Welche Trends hat die Corona-Krise in der Immobilienwirtschaft ausgelöst? Um diese Kernfrage drehte sich das gut einstündige Gespräch. Den Anfang macht Jochen Schenk, dessen Real I.S. Immobilien in elf Ländern auf der ganzen Welt managt. Welche verschiedenen Herausforderungen hat die Krise in den verschiedenen Ländern gebracht? Die Corona-Kernproblematik sei zwar überall dieselbe – in Österreich, Deutschland, Spanien und Frankreich bis nach Australien, sagt Schenk. Dazu kämen aber regionalspezifische Unterschiede: Während zum Beispiel Spanien massive wirtschaftliche Auswirkungen spüre und in eine Rezession schlittere, werde Australien mit seiner geringen Staatsverschuldung und seinen „vielen Reserven“ gut aus der Krise kommen, meint Jochen Schenk.
Neues Hauptthema Mietzins-Stundung
Georg Spiegelfeld wird auf den Wohnimmobilienmarkt in den europäischen Metropolen angesprochen. Corona werde „ein neues Hauptthema“ bringen, nämlich die Mietzins-Stundung; eine Diskussion, die „wohl auf dem Rücken der Vermieter ausgetragen wird“, vermutet Spiegelfeld. „Beim Geldregen, dem Wünsch-dir-was“, so Spiegelfeld, würden „sicher noch Ideen kommen, wie man die armen Mieter schützen wird“. Das werde die Branche vor Probleme stellen, „vom Makler über den kleinen privaten Vermieter bis zu den großen Fonds“. Denn, so Spiegelfelds Befürchtung, die Stundungen könnten nicht das Ende der Fahnenstange sein, „und wir wissen nicht, welche weiteren Ideen da noch kommen werden“.
Urbanisierung und Renaissance der Dorfgemeinschaft
Nikolaus Lallitsch von Raiffeisen Immobilien wird auf seine Aussage „in der Krise lebt es sich besser am Land“ angesprochen. „Wir erleben eine noch nie dagewesene Urbanisierung“, antwortet Lallitsch, aber: „Wir sehen eine Gegenbewegung aus der Stadt heraus aufs Land“. Corona habe „unsere Flügel gestutzt, und unsere Wurzeln gestärkt“ – das Credo von „noch höher, größer hinaus“, das Streben nach dem „Zehntelprozent mehr Rendite“ sei in den Hintergrund gerückt. Lallitsch sieht eine Renaissance „der Dorfgemeinschaft, der gelebten Nachbarschaft“ und führt die „niedrigeren Zäune“ im Ortsbild als Sinnbild für das gesellschaftliche Zusammenleben an.
Vitale Vermischung der Lebenswelten
Christian Farnleitner von Soravia-Gruppe wird auf den Kauf eines 12-Hektar-Geländes in Mühlheim nahe Duisburg (Deutschland) angesprochen, wo der Entwickler „neue zukunftsfähige Ideen“ realisieren wolle. Was das für Ideen sein könnten? Farnleitner antwortet: „Diese ehemalige Schokoladenfabrik ist ein besonders süßes Baby für uns“ – und spinne den „roten Faden“ von Soravia weiter, das sich der Stadtteilentwicklung verschrieben habe. Es gehe bei dem Invest um eine „vitale Vermischung verschiedener Lebenswelten“, welche „Wohnen, Bildung, Arbeit, Freizeit und Betreuung“ kombiniere. Corona führe vor allem dazu, dass „wir Wohnen und Büro anders werden denken müssen“. Das genannte Mühlheim-Projekt biete ausreichend Fläche, um die Entwicklungen (teilweise Corona-bedingt) zu beobachten und darauf zu reagieren.
