Anlässlich des „Ersten Wiener Wohnungsmarktberichts 2014“, der in Kooperation von EHL Immobilien und der BUWOG – Bauen und Wohnen Gesellschaft Ende März veröffentlicht wurde, wird der kritische Blick auf den Wiener Wohnungsmarkt nun bei so manchem geschärft. Besorgniserregend, vor allem im Hinblick auf zukünftige demografische Entwicklungen, ist die Tatsache, dass bereits jetzt eine vorerst unüberbrückbare und weit aufklaffende Angebotslücke den Wiener Wohnungsmarkt kennzeichnet. Die starke Nachfrage nach günstigen und leistbaren Wohnungen kann momentan bei Weitem nicht gedeckt werden. Der Wohnungsmangel treibt außerdem die Preise in den gefragten, vor allem zentralen Lagen in die Höhe.
Preisentwicklung an Inflation angepasst
Mieter und Käufer können vorerst beruhigt aufatmen. Aktuell bleiben die Neuanmietung und der Kauf von Eigentumswohnungen leistbar, denn der Anstieg bei Mieten und Wohnungspreisen wird sich in nächster Zeit im Rahmen der Inflationsrate bewegen. Aber da Wien mit einem Bevölkerungswachstum von 15.000 bis 20.000 Personen pro Jahr zu den am stärksten wachsenden Großstädten Europas zähle, werde es Preisrückgänge nicht geben, erklärt Sandra Bauernfeind, Leiterin der Abteilung Wohnen bei EHL Immobilien. Stattdessen wird mit moderaten Preisanstiegen von 2–2,5 % bei Mieten und 3–5 % bei Eigentumswohnungen zu rechnen sein. Nicht nur das starke Bevölkerungswachstum, sondern auch die allgemeine Wirtschaftsentwicklung des Landes formt und biegt den Wohnungsmarkt.
Zukünftig zu wenig leistbare Wohnungen am Markt!
Weil die schwache österreichische Konjunktur auf nur leicht steigende Einkommen trifft, sind kostengünstige und leistbare Miet- und Eigentumsobjekte stark gefragt – aber hier wird das große Angebotsloch immer augenscheinlicher. Weder der geförderte noch der frei finanzierte Wohnungsbau können die hohe Nachfrage im kostengünstigen Preissegment angemessen bedienen. „Hier gibt es eine Nachfrage, die der Markt einfach nicht decken kann, und es wird außerhalb des geförderten Bereichs nicht möglich sein, zu diesen Preisen zusätzlichen Wohnraum zu schaffen“, erläutert Bauernfeind. Der „Run“ auf neue Wohnflächen ist deshalb auch im Eigentumssegment enorm. Die kaufkräftige Klientel greift immer schneller zu, um sich ein gutes Angebot zu sichern: „Es werden bereits während der Bauzeit so viele Wohnungen verkauft wie selten zuvor“, so Andreas Holler, Verantwortlicher für den Neubaubereich bei der BUWOG. Die Aussichten sind nicht gut, hält man sich die demografischen Entwicklungen der nächsten Jahre vor Augen.
Wien wächst stetig weiter
Wien ist beliebt – zumindest wenn man sich die Zuwanderungsprognosen näher ansieht. In nicht allzu ferner Zukunft – bereits in 18 Jahren – wird die Einwohnerzahl Wiens von rund 1,7 Millionen auf zwei Millionen ansteigen. Und damit noch nicht genug. Bis zum Jahr 2075 wird es zu einem Bevölkerungswachstum von etwa einer halben Million Menschen kommen, was einer Zunahme von rund 30 % entspricht. Wie die Wohnsituation zukünftig aussehen wird, zeigt ein vorsichtiger Blick auf die Haushaltsstrukturen der nächsten Jahrzehnte. Bis zum Jahr 2050 werden besonders Ein-Personen-Haushalte einen ungebrochenen Aufschwung mit einem Anstieg von 29,5 % erleben. Dann werden im Durchschnitt 1,98 Personen in einem Wiener Haushalt wohnen. In Anbetracht des rasanten Wachstums der Hauptstadt muss wohl gefragt werden, warum der Wohnungsmarkt das Tempo der Stadt nicht halten kann, sondern zurückfällt.
