„Kein Gebäude kann alle Anforderungen seiner Nutzer erfüllen – sowohl in der Errichtung als auch im Betrieb wäre das sehr teuer“, sagt Peter Engert. Die Lösung sind Quartiere, bei denen einzelne Gebäude die Aufgaben für den ganzen Stadtteil erfüllen. Optimal sind für den Geschäftsführer der ÖGNI „gemischt genutzte Quartiere, in denen Arbeit, Wohnen und Freizeit stattfinden“. Diese ganzheitliche Sicht auf die Klimaresilienz beginnt beim geringen Flächenverbrauch und der grünen Infrastruktur und reicht über Kreislaufwirtschaft, Energie und Mobilität bis hin zur Architektur.
Resiliente Stadt
„Unter Klimafitness verstehe ich, die Städte als Ganzes resilienter gegen akute Extremwetterereignisse zu machen, wie Hitze, Starkregen, Hagel, Hochwasser, Trockenheit und Ähnliches“, sagt Evgeni Gerginski, Geschäftsführer von HAWLIK GERGINSKI Architekten. Vor allem muss „Klimafitness auf allen Ebenen der Planung interdisziplinär mitgedacht werden“, ist Gerd Pichler, Head of ARE Development, überzeugt. „So hat man sich beispielsweise beim VILLAGE IM DRITTEN schon auf der Ebene des städtebaulichen Wettbewerbs angesehen, welche mikroklimatischen Auswirkungen die verschiedenen Wettbewerbsbeiträge haben.“
Ein Mehr an Lebensqualität
Klimaresilienz oder Klimafitness „ist kein Verzicht, sondern ein Mehr an Lebensqualität für die Menschen, die in diesen Quartieren leben und arbeiten“, betont Sabine Müller, Vorständin von Wien 3420. Die Seestadt wird dabei als lernendes System verstanden, das von Etappe zu Etappe dazulernt und sich den veränderten Gegebenheiten anpasst. Als Reallabor wird Neues ausprobiert und beibehalten, was funktioniert. Wien 3420 arbeitet seit vielen Jahren in Forschungsprojekten wie green.resilient.city oder ClimaSens mit Expertenteams zusammen, die Erkenntnisse und Techniken unter anderem aus der Meteorologie einbringen, um Wind- bzw. Mikroklimasimulationen zu erstellen. Sabine Müller erklärt: „Derartige Mikroklimasimulationen begleiten alle städtebaulichen Planungen für die Quartiere der nördlichen Seestadt, um wirksame Maßnahmen zur Verringerung von Hitzeinseleffekten und zur Verstärkung von Durchlüftung und Kühlung gezielt identifizieren zu können.“
Nachrüsten des Bestandes
Bei der Menge an gebauter Umwelt erscheint das Nachrüsten des Bestands als die wichtigste Maßnahme in der Zukunft. Da große Grundstücke wie das VILLAGE IM DRITTEN und das VIENNA TWENTYTWO die Ausnahme sind, „wird uns in der Stadtentwicklung künftig auch vermehrt die Klimafitness in Bestand und Nachverdichtung beschäftigen“, blickt Gerd Pichler in die Zukunft. Zu den wichtigsten aktuellen Maßnahmen gehört jedenfalls das Entsiegeln und Begrünen von versiegelten Flächen wie Straßen, Plätzen, Brownfields und Greyfields. Weiters zählen dazu „das Nachrüsten von versickerungsfähigem Boden und Grünraum auf bereits bestehenden Dächern und Fassaden“, so Evgeni Gerginski. Zusätzlich wäre auch das Schwammstadtprinzip in Form eines über die Stadt verteilten Regenwassermanagements anzuwenden.
Die Zukunft gehört BIM und KI
In Zukunft werden Digitalisierung, BIM und KI und damit „kluge“ Technik sowie Anlagensteuerung eine größere Rolle spielen. „Spannende Entwicklungen können künftig vernetzte Gebäude sein, die sich aufeinander abgestimmt die Ressourcen teilen“, meint Evgeni Gerginski. Die Schaffung von Energiequartieren, in denen gemeinsam produziert, gespeichert und verwendet wird, würde sich als optimal für gemischt genutzte Quartiere erweisen, in denen Arbeit, Wohnen und Freizeit stattfinden. „Durch eine smarte Anlagensteuerung können die Energieflüsse optimal und bestmöglich ressourcenschonend zwischen den verschiedenen Nutzungen und Bauteilen gesteuert werden“, hebt Gerd Pichler die Vorteile hervor.
Mutige Entscheidungen sind gefragt
In Sachen Stadt- und Quartiersentwicklung blickt Sabine Müller ebenfalls voraus: „Was ich mir von der Stadtentwicklung wünsche, ist, dass sie mutig ist und mit konsequentem Weitblick agiert, dass sie alle Stakeholder auf dem Weg mitnimmt und nie vergisst, wer im Mittelpunkt aller städtebaulichen Überlegungen steht – nämlich der Mensch.“ Die Projektentwickler mögen zwar das Know-how haben, aber allein werden sie diese Aufgaben nicht stemmen können. „Jetzt sind die Kommunen am Zug“, meint Peter Engert: „Sie können als letzte Bauinstanz und Widmungsbehörde dafür sorgen, dass Quartiere entstehen bzw. auch in budgetär herausfordernden Zeiten mit Best Practice vorangehen.“ Der ÖGNI-Geschäftsführer sieht darin auch die Möglichkeit eines Revivals der Contracting-Modelle.