Die Stadtplanung rückt das Gemeinsame in den Vordergrund
Was muss ein Stadtentwicklungsprojekt können, wenn es „gemeinsam“ und inklusiv gedacht wird, wird Jochen Schenk von Real I.S. gefragt: „Die Wege sollen kürzer werden“, antwortet Schenk. Man baue nicht mehr „irgendwo Wohnungen und weit entfernt davon Büros“, sondern achte auf die Durchmischung. In diesen „Quartieren“ solle „sehr vieles nebeneinander, und sehr vieles lebenswert“ sein. Dem gegenüber stünden viele Anforderungen und Herausforderungen seitens der Umweltverträglichkeit. Weil das – auf einzelne Bauten bezogen – teilweise unmöglich umsetzbar sei, könnten diese Auflagen „nur bezogen auf ein ganzes Quartier“ erfolgen. Dieses Dreieck – nämlich autonome Mobilität (denke selbstfahrende Busse und Autos), vermischte Nutzform, Nachhaltigkeit – werde die Städteplanung in den kommenden Jahrzehnten entscheidend prägen, meint Schenk.
Neben dem Trend zum urbanen Nutzungs-Mix plädiert Nikolaus Lallitsch von Raiffeisen für die Immobilie im ländlichen Raum: Die Stadt der Zukunft „kann kein Schwimmreifen sein – wo es innen nichts gibt und außen den Speckgürtel“. Der Trend zum ländlichen Raum müsse aber von öffentlicher Hand unterstützt werden – etwa durch gezielte Wohnbauförderung.
Welche Bedürfnisse bringt die Krise? Feiert die Klima-Nachhaltigkeit ein Comeback?
Soravia-Farnleitner denkt laut über das Thema Home Office nach, und wie Immo-Developments künftig auf Wohn- und Freiflächen Rücksicht nehmen müssen („dazu gehören auch die Kinder zuhause, das Home Schooling“). Im Development werde diese „steile Lernkurve“, bezogen etwa auf das plötzliche „Video Conferencing“, starke Nachwirkungen zeigen: Hinter der Zukunft der Großraumbüros sieht Farnleitner große Fragezeichen.
Schnellere Schritte zur Nachhaltigkeit
Georg Spiegelfeld (Spiegelfeld Immobilien) sieht Nachhaltigkeit als Thema: „Green Buildings“ seien „schon vor Corona“ auf dem Tapet gewesen; das „Klima-Thema“ sei „wirtschaftlich interessant“. Hier seien Möglichkeiten gegeben, etwa in der Dach-Photovoltaik. Dass der Gesetzgeber jetzt Schritte beschleunige, sei nicht zuletzt der Regierungsbeteiligung der Grünen zuzurechnen. „Sehr gefragt“ seien sowieso grüne Elemente in einer Wohnung – etwa Terrasse, Balkon. Der „Zug aufs Land“ werde zunehmen, prognostiziert Spiegelfeld, der von einem wahren „Run“ auf Immobilien im Waldviertel berichtet. Das „Büro der Zukunft“ bestehe lediglich aus jenen MitarbeiterInnen, die physisch „unbedingt dort sein müssen“, der Rest passiere in der Videokonferenz. „Das führt zum Drang nach größerer Wohnfläche“ und „mehr Platz“ daheim, das sei vorrangig, so Spiegelfeld.
Jochen Schenk von Real I.S. erinnert – betreffend Nachhaltigkeit und Umweltgedanken – an die „Brüsseler Mühlen“ der EU, die „trotz Corona weitermahlen“. Gerade bei den ESG-Zielen („Environment Social Governance“) habe er, Schenk, „noch nie so schnelle Regulierungsvorhaben“ aus Brüssel erlebt. Diese Gesetze und Verordnungen der EU hätten Auswirkungen auf die Immobilien-Wirtschaft in allen EU-Mitgliedsstaaten. „Wir wollen keine Umstände in 30 Jahren wie jetzt in Australien“, erinnert Schenk an den Umweltgedanken und wirft einen Blick auf die Real I.S.-KollegInnen in Sydney, die vor Corona von Buschbränden in Atem gehalten wurden.
„Die Wohnungen werden größer“, ist Christian Farnleitner von Soravia sicher; „aber das ist ein kleines Segment“. Wer als Familien-Haushalt „2.500 Euro verdient, der wird sich das nicht leisten können“. Das betreffe weniger den freifinanzierten Bereich, sondern grundsätzlich eine Corona-bedingte Änderung der Gesellschaft. Nikolaus Lallitsch pflichtet bei: „Corona hat nur sichtbar gemacht und beschleunigt“ – die Raiffeisen investiere in „green villages“ und „Smart Cities“, etwa am Beispiel Graz. „Das wird sich nicht zurückdrehen lassen“, zeigt sich Raiffeisen-Lallitsch sicher.
