Die Wiener Bauordnungsnovelle wird mit gemischten Gefühlen gesehen. Auf jeden Fall ein positiver Schritt war, „dass man ein Signal gesetzt hat in Richtung Nachhaltigkeit“, so Evgeni Gerginski: „Die Stadt Wien zeigt damit, dass sie es ernst meint.“ Auch den Paragrafen 69 lobte der Architekt, da man eine Möglichkeit geschaffen habe, sinnvolle Ausnahmegenehmigungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit und zum Bestandsschutz zu bekommen. „Er muss sich noch beweisen“, meinte Bernhard Gutternigh: „Er muss noch mit Leben gefüllt werden.“ Überhaupt zeigt sich, dass gewisse Spielräume bei Bauprojekten möglich sein sollten. „Ich finde wichtig, dass es nicht immer klare Regelungen gibt“, meinte Bernhard Gutternigh: „Wenn Zahlen genau definiert sind, sind sie festgeschrieben, aber wir haben so unterschiedliche Projekte, dass es wichtig ist, Interpretationsmöglichkeiten zu haben.“ Der Paragraf 69 etwa gibt den Behörden die Möglichkeit, bei einzelnen Bauvorhaben über die Zulässigkeit von Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplans zu entscheiden. Diese Abweichungen dürfen allerdings die Zielrichtung des Flächenwidmungsplans und des Bebauungsplans nicht unterlaufen.
Nachhaltigkeit und Korrektur
„Die Dekarbonisierung und die Grünraumgestaltung waren die Grundgedanken der Novelle“, so Guido Markouschek, „und zusätzlich hat man noch Korrekturmaßnahmen aus der Vergangenheit einfließen lassen – betreffend Abbruch und Schutzerhalt der Gebäude.“ Der Schutz des bestehenden Wohnraums und die Einschränkungen von Airbnb sind Entwicklungen, die nicht nur Wien betreffen, sondern auch zahlreiche europäische Städte mit internationalem Tourismus.
Allerdings wurde dabei teilweise über das Ziel hinausgeschossen, und eine Sanierung im Altbau rechnet sich wirtschaftlich nicht mehr. „Eine Lösung in dieser Situation wäre zum Beispiel, den Preis der Wohnungen von der Energiekennzahl abhängig zu machen“, machte Hans Jörg Ulreich einen Vorschlag in der Runde und gab dazu ein Beispiel: „In den 1980er-Jahren gab es in Wien zahlreiche Substandard-Wohnungen. Wenn diese auf Kategorie A gehoben wurden, durften die Eigentümer eine höhere Miete verlangen. Das wäre ein guter Hebel, um Sanierungen umzusetzen.“ Vor allem wäre auch der Steuerzahler dadurch nicht belastet. Ein weiterer Punkt ist die Ausnutzung der Bauklassen – zum Beispiel entlang des Gürtels durch Aufzonung auf Bauklasse IV –, derzeit wird dort aber abgezont.
