Zu den Unsicherheiten gehören die weiterhin hohe Inflation, steigende Zinsen sowie ein Mangel an Fremd- und Eigenkapital für die Refinanzierung bestehender Investments
Aufgrund zu vieler Unwägbarkeiten und eines unsicheren Ausblicks ist die Marktliquidität sehr gering
Mangelnde Fremdfinanzierung für Neu- und Umbauten, so dass aufgrund der hohen Inflation und Baukosten der Fortschritt bei der ESG-Agenda sowie der Umnutzung bestehender Gebäude gefährdet wird
Büroimmobilienmarkt befindet sich in einer Phase des Umbruchs, die zum Teil als
„ähnlich wie im Einzelhandel“ beschrieben wird
Nach Angaben der globalen Branchenführer ist der Ausblick für die Immobilienbranche durch erhebliche Unsicherheiten geprägt, die durch weiter steigende Zinsen und den Mangel an verfügbarem Fremd- und Eigenkapital verursacht werden. Dies führt zu einer geringen Liquidität, Bedenken bezüglich der Refinanzierung laufender Darlehen und einer insgesamt abwartenden Haltung der Branche. Eine Schlüsselfrage ist, ob ein Mietwachstum vor dem Hintergrund einer stagnierenden Wirtschaft, eines sich abkühlenden Konsumklimas, eines anhaltenden Strukturwandels und eines steigenden Investitionsbedarfs realisierbar ist.
Die Folgen der Geldpolitik der Zentralbanken und der steigenden langfristigen Zinssätze werden sich erst noch in vollem Umfang zeigen, aber der Rückzug institutioneller und privater Anleger aus Fonds beunruhigt die Immobilienbranche. Bei den institutionellen Anlegern ist der Rückzug teilweise eine Reaktion darauf, dass in ihren Portfolien die Aktienkurse sinken und demnach die Immobilienquote zu hoch ist.
Das größte Hindernis für den Abschluss von Transaktionen in diesem Jahr ist die Preisfindung. Haupttreiber dafür ist die Ungewissheit darüber, wo und wann sich die Zinssätze einpendeln werden. Die Preise für Logistikimmobilien hingegen scheinen sich auf den wichtigsten Märkten weitgehend stabilisiert zu haben und die Hoffnung, dass die langfristigen strukturellen Veränderungen im Einzelhandel nun eingepreist sind, wächst. Auf den Büroimmobilienmärkten aber besteht weiterhin große Unsicherheit.
Die Fremdfinanzierung ist ein wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden Investitionsmarktes. Die Banken verhalten sich jedoch abwartend, und es wird sich zeigen, ob andere Kreditgeber die Gelegenheit nutzen, die Finanzierungslücke zu schließen. Finanzierungen für Neu- und Umbauten sind knapp, da hohe Baukosten, anhaltender Arbeitskräftemangel und eine unsichere Nutzernachfrage für die meisten Banken ein zu großes Risiko darstellen. Da laufende Kredite refinanziert werden, ist eine Notlage vom Ausmaß der globalen Finanzkrise nicht zu erwarten. Viele Investoren werden die Auswirkungen aber durchaus bei neuen Konditionen spüren. Gleichzeitig besteht ein enormer Bedarf an der Transformation von Objekten und einer Beschleunigung der ESG- Agenda, nicht zuletzt, um Gebäude weiterhin vermietbar zu halten. Dies bringt die Branche in eine schwierige Lage, da es eventuell nicht mehr möglich ist, Modernisierungen und Investitionen aufzuschieben.
Vor diesen Herausforderungen steht vor allem der Büroimmobilienmarkt. Es verstärkt sich der Eindruck, dass dem Sektor ähnliche Umwälzungen bevorstehen wie dem Einzelhandel. Die meisten Branchenführer gehen davon aus, dass die Vermietung von Büroflächen tendenziell rückläufig sein wird. Zudem sind sie fest von einer Trennung zwischen Premium- und Sekundärstandard, ESG- konformen und nicht ESG-konformen Immobilien überzeugt. Der Einzelhandel selbst sendet ermutigende Signale aus. Investmentmanager stellen eine starke operative Performance in ihren Einzelhandelsportfolios in den USA und Europa fest, und zwar nicht nur in den relativ widerstandsfähigen Teilsektoren wie Verbrauchermärkten, Lebensmittelgeschäften und Fachmarktzentren.
