Anlässlich der Überarbeitung der Wiener Bauordnung sowie der bevorstehenden OIB-Richtlinie 7 haben sich sieben führende Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft erstmals zusammengeschlossen, um gemeinsam „Mindestanforderungen“ für mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu formulieren. Das Ergebnis: Ein 6-Punkte-Plan für die verstärkte Integration ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitskriterien sowie die schnellstmögliche Umsetzung des digitalen Akts und der digitalen Baueinreichung. Das Dokument wurde bereits an die Verwaltung übergeben und sehr positiv aufgenommen.
„Wir möchten die Überarbeitung der Wiener Bauordnung zum Anlass nehmen, nachdrücklich zu vermitteln, dass nachhaltiges und digitales Planen, Errichten und Betreiben im Baurecht bzw. in den Bauordnungen noch stärker verankert werden muss,“ betont Wolfgang Kradischnig, Sprecher der gemeinsamen Aktion, bei der offiziellen Übergabe des Dokuments an die Stadt Wien.
Die teilnehmenden Verbände IG Lebenszyklus Bau, Digital Findet Stadt, Facility Management Austria (FMA), Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI), Vereinigung Industrieller Bauunternehmungen Österreichs (VIBÖ), Österreichische Bautechnik Vereinigung (ÖBV) und Vereinigung Österreichischer Projektentwickler (VÖPE) vertreten Unternehmen und Institutionen aus den Bereichen Planung, Errichtung, Finanzierung sowie Betrieb von Gebäuden und Infrastruktur und stehen für eine nachhaltige und digitale Bau- und Immobilienwirtschaft in Österreich.
Der 6-Punkte-Plan wurde in einem gemeinsamen Arbeitsprozess erstellt und stellt die Grundlage für vertiefende Diskussionen und die Erarbeitung konkreter Umsetzungsvorschläge dar. Mit der Wiener Bauordnungsnovelle 2023 und der OIB-Richtlinie 7 sind jetzt starke rechtliche Hebel in der Pipeline, mit denen dieser Punkte-Plan umgesetzt werden kann.
„Es geht uns auch darum, mit der gemeinsamen Veröffentlichung zu zeigen, dass die Einhaltung gewisser Mindestanforderungen in Punkto Nachhaltigkeit und Digitalisierung ein absolut zentrales Anliegen aller Unternehmen ist, die wir als Verbände vertreten,“ ergänzt Kradischnig.
In den folgenden sechs Punkten wurde zunächst der Ist- und anschließend der Soll-Zustand beschrieben.
1. Realistische Kosten- und Terminziele
Aktuell werden bei Projekten oftmals Budgets vorgegeben, mit deren Umsetzung nachhaltige und lebenszyklusorientierte Projekte nicht realisierbar sind.
In einem Verifikationsprozess mit neutralen Fachexpert:innen müssen die Projektziele vor dem Vorentwurf evaluiert und den Anforderungen entsprechende Budget- und Terminziele im Sinne nachhaltiger und lebenszyklusorientierter Projekte entwickelt werden.
2. Klare Rahmenbedingungen für Bestandssanierungen
Es fehlen klare Rahmenbedingungen für umfassende Bestandssanierungen.
Der Ausstieg aus fossilen Heizsystemen sowie die umfassende Gebäudesanierung müssen in der Wiener Bauordnung klar formuliert werden.
3. Ausweitung beim Schutz von Gebäuden
Gebäude werden oftmals abgerissen, obwohl es im Lebenszyklus nachhaltiger wäre, sie zu sanieren.
Der Schutz von Bestandsimmobilien muss auf alle Gebäude ausgeweitet werden, bei denen zum Beispiel eine Einhaltung der EU-Taxonomie-Vorgaben mit verträglichen Mitteln erreicht werden könnte. Die Verträglichkeit – vergleichbar mit der technischen Abbruchreife in Schutzzonen – wäre noch zu definieren.
4. Digitaler Gebäudepass bei allen Neubauten und Sanierungen
Bestandsgebäude sind derzeit unzureichend dokumentiert. Dies erschwert die Voraussetzungen für eine Umsetzung der Kreislaufwirtschaft.
