Wie bereits die Presse in ihrer Ausgabe vom 09.02.2023 berichtete, fordern die Kammern der Ziviltechniker:innen sofortige Maßnahmen, um diesem Trend entgegen zu wirken.
„Investoren sehen derzeit keine Veranlassung ein Gebäude, das vor 1945 erbaut wurde, zu sanieren, wenn sie später keine entsprechenden Mieten dafür verlangen können. Aus Sicht der Architekt:innen und Zivilingenieur:innen ist es aber unerlässlich, Abbrüche von funktional und qualitativ hochwertigen Altbauten zu vermeiden und verstärkt in Sanierungskonzepte und innovative Planung zu investieren, um Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen“, zeigt sich Architekt und Bundeskammerpräsident Daniel Fügenschuh besorgt.
20 Jahren nach Errichtung: Entweder Sanierung oder Mietpreisdeckel!
Die ZT-Kammer fordert daher eine Neugestaltung des Richtwertgesetzes. Nicht das Alter eines Gebäudes ist entscheidend, sondern die Umwelt- und Lebensqualität, die es schafft. Sämtliche Gebäude sollen spätestens nach 20 Jahren ihrer Errichtung unter den Mietpreisdeckel fallen, sofern keine thermisch-energetische sowie architektonisch wertvolle Sanierung des Bestandes vorgenommen wurde. Das bedeutet, dass der Richtwertmietzinses auch auf derzeit entstehende Gebäude Anwendung finden soll, sofern diese nach 20 Jahren der Errichtung, weder architektonisch noch thermisch-energetisch saniert wurden. Denn lt. einer Studie der Universität für angewandte Kunst haben selbst Neubauten, die vor 20 Jahren errichtet wurden, einen doppelt so hohen Energiebedarf wie Altbauten nach einer größeren Renovierung lt. geltender Rechtslage.[1]
Einerseits soll ein Anreiz entstehen auch Gebäude zu sanieren, die nicht als Altbauten eingestuft werden, aber mitunter eine schlechtere energetische oder auch architektonische Qualität aufweisen. Andererseits soll Eigentümern von Altbauten der Anreiz genommen werden, auf einen lukrativeren Neubau zu spekulieren und Altbauten abzureißen. Dabei bleibt es den Eigentümern selbst überlassen, ob sie durch eine Sanierung den Richtwertmietzins verhindern wollen oder nicht.
Bernhard Sommer, Architekt und Länderkammerpräsident für Wien, Niederösterreich und Burgenland sieht dringenden Handlungsbedarf: „Der Gebäudesektor spielt in der CO2-Bilanz Österreichs eine wesentliche Rolle, nicht nur wegen der Nutzenergie, sondern auch hinsichtlich der verbauten Energie. Diese sogenannte ‚Graue Energie‘ hat bei Neubauten mitunter dieselbe klimaschädliche Wirkung, wie der Betrieb solcher Gebäude über 30 Jahre. Abbrüche von Gebäuden müssen daher in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden. Es braucht endlich eine umfassende, klimafreundliche, vor allem aber zwischen Bund, Ländern und Gemeinde abgestimmte Strategie im Wohnbausektor“, warnt Sommer und verweist dabei auf Hindernisse bei Sanierungsanstrengungen, die sich aus der Flächenwidmung und baurechtlichen Bestimmungen ergeben können.
Ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen stammt aus dem Gebäudesektor, wie der
Österreichische Klimafonds in seinem „Brennpunkt Gebäudesektor“ veröffentlicht[2]. Auch das Bundesumweltamt zählt den Gebäude-Sektor zu einem von mehreren Treibhausgasverursachern[3] und ein UN-Bericht aus dem Jahr 2020 sieht dessen Anteil weltweit bereits bei 38 Prozent[4].