Dezentrale Behördenwege als Learning aus Corona
Warum müssen Ämter in, zum Beispiel, Wien oder Graz zentral erreichbar sein?, fragt die Community. Nikolaus Lallitsch von Raiffeisen meint: Es brauche einen „fairen Ausgleich der Regionen“, bezogen auf die Diskrepanz zwischen „Freizeit in der Region, Arbeit in der Stadt“. Urbanisierung führe zur Ausdünnung der Regionen – dort komme es (wegen der Alterspyramide) zu „Instandhaltungs-Rückstau, et cetera“. Es brauche hier „mehr Gerechtigkeit“, plädiert Raiffeisen-Lallitsch: „Wir fördern das Einfamilienhaus im Speckgürtel um Wien, Linz, Graz“ – wo das Geld doch viel dringender „in den Regionen“ gebraucht werde – etwa für öffentlichen Verkehr, Kultur, Breitband, Sport und Bildung. Da sei die regionale bzw. österreichische Bundesregierung gefragt, fordert Lallitsch. „Das ist doch praktikabel“, verweist der Raiffeisen-Sprecher auf die zunehmende Digitalisierung.
„Sichere“ Mieter als Schlüssel im Weg aus der Krise, und was tut sich im Einzelhandel?
Stichwort Gewerbe-Immobilien: Auf sichere Langzeit-Mieter bauen, und ihnen die Miete reduzieren? Oder den Cashflow aufrechthalten? Jochen Schenk von Real I.S. sieht darin den „Schlüssel“ aus der Corona-Krise: „Unser Risikobewusstsein ist gestiegen. Schlechte Lagen waren auf demselben Preis wie gute Lagen. Das hat sich mit Corona geändert.“ Hotels brauchen jetzt umso bessere Lage, zum Beispiel. Eine Preis-Spreize werde kommen, meint Schenk.
Christian Farnleitner von Soravia sieht es grundsätzlich ähnlich, will aber „nicht alle über einen Kamm scheren“ – weil zum Beispiel der Lebensmittelhandel sowieso niedrigere Mieten zahle. Von einem Shutdown seien – so bringt Farnleitner ein Beispiel – auch alle Einkaufszentren betroffen, die verschiedene Angebote böten. „Nicht jede Lage hat dasselbe Angebot, nicht jede Lage hat denselben Yield“, erinnert Farnleitner.
Jetzt ist die Zeit des Miteinanders – auch für Shopping-Center?
Apropos Einkaufszentren: Georg Spiegelfeld wird auf die Trends im Einzelhandel angesprochen. „70 Prozent“ der Mieter und Vermieter hätten sich in den Corona-Krisen-Verhandlungen wirtschaftlich getroffen, berichtet Spiegelfeld: „Die Gesprächskultur war gut, die Mieter haben der fairen Aufteilung der Mieten zugestimmt.“ Rechtliche Streitereien seien zu befürchten („da werden die Anwälte viel Geld verdienen“), aber insgesamt sei die Handelsbranche „ganz vernünftig miteinander umgegangen“. Die Lehre sei klar: künftige Priorität auf die Zusammenarbeit mit verlässlichen, kooperativen Mietern. Diese „neue, vernünftige Gemeinsamkeit“ sei zielführender als die „justament“-Position, schildert Spiegelfeld.
„Das Miteinander ist eine wesentliche Säule“, sagt Jochen Schenk von Real I.S. – Verhandlungen über Mietverzicht, -Reduzierungen oder -Stundungen bräuchten eine vernünftige Vorgangsweise, was zum Beispiel in Deutschland in Gesprächen mit dem Gesetzgeber passiere.