Wohneigentum ist für immer mehr Menschen nach wie vor nicht finanzierbar, auch wenn steigende Zinssätze die Nachfrage gedämpft und den Anstieg der Wohnungspreise auf einigen Märkten abgekühlt haben. Das weit verbreitete Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hat zu einer Umverteilung von Kapital geführt, wodurch der Wohnungs- den Bürosektor überholt hat und seit der Pandemie der größte Immobiliensektor nach Transaktionsvolumen ist. Der in den letzten Jahren zu beobachtende Trend setzt sich fort: Investoren fokussieren sich zunehmend auf verschiedene Arten von Wohnimmobilien, sowohl unter dem Gesichtspunkt eines attraktiven Risiko-Rendite-Verhältnisses als auch unter dem Aspekt der sozialen Wirkung. Die aktuellen Marktbedingungen unterstützen eine Konzentration auf defensivere Immobilientypen mit zuverlässigeren laufenden Erträgen, darunter Mehrfamilienhäuser, Seniorenwohnungen und Studentenapartments.
Der Bericht stellt ein geringes, jedoch wachsendes Interesse an der Bepreisung von CO2-Emissionen als treibende Kraft der Dekarbonisierung fest. Die Berücksichtigung von CO2-Emissionen als Kosten soll eine wichtige Steuerungsfunktion in Immobilienunternehmen entfalten. Die von den Regierungen erhobenen CO2-Steuern sind in der Regel zu niedrig, um eine Änderung zu bewirken, während die von den Unternehmen selbst festgelegten CO2-Preise in der Regel höher sind und sich in Europa auf etwa 90 Euro pro Tonne belaufen.
Lisette van Doorn, CEO des ULI Europe: „Die Verantwortlichen in der Immobilienbranche stellen sich auf die voraussichtlich länger anhaltenden höheren Zinssätze ein und müssen eine neue Normalität mit höheren Finanzierungskosten und minimalem Kapitalwachstum akzeptieren. Der Erfolg
- Betriebsführung und Mietwachstum - hängt davon ab, dass die Investments zweckmäßig und ESG- konform sind. Die Branche kann nicht länger abwarten und hoffen, dass die Bau- und Finanzierungskosten sinken, denn die Nutzer werden ihre Gesamtkosten bei der Erneuerung des Mietvertrags kritisch überprüfen. Die Anpassung an ihre Flächen- und ESG-Strategien ist entscheidend: Wird nicht gehandelt, kann dies sehr bald zu einem Verlust von Mieteinnahmen führen.“
Gareth Lewis, ETRE Leader und Director bei PwC: „Rücknahmeanträge bei Offenen Fonds deuten auf Zweifel an den aktuellen Bewertungen von Privatimmobilien hin und spiegeln eine Diskrepanz zwischen den öffentlichen Märkten und privaten Immobilien wider. Das geringe Tempo, mit welchem Immobilien im Vergleich zu Aktien und Anleihen neu bewertet werden, stellt institutionelle Anleger vor allem in den USA, Europa und Australien vor ein Problem. Dieser Effekt bringt einige Investoren sehr nahe an ihre Obergrenze für Immobilienbestände heran und könnte eine wichtige Investitionsquelle für den Sektor beeinträchtigen.“
Thomas Veith, Global Real Estate Leader bei PwC: „Die Polykrise stellt unsere Industrie vor bisher nicht erlebte Herausforderungen, bietet aber auch die einmalige Chance viele Dinge neu zu denken. Wenn die etablierten Marktteilnehmer diese Chance nicht ergreifen, werden einige von jungen und mutigen Marktteilnehmern schnell überholt werden. Ein Kompass für die ESG- und Digital- Transformation ist dafür notwendig.“