Der politische Wille fehlt
Durch die Steigerung der Baukosten und eine Verknappung des Materials sind die Kosten einer Projektentwicklung gewachsen, was mit den rasch gestiegenen Zinsen einherging. „Es gibt gewisse Themen, die stark von der allgemeinen Situation abhängig sind“, so Guido Markouschek: „Aber es gibt auch Bereiche, die man gestalten könnte. Wir brauchen einen Blick auf das große Ganze.“ Hans Jörg Ulreich: „Der Haken ist, es fehlt oft am politischen Willen.“
Geteiltes Bewilligungsverfahren – Zuständigkeiten verteilen
Zur Diskussion stand auch ein geteiltes Bewilligungsverfahren, das zum Ziel hat, die Zuständigkeiten zwischen den Bauwerbern und den Magistratsabteilungen besser zu verteilen. Die hoheitlichen Rechte der Stadt sollten von den Magistratsabteilungen geprüft werden, das Innere des Projekts bliebe den Ziviltechnikern vorbehalten. „Damit werden die Behörden nicht dadurch aufgehalten, alles zu prüfen“, meinte Evgeni Gerginski: „Man könnte gewisse – vor allem technische – Themen in die Privatwirtschaft auslagern, und die Stadt selbst prüft nur noch die Anliegen der Anrainer.“ Die Rechte der Anrainer und die Emissionen betreffen die Sicherheit und „sind ursächliche Aufgaben der Stadt“, bestätigte Bernhard Gutternigh: „Diese sind für die Stadt wichtig, und die will man sich auch nicht wegnehmen lassen.“ Das betrifft unter anderem die Statik, die Bauphysik, den Brandschutz und den Lift. Der Aufzug wäre jedoch ein klassisches Beispiel für eine Auslagerung: Dieser wird im Zuge der Baubewilligung geprüft, was viel Zeit kostet, benötigt aber am Schluss ohnehin noch eine TÜV-Abnahme. „Gewisse Vorschriften müssen existieren, aber es stellt sich die Frage, ob sie auch tatsächlich Gegenstand der behördlichen Prüfung sein sollen“, sah auch Guido Markouschek mit einer Verteilung der Zuständigkeiten „die Möglichkeit, die Abwicklung zu beschleunigen beziehungsweise die Prozesse zu verschlanken“.
Von der Stadt würde ein Hauptbescheid erlassen, und nach der Fertigstellung käme dann die Freigabe des Projekts. Als Beispiel wurde Paris genannt, deren Baupolizei eine „riesengroße MA 19“ ist. Diese achtet nur darauf, dass das Projekt in den Bebauungsplan passt, der technische Bereich ist an private Unternehmen ausgelagert. Die Frage ist: Wäre mit einem geteilten Bewilligungsverfahren überhaupt ausreichend Sicherheit für die Käufer und Mieter gegeben? „Der schärfste Kontrollor ist der Anwalt der Mieter oder Käufer“, so die Antwort von Hans Jörg Ulreich.
Abschätzen der Verfahrensdauer
Grundsätzlich würde es den Projektentwicklern helfen, wenn sie die Dauer und den Ausgang der Verfahren besser abschätzen könnten. Die Rechtssicherheit sei für die Projektentwickler ebenfalls ein wesentlicher Punkt, sagte Hans Jörg Ulreich. Mit der Bauordnungsnovelle wollte man das aktuelle Stadtbild über das geplante (die Widmung) stellen, was jedoch nach vielen Protesten wieder abgeändert wurde. In der Praxis werden die Paragrafen aber trotzdem so interpretiert. Das kann dazu führen, dass gemäß Flächenwidmung ein zweigeschoßiger Dachgeschoß-Ausbau möglich wäre – weil die Nachbarhäuser (das Stadtbild) aber allesamt niedriger sind, erlaubt man nur ein neues Geschoß. Hans Jörg Ulreich: „Damit stimmt die Kalkulation nicht mehr, und daher gibt es weder einen Dachgeschoß-Ausbau noch die Sanierung und Dekarbonisierung des Hauses darunter.“
Das vereinfachte Verfahren
Das vereinfachte Verfahren (BO-Paragraf 70a) wurde zwar eingeführt, aber es gibt kaum Projekte, die nach diesem Verfahren abgewickelt werden. Es werden einige Projekte eingereicht, aber letztendlich von den Behörden in ein normales Verfahren umgewandelt. „Dann hat die Behörde weniger Zeitdruck“, spekulierten die Architekten. Für die Projektentwickler wäre es schon enorm hilfreich, wenn sie „abschätzen könnten, bis wann die Baugenehmigung erfolgt“, um mehr Orientierung zu haben, so Hans Jörg Ulreich. Derzeit ist dies kaum der Fall und damit verzögern sich die Baustarts, was die Projektentwicklung schwer kalkulierbar macht.