„Durch eine energetische und architektonisch bestmöglich durchgeführte Sanierung eines Gebäudes werden im Schnitt 80% der Energiekosten reduziert. Durch eine Umstellung auf umweltfreundlichere Heizsysteme kann der CO2-Ausstoß deutlich gesenkt und die Restnutzungsdauer der Immobilie verlängert werden“, betont Bundeskammerpräsident Fügenschuh.
Eigentümer können dadurch auch weitere Wohnräume gewinnen: „Beispielsweise werden im Zuge solcher Maßnahmen neue Räume durch den Ausbau von Dachgeschossen oder durch das Neuorganisieren von Grundrissen erschlossen“, so Fügenschuh. Auch für Städte bietet diese Maßnahme raumplanerischen Nutzen: Wenn ganze Wohnquartiere derart nachgerüstet werden und dabei sorgfältig im Bestand geplant wird, so entsteht „eine Stadt in der Stadt“, da mehr Fläche geschaffen und die Lebensqualität in der Stadt angehoben wird. Beispielsweise könnten höhere Förderungen für Sanierungen ausgeschüttet werden, wenn eine gezielte Verbesserung des Freiraumes vorgenommen wird. Eine solche Maßnahme rentiert sich gleich doppelt für Eigentümer: Sie erhalten insgesamt mehr Zuschüsse und profitieren von einer Steigerung der Lebensqualität innerhalb einer Region oder eines Wohnquartiers und um ihre Liegenschaft. Für Mieterinnen und Mieter wird diese Maßnahme Entlastung in teuerungsbedingten Krisenzeiten verursachen: Der Mietpreisdeckel würde somit auch auf Bauten, die nach 1945 erbaut wurden, ausgedehnt. Wenn eine umfassende Sanierung stattfindet und das Gebäude dadurch vom Mietpreisdeckel wieder ausgenommen wird, profitieren die Mieter:innen von der Modernisierung den deutlich geringeren Energiekosten. „Für Altbauten müsste man bei Entfall oder Anhebung des Richtwertes allerdings Wege der sozialen Abfederung finden, um eine Gentrifizierung zu vermieden. Hier haben die Länder zB mit ihren Wohnbauförderungsmodellen eine hohe Kompetenz und Erfahrung. Eine Änderung des Richtwertgesetzes bedingt also eine gleichzeitige Anpassung von Ländergesetzen und Fördermodellen“, ergänzt Sommer. Um die Klimaziele Österreichs bis 2050 erreichen zu können, braucht es laut TU Wien eine Sanierungsrate von etwa 14,2%[5]. „Die aktuelle Sanierungsrate Österreichs von 1,5 Prozent schreit geradezu nach drastischen Maßnahmen. Daher muss dringend sichergestellt werden, dass die finanziellen Anreize für das Durchführen thermisch-energetischer Sanierungen deutlich aufgestockt und unbürokratisch zu Verfügung gestellt werden. Der Sanierungsscheck erweist sich dabei als guter Hebel, aber es müssen deutlich mehr finanzielle Mittel hineinfließen“, warnt Länderkammervizepräsident Peter Bauer.
Begleitmaßnahme: Förderdschungel entwirren
Da dieses Vorhaben ausschließlich über relevante Förderungen möglich sein wird, ist es aus Sicht der Ziviltechniker:innen unerlässlich, den aktuellen Förderdschungel zu entwirren. Sie fordern klare Förder-Richtlinien, aufgeteilt in Förderungen, die vor Sanierung und jene die nach Sanierungen beantragt werden können, sodass mehr Klarheit über die Möglichkeit der Bezuschussung durch öffentliche Gelder entsteht. Eine Aufstockung der Fördermittel hat natürlich nur dann Sinn, wenn die Gelder auch ohne Erschwernisse durch Bürokratie und weitere Hürden abgeholt werden können.
11,51 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle
Laut Statistik Austria verzeichnet Österreich die höchste Wohnbautätigkeit seit Beginn der 1980er-Jahre: Mit den 2021 fertiggestellten rund 24 200 neuen Gebäuden wurde eine Fläche von ca. 595 ha überbaut, das entspricht etwa 834 Fußballfeldern[6].
