwendbar noch recyclingfähig. Beim Schreddern entstehen Brösel – sie werden für Recycling-Beton verwendet. Materialwissenschaftler forschen aber bereits an einer Methode, die am Ende wieder Zement ausspuckt – leider ein gigantischer (Energie-) Aufwand.
Von der Steinzeit in die Zukunft
Der Zukunft gehört dem Modulbau mit Holz-oder Metallelementen – eigentlich ein Konzept aus den 70er Jahren. Aufgrund der Rohstoffknappheit wird es nun Realität: Bauteile werden modular vorgefertigt, damit sie an anderer Stelle wieder verbaut werden können. Laut Kops ist Eco-Design das Ziel: „Architektur muss neu gedacht werden.“ Baustoffe müssen demontier- und verschraubbar sein. Nichts darf mehr verklebt werden. Bei Schrauben und Rohren ist das seit Jahrzehnten gelebte Praxis. Nur bei Baustoffen gibt es – mit Ausnahme von Ziegeln – noch immer kein Recycling. „Wir bauen Häuser in Steinzeit-Technologie.“
Die Zukunft sind fixe Standards, zum Beispiel auf 2,90 Meter genormte Decken oder wiederverwertbare Modul-Fenster. Eine Einschränkung persönlicher Freiheit? Sanierungs-Profi Mühlhofer verneint: „Bei der Haustechnik, beispielsweise Kanälen, greifen wir auch auf vorfabrizierte Module zurück. Norm-Maße für nach- und neunutzbare Elemente sind für den Bau der Zukunft essenziell.“