Parcours Bauprojekt: im Schneckentempo zur Baubewilligung
Die Ursachen für die fehlende Angebotsausweitung sind auch im staatlichen Verantwortungsbereich zu suchen. Oftmals blieben aussichtsreiche Bauprojekte irgendwo im Sumpf der Bürokratie stecken und konnten nach monatelanger Verzögerung aus diesem nur mit viel Mühe wieder herausgezogen werden. Schwierige Rahmenbedingungen wie die Verzögerung der Bauordnungsnovelle oder stockend erteilte Baubewilligungen erschweren jedes neue Bauunterfangen. Die Zahl Letzterer zum Beispiel bleibt heuer mit rund 6.000 gegenüber dem Jahr 2013 nahezu unverändert. „Einfachere und schnellere Widmungsverfahren würden für die Entlastung des Wohnungsmarkts wahrscheinlich mehr bringen als eine Ausweitung des Fördervolumens“, gibt Holler zu bedenken. Mit einer zügig durchgeführten Bauordnungsreform kann im Speziellen der stark gefragte innerstädtische Bereich im Wohnbau besser erschlossen werden. Bisher ungenutzter Wohnraum könnte so durch die Nutzung von Baulücken oder den Ausbau bestehender Objekte dem Markt zugeführt werden. Doch nicht der Staat allein ist Sündenbock der um sich greifenden Bau-Verlangsamung. Auch die Bürger tragen dazu bei und legen den Bauträgern gerne Steine in den Weg. Jedes größere Projekt werde durch eine Bürgerinitiative bekämpft und verursache somit beachtliche Aufwendungen, die sich im Anstieg der Wohnkosten niederschlagen würden, so Holler.
Neumieter zahlen mehr, Fehlbelegungen verursachen Nachfrageüberhang
Doch der Wiener Wohnungsmarkt krankt nicht nur an der großen Angebotslücke, auch die strukturellen Schwächen des Wohnungsmarkts sind eine wesentliche Ursache für den Anstieg der Kaufpreise oder des Mietzinses bei Neuvermietung. Momentan gibt es eine sich immer weiter öffnende Schere zwischen den meist nach oben hin gedeckelten Mieten der sogenannten „Altmieter“ und jenen Miet- oder Kaufpreisen, die Neumieter und Neukäufer zahlen müssen. Mehr als 75 % der Wiener Mietwohnungen sind Mietbeschränkungen unterworfen. Aus diesem Grund sind die Kosten für Mieten in jenen Wohnungen größtenteils weit unter den aktuellen Marktpreisen (zum Teil bei 3€/m²). Neumieter müssen jedoch für qualitativ durchschnittliche Wohnungen mit dem dreifach erhöhten Preis rechnen. Wohnungssuchende, zum Beispiel junge Familien oder nach Wien zuwandernde Menschen, also jene, die günstigen Wohnraum am dringendsten benötigen, würden dafür die Zeche zahlen, meint Michael Ehlmaier, Geschäftsführer von EHL Immobilien. Diese starke Mietzinsdifferenz zwischen Neu- und Altmieten hat zur Folge, dass Altmieter sehr stark geschützt werden und ihre Wohnungen, selbst wenn diese zu groß geworden sind (beispielsweise nach dem Auszug der Kinder), nicht verlassen. Diese Fehlbelegungen wiederum führen zu langfristigen Wohnungsnutzungen bei weit unter den Marktpreisen liegenden Mietzinsen. Wohnungseigentümer sehen dann eine Sanierung für unwirtschaftlich an und investieren nicht mehr in die zeitgemäße Ausstattung von Wohneinheiten. Diese Kettenreaktion entzieht dem Markt somit notwendigen Wohnraum und verstärkt den Nachfrageüberhang.
Für Ehlmaier ist dieses strukturelle Problem langfristig nur durch eine Änderung des Mietrechtsgesetzes zu lösen. Momentan müsse aber mit verstärkten Neubau-Projekten Wohnraum geschaffen werden. Aktuelle Wohnprojekte wie der Nordbahnhof mit einer Anzahl von 10.000 Wohnungen oder die Seestadt Aspern mit 8.500 Wohnungen sind erste Schritte in die richtige Richtung.