“Fair sein”
„Fair sein“, auch als Eigentümer gegenüber den MieterInnen, mahnt Nikolaus Lallitsch von Raiffeisen ein. Seine Prognose: Einkaufszentren werden es künftig schwer haben – „das sinnliche Einkaufen in den alten Ortszentren“ würde ein Comeback feiern, so Lallitsch. Und wieder die Aussage: „Corona löst keine Trends aus. Corona verstärkt Trends.“ Damit einher geht das sensorische Gefühl, „in der Innenstadt einzukehren, zu gustieren zu shoppen“ – daraus werde sich ein „sinnliches“ Bewusstsein für das Einkaufserlebnis in den Innenstädten entwickeln, erwartet Raiffeisen-Lallitsch.
„Entweder im Showroom angreifen, direkt ausprobieren – oder gleich online bestellen“, sieht Christian Farnleitner von Soravia keine gute Zukunft für die Mega-Shoppingzentren. Es brauche das physische Erlebnis, die persönliche Beratung, das Intime. Anonymes Massen-Shopping in Einkaufszentren könne das nicht bieten; und wer billig einkaufen wolle, weiche sowieso auf das Web aus. „Der Einzelhandel weiß das“, so Farnleitner.
„Logistik-Center verbunden mit Entertainment“, sieht Jochen Schenk von Real I.S. die Zukunft von Einkaufscentern. „Click-and-Collect“, verbunden mit Gastro und Entertainment könnte eine Antwort auf die Funktionslösung der Zukunft sein. Auch Online-Händler gehen in die Richtung „Anfassen und Ansehen“, um ihren Kundinnen und Kunden einen physischen Kontakt mit der Ware zu ermöglichen.
So sehen die Experten die Zukunft
Noch während die Live-Debatte passiert, geben die vielen hundert Userinnen und User im ImmoLive-Talk Antworten auf die Umfrage: Was wird die Immo-Branche nach Corona am meisten bewegen? Die Top-Drei-Antworten: Büroflächen, Arbeitswelt und Digitalisierung.
Jochen Schenk von Real I.S. stößt in dieses Horn: Bei Steuerfragen und Online-Handelsriesen wache die EU gerade auf, und lasse sich nicht von einzelnen Produktionsstandorten abhängig machen. „Wir müssen in der EU aufräumen, und Schluss mit Niedrigsteuergebieten wie Luxemburg und Irland.“
Christian Farnleitner von Soravia entgegnet, „so einfach ist es nicht“ – es werde schlichtweg nicht funktionieren, auf supranationaler Ebene in die Steuerhoheit der einzelnen EU-Länder einzugreifen. „Was wir tun können“, so Farnleitner, „ist: bei unseren lokalen Händlern einkaufen. Dann bleibt die Kaufkraft in Österreich.“
Die spannendste Entwicklung durch Corona
Eine Abschluss-Runde durch die Experten im ImmoLive Talk: Was sind die spannendsten Erkenntnisse aus der Corona-Krise?
Jochen Schenk von Real I.S. sieht „in allen Bereichen“ eine Beschleunigung von Entscheidungen, auch begründet durch das „schnelle“ Home Office für alle Beteiligten – bis hin zu den Banken. Auch die „sonst schwierigen“ Aufsichtsbehörden hätten da mitgezogen.
Georg Spiegelfeld meint: Die technischen Entwicklungen von Home Office, „Zoom“-Konferenzen und Co. bräuchten noch Feinschliff – da habe nicht alles reibungslos funktioniert. Der zwischenmenschliche Umgang – vom Arbeitgeber zum Mitarbeiter, vom Dienstleister zum Kunden – habe insgesamt doch gut funkioniert, „was mir sehr imponiert hat“, wie Spiegelfeld sagt.
Christian Farnleitner von Soravia sieht in der Corona-Krise „eine Chance, das Leben und Tun und Miteinander-Wirken neu zu denken“.
Nikolaus Lallitsch von Raiffeisen unterstreicht „das Tempo, mit dem viele Dinge auf einmal möglich geworden sind“. „Beeindruckend“ seien auch „Ermunterung und Ermutigung“ gewesen – wenn die Gesellschaft auch nach der Krise so zusammenhalte, brauche sich niemand zu fürchten.
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Wie versteuern wir Industrie, Produktion und Online-Handel nach Corona?
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