„Mindestens 834 Fußballfelder wurden allein 2021 überbaut. Das heißt, wir haben etliche Tonnen von Materialien samt deren spätere Entsorgung unnötigerweise verbraucht. Gezielte Sanierung sowie sorgfältig geplante Nachverdichtung sind die zeitgemäßen Werkzeuge im Kampf um unser Klima. Die Erhaltung von Gebäuden darf sich dabei aber nicht auf einen kleinen Teil von repräsentativen Denkmälern beschränken, sondern muss den gesamten Baubestand umfassen.“, betont Vizepräsident Peter Bauer.
Auch der Statusbericht zur Bestandsaufnahme der Abfallwirtschaft in Österreich aus dem Jahr 2021 hält fest, dass seit dem Bundesabfallwirtschaftsplan 2017[7] (Basisjahr 2015) das Aufkommen der Bau- und Abbruchabfälle um rund 15% angestiegen ist und 2019 rund 11,51 Mio. Tonnen betrug.[8] Dies entspricht 16,1 Prozent Anteil am Gesamtabfallaufkommen 2019[9].
Heute, wo die Klimaerwärmung spürbar, die Energieversorgung unsicher und die planetaren Grenzen erreicht sind und vor dem Hintergrund der steigenden Zahlen im Bereich der Abfallwirtschaft, ist nicht der Erhalt von Gebäudestrukturen erklärungsbedürftig, sondern ihr Abriss. Die drei Vertreter der Länder- und der Bundeskammer sind sich darin einig, dass der Gebäudebestand selbst zur wichtigsten Ressource für die klimafreundliche Stadt der Zukunft werden wird. Die historische entstandene Gesetzeslage wird dem aber nicht gerecht und muss in einer gemeinsamen Anstrengung umsichtig, aber umgehend angepasst werden.
Interviewpartner:
Architekt Dipl.-Ing. Daniel Fügenschuh | Präsident der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen
Univ.-Ass. Architekt Dipl.-Ing. Bernhard Sommer | Präsident der Länderkammer der Ziviltechniker:innen für Wien.Niederösterreich.Burgenland
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Peter Bauer | Vizepräsident der Länderkammer der Ziviltechniker:innen für Wien.Niederösterreich.Burgenland
[1] Endbericht zum Forschungsvorhaben Entwicklung einer strukturierten und fehlerminimierten Datenaufbereitung und Dokumentation für Energieausweise: https://nachhaltigwirtschaften.at/de/sdz/projekte/eden-entwicklung-einer-strukturierten-und-fehlerminimierten-datenaufbereitung-und-dokumentation-fuer-energieausweise.php
[2] https://www.klimafonds.gv.at/press/brennpunkt-gebaeudesektor-nachhaltig-bauen-und-leistbar-wohnen-ist-kein-widerspruch/
[3] https://www.umweltbundesamt.at/klima/treibhausgase
[4] https://science.orf.at/stories/3203591/; https://drive.google.com/file/d/1k2X0oASPl-RUsi90RdKLMkrBfalv29yW/view
[5] Kurzfassung: TU-Studie „Thermisch-energetische Sanierung und Modernisierung in Österreich“, file:///C:/Users/cl/Downloads/TU-Studie_Gebaeudesanierung_Oesterreich_Kurzfassung.pdf
[6] https://www.statistik.at/fileadmin/shared/IV/Zsp_11_22_Internet.pdf
[7] https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/abfall/aws/bundes_awp/bawp.html
[8] https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:04ca87f4-fd7f-4f16-81ec-57fca79354a0/BAWP_Statusbericht2021.pdf
[9] https://www.bmk.gv.at/dam/jcr:04ca87f4-fd7f-4f16-81ec-57fca79354a0/BAWP_Statusbericht2021.pdf