Gesellschaftliche Entwicklung schneller als Wohnbau
Die Wohnbauten, die wir jetzt errichten, hinken der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher– was aber nicht verwunderlich ist. Zum einen erfolgen die Veränderungsprozesse viel schneller als früher, und es ist oft nicht leicht zu erkennen, in welche Richtung es geht. Zum anderen gibt es viele „Trägheitssysteme“, wie Rechtssysteme oder Bauordnungen, die den Prozess an sich verlangsamen. Gatterer: „Die kleinen Wohnungen, die wir jetzt bauen, hätten wir schon vor zehn bis 15 Jahren bauen müssen.“ Insofern sind Entwicklungen wie das {{article_open::203}}System „Slim Building“ von Winfried Kallinger{{link_close}} sehr weitsichtig. „Slim Building“ ist eine offene Konstruktionsstruktur, basierend auf modularen Raumelementen, mit schlanken Stahlstützen, die eine Art Rahmenbauweise haben. Es gibt keine massiven Wandscheiben mehr, und damit ist die Anpassung der Räume an neue Bedürfnisse möglich, die sich aus der Entwicklung der Gesellschaft ergeben.
Keine Vergleichbarkeit der Entwicklung
Was derzeit eine Einschätzung bezüglich Wohnbau besonders schwierig mache, ist laut Gatterer, dass wir in der aktuellen Situation keinen Vergleich zu früher haben. In früheren Zeiten gab es zwar ebenfalls Gesellschaftssysteme, die sich weiterentwickelten, aber es geschah nicht in der Geschwindigkeit, die wir heute erleben, sodass man die weitere Entwicklung in gewisser Weise ableiten konnte. Das geht heute nicht mehr. Zu viele Unabwägbarkeiten machen eine Prognose schwierig bis unmöglich. Dazu gehört vor allem die technische Entwicklung, die eine Dimension angenommen hat, die wir mit nichts Vergangenem vergleichen können. Gatterer: „Wir haben ein neues Gesellschaftssystem, das erst viele Antworten entwickeln muss.“ Das ist allerdings ein Ansatzpunkt für Gatterer, der meint, dass die Kraft des Ortes an dem wir uns befinden wesentlich wird, weil der Rest in unserem Umfeld so beweglich ist. Orte und Plätze bringen eine gewisse Sicherheit. Gatterer: „Wir haben so viel Instabilität und wollen daher Stabilität.“
Der private, der halb öffentliche und der öffentliche Raum
Der Begriff Haushalt wird immer weiter gefasst, da auch immer mehr Orte außerhalb des Wohnraums miteinbezogen werden. „Die Menschen beginnen sich ihre Wohnräume auch neu zu strukturieren“, erklärt Gatterer. Dinge, die man früher zu Hause hatte, werden jetzt in einen halb öffentlichen Raum ausgelagert. Anbieter von Lagerräumen bieten entsprechende Möglichkeiten an und freuen sich über diese Entwicklung. Auch das Nutzen von anderen Räumen, die außerhalb des Hauses sind, gewinnt an Bedeutung. „Die Räume müssen nicht alle am gleichen Ort sein, sie müssen nur nutzbar sein“, so Gatterer: „Damit verändert sich der Haushalt an sich. In urbanen Räumen ist diese Entwicklung schon sehr signifikant.“ So wird zum Beispiel auch das Fitnesscenter als nutzbarer Raum verstanden, der in gewisser Weise zum Haushalt dazugehört. Für den Trendforscher ist die Bewegung „AirBnB“– bei der Private ihre Wohnungen oder Teile davon für Gäste zur Verfügung stellen– deshalb nicht aufzuhalten. Auch wenn derzeit die rechtlichen Rahmenstrukturen noch nicht passen. Aber das Teilen gewinnt an Bedeutung: Nutzen ist wichtiger als besitzen.
Die Einrichtung
Dem Interior kommt bei der Gestaltung der Lebensräume eine wichtige Bedeutung zu. Die Generation Y will die Wohnung so gestalten, dass sie zu den Bewohnern passt. Ein Einrichtungsgegenstand spielt hier eine besonders wichtige Rolle: der Sekretär (auch Schreibschrank, ist ein historisches Möbel mit einer Schreibfläche– eine Art Tisch mit kleinem Aufbau und Laden. Anm. d. Red.). „Der Absatz von Sekretären hat gewaltig zugenommen“, so Gatterer. Er dient vornehmlich dazu, den Laptop abstellen und ist ein Ort, an dem man seine persönlichen Sachen verwahren kann. In weiterer Folge übernimmt er auch die Funktion eines Arbeitszimmers. Interessant ist in diesem Zusammenhang für den Zukunftsforscher auch, dass die Technik in den Wohnräumen eine nicht so entscheidende Rolle spielt, wie viele glauben: „Junge Menschen wollen nicht zu viel Schnickschnack. Was sie an Technik brauchen, tragen sie bei sich, und da wollen sie nicht noch mehr in den Räumen haben.“
Da es keine Garantien für eine bestimmte Entwicklung gibt, hat Gatterer folgenden Rat für den Wohnbau der Zukunft: „Was man tun kann, ist offen sein und sich permanent in Frage stellen.“
Einer komplexen Welt kann man nur mit neuen und mitunter auch schrägen Gedanken begegnen.