KI und Projektentwicklung
Im Rahmen der Diskussion wurde auch das Thema der künstlichen Intelligenz behandelt. In einer ersten Phase wurde das Thema beim Digitalisierungsprojekt BRISE bereits umgesetzt. Damit sollen sich Behördenangelegenheiten schneller und effizienter abwickeln lassen und neue Maßstäbe für die Baueinreichung und Baugenehmigung etabliert werden. Bernhard Gutternigh sah darin die Zukunft, allerdings wird es seines Erachtens noch „lange dauern, bis diese Form auch üblich wird: Es gibt derzeit nur wenige Büros, die sich den Mehraufwand leisten.“ HAWLIK GERGINSKI hat dies bei einem Projekt im Rahmen von BRISE umgesetzt, allerdings waren bei diesem größeren Wohnprojekt zwei bis drei Arbeitsstunden pro Wohnung mehr erforderlich.
Das System von Bescheiden und Behördenprüfungen basiert auf Menschen, die prüfen. „Wenn man dieses auf eine KI umstellen könnte, dann würden sich viele Fragen gar nicht mehr stellen“, so Evgeni Gerginski: „Es würde sozusagen jemand überprüfen, der fehlerfrei ist.“ Dazu müssen aber auch die Pläne fehlerfrei sein, denn um richtige Entscheidungen zu treffen, braucht die KI klare Vorgaben. Alles, was einen Interpretationsspielraum offenlässt und andere Möglichkeiten erlaubt, wird eine Herausforderung sein. Guido Markouschek plädierte daher dafür, die beiden Systeme zu kombinieren. Eine Mischung aus KI und Menschen, die dann letztendlich die Spielräume, die sich ergeben, „aushandeln werden, weil das die KI nicht schafft“, wäre am sinnvollsten. Wenn sich gewisse Prozesse verschlanken oder vereinfachen ließen, dann würden für die Behörden mehr Ressourcen überbleiben. Das Digitalisierungsprojekt BRISE fand mit Fördermitteln der EU statt und wird nun auch im Austausch zwischen den Behörden einzelner europäischer Städte vorgestellt, „wobei Wien hier eine Vorreiterrolle hat“, erklärte Bernhard Gutternigh. „Eine funktionsfähige KI in diesem Bereich wäre auch für kleinere Gemeinden eine Erleichterung“, ergänzte Andreas Hawlik.
Gemeinsame Bestrebungen
Grundsätzlich ist auch die Kommunikation zwischen den Planverfassern und Projektentwicklern mit den Ämtern zu hinterfragen – sprich zu verbessern. „Kommunikation ist wichtig, wird aber oftmals überstrapaziert“, meinte Guido Markouschek, und Bernhard Gutternigh bestätigte, dass es in einigen Fällen die Mitarbeiter der Magistratsabteilungen sind, die die Planverfasser „ausbilden“ und ihnen auch teilweise grundsätzliche Themen erklären müssen. Auf der anderen Seite lassen sich die Entscheidungswege der Behörden von den Bauwerbern und Architekturbüros oft nicht immer nachvollziehen, und es werden überschießende Korrekturen verlangt.
Über die Jahre haben sich falsche Verhaltensweisen und Vorurteile auf beiden Seiten eingeschlichen. Andreas Hawlik und Guido Markouschek fragten unisono: „Wie schaffen wir es, dass wir uns annähern?“ Ein spannender Vorschlag wurde angedacht: Die Mitarbeiter in Architekturbüros absolvieren ein Praktikum in den Magistratsabteilungen und umgekehrt. „Wenn sich die Beteiligten besser kennen würden, dann würde die Zusammenarbeit auch besser funktionieren“, meinte Andreas Hawlik. Ein Gedanke dazu wäre, die Baubehörden als Teil des Teams mitzunehmen, denn, so Evgeni Gerginski: „Als Architekt hat man immer mehr Herzblut in seinem Projekt“, während sich die Sachbearbeiter bei den Behörden nicht damit identifizieren. Bernhard Gutternigh: „Fachliches Wissen ist wichtig, aber wichtig sind auch die menschlichen Qualitäten und die Diskussionsfähigkeit.“