Die Erwartung der Immobilienbranche, nach weitgehender Überwindung der Pandemie wieder in ein etwas ruhigeres Fahrwasser zurückzukehren, hat sich wie die der europäischen Wirtschaft insgesamt nicht erfüllt. Die Auswirkungen der Ukrainekrise auf Konjunktur und Finanzmärkte sind die beherrschenden Gesprächsthemen bei der ExpoReal, der größten Immobilienmesse im deutschsprachigen Raum. Dabei herrscht keine Krisenstimmung, sondern „Warten wir einmal ab“, ist der Tenor bei den mehr als 19.000 Messeteilnehmern. Immobilien seien gerade in Krisen immer der gesuchte „sichere Hafen“ gewesen und letzten Endes werde das auch für die aktuelle Situation gelten.
Sicherheit steht im Mittelpunkt
„Abwarten wird in den kommenden Monaten auf Grund der vielen Unwägbarkeiten zur präferierten Strategie der Investoren“, fasst Michael Ehlmaier, Geschäftsführender Gesellschafter von EHL Immobilien, die aktuelle Situation zusammen. „Der Herausforderung durch die die steigenden Zinsen stehen positive Faktoren wie die auf Grund der Inflationsentwicklung stark gestiegenen Mieten gegenüber, von denen Immobilien noch mehr als alle anderen Sachwerte profitieren. Insbesondere für langfristig orientierte und solide finanzierte Investoren bietet die Gesamtsituation daher auch interessante Perspektiven. Daher sind ESG-konforme Objekte in sehr guten Lagen und mit möglichst langfristig gesicherten Erträgen weiterhin sehr stark gefragt. Der Großteil unserer internationalen Gesprächspartner sieht daher mittelfristig mehr Chancen als Risiken für die Immobilienmärkte. Die Unwägbarkeiten der nächsten Monate bewirken aber, dass Entscheidungsprozesse derzeit überwiegend länger dauern. Das Motto lautet, „im Zweifel eher etwas abwarten als etwas übers Knie zu brechen.“
Investment: An ESG führt kein Weg mehr vorbei
Neben der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind Nachhaltigkeitsfragen heuer das große Thema für Investoren auf der Expo: „Immobilieninvestitionen sind ihrer Natur nach langfristig, daher darf und kann das aktuell herausfordernde Umfeld nicht dazu führen, dass wichtige strategische Maßnahmen in Richtung Nachhaltigkeit nicht konsequent vorangetrieben werden. Dies gilt sowohl auf Unternehmens- als auch Immobilienebene“, so Franz Pöltl, Geschäftsführer der EHL Investment Consulting. „Die EU-Taxonomie, genauso sehr wie der steigende Druck seitens internationaler Mieter, die ebenfalls Nachhaltigkeitsziele zu erreichen haben, machen es für Investoren unverzichtbar, Nachhaltigkeitsaspekten einen äußerst hohen Stellenwert einzuräumen: Objekte, die ESG-Vorgaben nicht erfüllen, werden immer schwerer finanzier-, vermiet- und veräußerbar. Für Investoren ist es daher unabdingbar, möglichst nachhaltig zu agieren, wobei neben der ökologischen immer mehr auch die soziale Nachhaltigkeit ins Blickfeld rückt. Auch im Hinblick auf die Bindung von qualifizierten Mitarbeitern im Rahmen des „war for talents“ wird es immer wichtiger, eine gesunde, motivierende und inspirierende Arbeitsumgebung zu schaffen.“
Büro: Neuflächenproduktion bleibt auf niedrigem Niveau
„Wir beobachten derzeit eine verhaltene Neubautätigkeit“ berichtet Stefan Wernhart, Geschäftsführer der EHL Gewerbeimmobilien GmbH: „Der Investorenfokus auf Wohnbau der letzten zwei bis drei Jahre hat dazu geführt, dass zuletzt sehr wenige Büroprojekte zur Realisierung gelangten und derzeit insbesondere bei modernen Büroflächen über 3.000 m2 in etablierten Businessclustern ein deutlicher Nachfrageüberhang gegeben ist. Wien steht mit einer Flächenproduktion von 126.000 m2 im heurigen Jahr und bloß 42.300 m2 im Jahr 2023 geradezu prototypisch für die Situation in vielen deutschsprachigen Großstädten. Flächensuchende Unternehmen peilen für Umzüge daher oft 2024/2025 an, wenn wieder in größerem Ausmaß Projekte zur Fertigstellung gelangen.“
Retail: Günstige Flächen liegen im Trend
Das als Folge der Inflation stark gestiegene Preisbewusstsein der Konsumenten bringt den Einzelhandel insgesamt unter Druck, aber es gibt auch Gewinner dieser Entwicklung: „Diskonter erleben derzeit einen echten Boom und davon profitieren vor allem Einzelhandelsimmobilien wie Fachmarktzentren, die traditionell viele Mieter aus dem Diskontbereich haben“, kommentiert Mario Schwaiger, Einzelhandelsspezialist der EHL Gewerbeimmobilien GmbH, den europaweit feststellbaren Trend zu guter Nachfrage nach kostengünstigen Einzelhandelsflächen. „In Österreich mit seinem starken FMZ-Sektor ist das besonders stark spürbar. Allerdings profitieren davon praktisch nur Fachmarktzentren an guten Standorten, die dadurch sogar wieder Wachstumsperspektiven bekommen.“
Wohnen: Alle reden übers Heizen - und wie es leistbar bleibt
„Die Wohnimmobilienbranche spricht schon seit einigen Jahren über neue Heizungsstrategien und -möglichkeiten, der Blickwinkel hat sich jedoch durch das Zeitgeschehen dramatisch gewandelt“, sagt Karina Schunker, Geschäftsführerin der EHL Wohnen GmbH. „Das Thema ist weiterhin Reduktion des Energiebedarfs und Umstieg auf nicht-fossile Energieträger sowie Energieautarkie mit erneuerbaren Energiequellen. Die Energiewende wird aber verstärkt unter dem Kostenaspekt und nicht nur im Hinblick auf den CO2-Ausstoß betrachtet: Wie kann der Gesamtenergiebedarf deutlich gesenkt werden, welche Alternativen gibt es zu fossilen Brennstoffen wie vor allem Gas und wie können Bestandsimmobilien zukunftsfit werden. Da für Wohnungsnutzer die gesamten Wohnkosten zählen, hat jede Betriebskostenreduktion eine Auswirkung auf den Mietertrag und ist demnach ein großer Faktor. Es ist daher zu erwarten, dass die Wohnimmobilienbranche in den kommenden Jahren puncto Nachhaltigkeit einen massiven Schub erfahren wird.“