Die vier Säulen des sozialen Wohnbaus sind „Ökonomie, soziale Nachhaltigkeit, Architektur und Ökologie“. Und sie haben bisher sehr gut „gehalten“. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass sich hier etwas ändern muss beziehungsweise eine Ergänzung nötig ist. Es kommt nämlich mit dem Klimaschutz eine weitere Säule dazu. „Diese wird in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen“, ist Evgeni Gerginski überzeugt. Der Klimawandel macht es für die StadtplanerInnen nicht einfach, entsprechende Konzepte zu entwickeln. „Früher hat man in Wien anders gedacht“, erklärt Silvia Hofer: „Die klimatischen Veränderungen machen aber ein Umdenken unumgänglich.“
Während das Sonnwendviertel fertiggestellt ist, werden in der Seestadt aspern die Veränderungen in die bestehenden Konzepte aufgenommen. In der Seestadt wurde vor 20 Jahren der Masterplan unter anderen Voraussetzungen erarbeitet, jetzt müssen die neuen Gegebenheiten eingeplant werden und die Seestadt entsprechend angepasst werden. So hat Wien 3420 vor kurzem EVA, ihre Zwischenbilanz zum Stadtentwicklungsprojekt aspern Seestadt, veröffentlicht. EVA enthält neben einer Evaluierung des bisher Erreichten auch einen neuen, umfassenden Zielkatalog inklusive eines KPI-Sets für die nächsten Entwicklungsetappen.
Veränderung der Ansprüche
„Die kommenden Projekte müssen klimafit gebaut werden“, sagt Silvia Hofer: „Es ist ein Strukturwandel und eine gesellschaftliche Anforderung. Wir müssen gebäudeenergiesparend denken und ressourcenschonend errichten. Es geht darum, wie wir zukunftsfit bauen können.“ Das ÖVW hat drei Projekte in der Seestadt, und Paul Rakosa bestätigt: „Die Vorgaben, die getroffen wurden, setzen auch die Seestadt unter Druck.“ Es gibt daher für die einzelnen Gebäude, die jetzt in Planung sind beziehungsweise errichtet werden, zahlreiche Vorgaben, „die wir überprüfen und sie allenfalls dem Stand der Technik anpassen müssen. Erkenntnisse aus dem klimaresilienten Städtebau sind ebenso dem Stand der Technik unterworfen und entwickeln sich mit ihm weiter. Diese Weiterentwicklung darf nicht durch zu starre Vorgaben aus der Vergangenheit verunmöglicht werden.“
Eine Frage der Ökonomie
Die geänderten Richtlinien erhöhen allerdings die Kosten beim Wohnbau. Bei all diesen Ideen und Entwicklungen stellt sich – vor allem in Zeiten wie diesen – die Frage nach der Ökonomie. „Wie bleibt der geförderte und gemeinnützige Wohnbau leistbar, und wie können wir die Qualität halten? Das ist momentan der Spagat, den wir schaffen müssen“, so Alexander Gluttig: „Denn die Bauqualität brauchen wir.“ In den vergangenen Jahren sind die Baukosten gestiegen, „und wir werden von dem aktuellen Level nicht herunterkommen“, zeigt sich Silvia Hofer realistisch: „Ich glaube dennoch, dass wir uns bei diesen Kosten den Bau leisten können.“ Die Stadt Wien hat viel dafür getan, dass der Wohnbau leistbar bleibt – die ergänzenden Förderungen zeigen ihre Wirkung. Ein großes Danke spricht Antonia Roither-Voigt dafür aus, „dass durch eine bessere Förderung der Kostendruck bei der Errichtung der Wohnbauten derzeit etwas rausgenommen wurde“.
Reduzierung der Normen?
Das Problem der Baukosten hat Österreich aber nicht allein. Um sie zu senken, wird derzeit in einigen europäischen Ländern eine Reduzierung der Normen diskutiert. Das klingt zunächst einmal einfach, zieht aber doch einige relevante Fragen nach sich. „Ich würde mich nicht trauen zu sagen: Diese oder jene Norm löschen wir jetzt“, sagt Antonia Roither-Voigt, und Andreas Hawlik ergänzt: „Wer traut sich denn noch etwas zu bauen, wenn man zum Beispiel auf die Brandschutznorm verzichten würde?“ Ein zwar etwas drastisches Beispiel, aber es zeigt den Zwiespalt bei diesem Thema auf.
Ein weiterer neuer Gedankenansatz kommt aus Deutschland. So wurde in Niedersachsen eine Umbauordnung erlassen, die diesem Problem etwas entgegenwirken könnte. Silvia Hofer: „Gebäude, die saniert oder umgebaut werden, müssen gewisse technische Must-haves aufweisen, aber nicht alle Stückerl spielen, die ein Neubau haben muss.“ Eine „abgespeckte Version“ würde auch „animieren umzubauen“, so Andreas Hawlik. Der Paragraf 68 der Wiener Bauordnung ermöglicht zwar Ausnahmen bei der Sanierung, wenn „die Unwirtschaftlichkeit gegeben ist, aber die Baupolizei geht damit sehr restriktiv um“, so Andreas Hawlik.