Der digitale Gebäudepass muss für alle Neubauten und Sanierungen in der Wiener Bauordnung verpflichtend eingeführt werden. Die konkrete Vorgabe für die Detaillierung des Gebäudepasses soll von der Behörde festgelegt werden. Jedenfalls muss er Angaben zu Umweltauswirkungen, Rückbaubarkeit, Wiederverwendung- und Recyclingpotential beinhalten. Es sollte ein standardisierter Wiederverwertungsgrad für Neubau, zum Beispiel von mindestens 30 Prozent des eingebauten Materials (bezogen auf die Tragstruktur, Gebäudehülle und Innenausbau), vorhanden sein.
5. Lebenszykluskostenberechnung verpflichtend vorschreiben
Lebenszykluskosten werden derzeit bei der Planung nicht oder unzureichend berücksichtigt.
Bei der Einreichung ist eine von einer oder einem entsprechend qualifizierten Fachexpert:in erstellte standardisierte Lebenszykluskostenberechnung zur Orientierung über die Folgekosten für Gebäude vorzulegen.
6. Verankerung digitaler Bauverfahren
Derzeit ist nicht bekannt, bis zu welchem Zeitpunkt das Digitalisierungs-Projekt BRISE-Modell (Building Regulations Information for Submission Envolvement) der Stadt Wien auf alle Bauwerber ausgerollt wird.
Das digitale Bauverfahren muss schnellstmöglich durch Zurverfügungstellen von personellen und finanziellen Ressourcen bei den relevanten Magistratsabteilungen ausgerollt werden. Die digitale Einreichung ist daher auch in der aktuell verhandelten Novelle der Wiener Bauordnung zu verankern.
Ein digitales Verfahren darf dabei nicht zu höherer Prüfdichte als derzeit und damit zu einem Mehraufwand bei Planern und Bauherren führen. Alle Elemente des digitalen Bauverfahrens, bei denen der Schutz geistigen Eigentums Dritter oder der Datenschutz dem nicht entgegensteht, sollen zudem öffentlich verfügbar gemacht werden (Open Source, Open Data), um eine laufende Weiterentwicklung und Verbesserung zu erleichtern.
Statements der teilnehmenden Verbände
Wolfgang Kradischnig, Sprecher der IG Lebenszyklus Bau (www.ig-lebenszyklus.at)
„Projekte müssen für alle Beteiligten erfolgreich sein und eine langfristige, tragfähige Kultur der Zusammenarbeit ermöglichen.“
Peter Engert, Geschäftsführer der ÖGNI (www.oegni.at)
„Die dringende Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien, EU-Taxonomie und ESG braucht seitens des Regulativs einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen, die wir mit obigen Vorschlägen vorerst abgedeckt sehen.“
Sebastian Beiglböck, Geschäftsführer der VÖPE (www.voepe.at)
„Digitale Bauverfahren bieten Erleichterungen für alle Akteure und Voraussetzungen für eine nachhaltige und lebenszyklusorientierte Planung, Errichtung und Bewirtschaftung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.“
Steffen Robbi, Geschäftsführer von Digital Findet Stadt (www.digitalfindetstadt.at)
„Im Hinblick auf das zukünftig verpflichtende ESG-Reporting ist die Rolle von BIM als einer der wichtigsten Datenspeicher und Träger für Kriterien zum Nachweis kreislauffähigen Bauens nicht zu unterschätzen.“
Michael Pauser, Geschäftsführer der Österreichischen Bautechnik Vereinigung (ÖBV) (www.oebv.at)
„Es fehlen klare Rahmenbedingungen für umfassende Bestandssanierungen, die über den Ausstieg aus fossilen Heizsystemen hinausgehen.“
Mikis Waschl, Präsident der IFMA Austria (FMA I IFMA Austria) (www.fma.or.at)
„Die Überarbeitung der Bauordnung ist eine seltene Gelegenheit, zwei wesentlichen Themen unserer Zeit, der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit, eine angemessene und auch verbindliche Grundlage für Wertschöpfungsbereiche und -phasen eines Bauwerks zu geben.“
Matthias Wohlgemuth, Geschäftsführer der Vereinigung Industrieller Bauunternehmungen Österreichs (VIBÖ) (www.viboe.at)
„Die Novelle der Wiener Bauordnung bietet die Gelegenheit, den Hebel bei der Weiterentwicklung der Digitalisierung anzusetzen und damit sowohl Verfahrenseffizienz – Stichwort BRISE – als auch Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft zu verbessern.“