Das leidige Thema mit den Parkplätzen
Paul Rakosa bringt eine weitere Möglichkeit aufs Tapet, um die Baukosten zu reduzieren: „Wo man mehr schärfen könnte, wäre bei der Mobilität.“ Er meint damit die Garagenplätze in Tiefgaragen und stellt die Frage, ob es notwendig ist, so viele Pkws in Untergeschoße zu stellen? Wichtig wäre, Alternativen zuzulassen, die auch in der Bauordnung umsetzbar sind: „Es ist zu viel vergrabenes Geld für stehendes Blech“, meint Paul Rakosa sehr treffend: „Das dafür aufgewendete Geld könnte man woanders investieren. Es geht vermutlich nicht überall, aber man sollte die Möglichkeit eröffnen.“ Tiefgaragen sind letztendlich in der Erhaltung teuer – Hochgaragen würden sich als Alternative anbieten. „Wenn, dann müsste man sie aber schön und sauber bauen“, so Silvia Hofer. „Und mit ausreichend Geschoßhöhe für eine flexible Nachnutzung“, ergänzt Andreas Hawlik.
Herausforderung Bestand
Wobei sich Alexander Gluttig weniger um den Neubau „sorgt“: „Das bekommen wir schon hin, das große Problem ist der Bestand. Das wird sich wirtschaftlich ohne zusätzliche Fördermittel kaum ausgehen.“ Vor allem die Bauten aus den 50er- bis 80er-Jahren sind energetisch in einem bedenklichen Zustand. „Beim ÖVW schauen wir uns die älteren Gebäude an und entscheiden dann, ob eine Sanierung sinnvoll ist oder ob Abbruch und Neubau besser wären“, so Paul Rakosa. Für einen Neubau spricht, wenn aufgrund der Statik eine Aufstockung nicht möglich ist oder das Gebäude aus dem Stadtbild fällt und eine Sanierung technisch und wirtschaftlich nicht darstellbar ist. „Ich bin nicht für eine rigorose Trennung“, so Alexander Gluttig: „Man muss das differenziert betrachten, und viel wichtiger wäre eine Mischung, die sich den entsprechenden Gegebenheiten anpasst.“
Nachhaltigkeit und Bodenversiegelung
In das Thema Nachhaltigkeit spielen natürlich auch der Bodenverbrauch und die Bodenversiegelung hinein. Paul Rakosa moniert, dass „dieses Thema oftmals nur schwarz-weiß gesehen wird. Der verdichtete großvolumige Wohnbau ist nämlich eine nachhaltige Struktur.“ Als Beispiel nennt er das Projekt Berresgasse in Wien mit 173 Wohnungen: „Die versiegelte Fläche pro Bewohner beträgt lediglich sieben Quadratmeter, also etwa die Hälfte eines Pkw-Stellplatzes.“ Man muss die Situation realistisch betrachten, wie Silvia Hofer erklärt: „Wir werden oft gefragt, warum wir in den Neubaugebieten noch Boden versiegeln müssen, und die Antwort ist: weil es nicht anders geht.“ Tatsache ist, dass Wien im vergangenen Jahr einen Nettozuzug von 60.000 Menschen hatte und Wohnraum für diese bereitzustellen ist mit Nachverdichtung alleine nicht möglich. Statik, Trakt-Tiefe und die Erschließung alter Wohnanlagen lassen dies nicht im entsprechend notwendigen Ausmaß zu.
Den Ökofußabdruck so gering wie möglich halten
Daher hat man sich in Wien bewusst dafür entschieden, gewisse Achsen und Entwicklungsflächen, die auch auf Landwirtschaftsflächen liegen, zu versiegeln. Dennoch bleiben 50 Prozent der Flächen unversiegelt, wie man es sich in Wien zum Ziel gesetzt hat. „Das wird auch so bleiben“, bestätigt Silvia Hofer. Daher wird auch relativ dicht gebaut, um den Ökofußabdruck so gering wie möglich zu halten. Zu dem Beispiel Rothneusiedl meint Antonia Roither-Voigt noch ergänzend: „Bei diesen Flächen handelt es sich teilweise um industrielle Landwirtschaft – und man kann nicht eine hochrangige Infrastruktur wie eine U-Bahn dorthin führen und dann keine Gebäude errichten.“
Alexander Gluttig sieht ebenfalls die Notwendigkeit für weiteren Wohnbau in der Stadt: „Wenn wir es in der Stadt nicht schaffen, sinnvollen und nutzbaren Wohnraum zu errichten, dann ziehen die Menschen in das Umfeld, wodurch weitaus mehr Flächen versiegelt werden und das Verkehrsaufkommen deutlich erhöht wird.“ Der Wohnbau muss daher in Wien erfolgen – eine Aufgabe, die in den einzelnen Stadtentwicklungsgebieten zu lösen ist. „Das ist nur durch ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen gefördertem und frei finanziertem Wohnbau möglich, idealerweise auf gut erschlossenen Brownfields in der Stadt“, meint Evgeni Gerginski. „Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft“, so Silvia Hofer: „Unsere Herausforderung ist und bleibt, wie wir genügend Wohnraum schaffen.“