„Die fetten Jahre sind vorbei.“ Gilt dieser Spruch auch für die Immobilienwirtschaft?
Thomas Rohr: Ja, natürlich. Seit Mai 2022 habe ich meine Verwandtschaft zu Kassandra entdeckt. (Anm. d. Red.: In der griechischen Mythologie hatte Kassandra die Gabe, die Zukunft vorauszusagen, stand aber auch unter dem Fluch, dass ihr niemand Glauben schenkte.) Der Markt war für mich bereits durch die Geldpolitik überhitzt. Dann kam die Ruptur des Wechsels vom geschenkten Geld zum normalen Maß. Ich empfinde dies als reinigende Katharsis, aber für diejenigen, die mitgereinigt werden, ist es trotzdem schmerzhaft.
Wir sind nach dem Platzen der Immobilienblase(n) direkt in eine veritable Wirtschaftskrise gestolpert. Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Meine Empfehlung ist: Die politischen Parteien sind gut beraten, ja aufgerufen, weniger ihre Interessen oder die ihrer Klientel, sondern das Wohl des Volkes in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür wird es unpopulärer Maßnahmen bedürfen, die besser auf einer breiten Übereinkunft mehrerer – wenn nicht aller – Parteien fußen. Die Unternehmen haben rechtzeitig Maßnahmen zu setzen, da in Schönheit sterben auch tot sein bedeutet. Der Staat hat kein Geld mehr zu verteilen, und die Steuerzahler können nicht mehr zusätzlich belastet werden.
Wie sehen Sie die aktuellen Regierungsverhandlungen?
TR: Wo soll die Regierung Sparmaßnahmen treffen? Das Pensionssystem ist zum Scheitern verurteilt. Ein Wechsel Richtung private Vorsorge ist unumgänglich, wird aber von den Interessensvertretungen blockiert und von diversen Parteien als Wahlkampfthema ausgeschlachtet. In das Gesundheitswesen gehört dringend investiert, die Landesverteidigung ist leider Gottes wesentlich wichtiger geworden als noch vor zwei Jahren.
Vieles, was einnahmenseitig andiskutiert wird, zielt auf die Immobilienwirtschaft. Warum ausgerechnet unsere Branche? Aus zwei Gründen, vermute ich: Im Unterschied zu anderem Vermögen kann Immobilienvermögen nicht flüchten, und vonseiten der Politik lassen sich solche Maßnahmen ideologisch gut verkaufen – nach dem Motto „Eat the rich“.
Eigentlich wären andere Maßnahmen zu setzen.
TR: Die Immobilienwirtschaft liegt am Boden, und es bedarf dringend wirtschaftlicher Anreize, um die Bauleistung wieder anzukurbeln – statt weiterer Restriktionen. Das Auslaufen der KIM-Verordnung sehe ich als positiv, es ist ein kleiner Schritt von vielen notwendigen in die richtige Richtung.
Haben Sie das Gefühl, dass sich derzeit nicht nur der Markt verändert, sondern auch die Menschen?
TR: Ja. Eine alte Erkenntnis ist: Je schlechter es den Leuten geht, desto dünner wird die Haut, und desto stärker kommt der wahre Charakter zum Vorschein. Die „Guten“ halten mehr zusammen und arbeiten auch mehr zusammen; auf der anderen Seite werde ich wieder mit Geschäftspraktiken konfrontiert, die ich eigentlich schon in den 80er-Jahren für ausgestorben gehalten habe.
Das sind ziemlich deutliche Worte.
TR: Ich glaube, ich habe einen scharfen Verstand, muss aber aufpassen, dass die Zunge mit der Zeit nicht schärfer wird als der Verstand. Ein Kabarettist hat gesagt: „Woher soll ich wissen, was ich denk’, bevor ich nicht hör’, was ich sag’?“ Grundsätzlich wird man mit dem Alter eckiger und kantiger, auch ganz ohne abzunehmen. Allerdings glaube ich auch, dass meine Kunden und Freunde das durchaus schätzen, weil es spannender ist, wenn das Gegenüber nicht ganz so sandgestrahlt und manchmal ein Querdenker ist.
Wie sehen Sie die kommenden Jahre?
TR: Wir haben, vielleicht mit kleinen Kerben 2000 und 2008, über eine lange Zeit steigende bis explodierende Preise erlebt. Man konnte nichts falsch machen, und das Geld war geschenkt. Wenn eine Marktentwicklung zu lange dauert, dann verlernen die Leute ihr Handwerk. So gesehen, kann man sagen, sind sie teilweise selber schuld gewesen. Aber der Markt ist natürlich auch sehr stark von äußerlichen Einflüssen geprägt, die wir weder vorhersehen noch verändern konnten. Speziell einen Krieg in Europa nicht. Die USA leben von Wissenschaft und Forschung, die Länder Asiens von billigen Arbeitskräften, und Europa, insbesondere Deutschland und Österreich, war lange von billigem russischem Gas abhängig. Das gibt es heute nicht mehr, also müssen wir uns verändern.
Wann wird sich etwas ändern? Wie wird sich etwas ändern?
TR: Ohne Frieden in Europa geht gar nichts. Wir müssen die Parteien an den Verhandlungstisch zwingen, und ja, natürlich, das heißt auch mit Putin reden – mit wem wollen Sie denn sonst in Russland reden?
Sagen wir es so: Der französische Philosoph Gustave Le Bon (Anm. d. Red.: Er schrieb das Buch „Psychologie der Massen“) meinte, das Volk will schlechte Nachrichten nicht hören, und man glaubt immer denjenigen, die Gutes versprechen. Bis es eben nicht mehr geht. Daher muss man ein kaputtes Gesellschaftssystem an die Wand fahren, bevor ein Neustart möglich ist. Denjenigen, die unpopuläre Maßnahmen setzen möchten, glaubt man nicht. Ich hoffe doch, dass wir aus der Geschichte gelernt haben und nicht zuerst gegen die Wand fahren müssen. Leider wird es aber gerade so gesehen: Wenn man heute die Leute fragt, wie sie sich die Zukunft vorstellen, dann ist das eher ein Horrorskop als ein Horoskop.
Denken wir nicht mehr weit genug?
TR: Wahrscheinlich ist es so, aber es ist auch in gewisser Weise verständlich. Wenn man schon nicht weiß, was morgen passiert, möchte man sich über übermorgen nicht den Kopf zerbrechen. Da gibt es auch Rückschlüsse auf die Immobilienwirtschaft.
Welche?
TR: Wenn wir aus den genannten Gründen nicht an übermorgen denken wollen, wie wird sich unser Blick auf die Taxonomie verändern? Wenn ich morgen meinem Sohn keine Arbeit bieten kann, werde ich mir nicht den Kopf zerbrechen, ob mein Enkelkind in einer sauberen Umwelt aufwächst. Ich registriere heute schon beim Thema ESG eine Veränderung, sowohl in der Berichterstattung als auch bei den handelnden Personen. Es ist nicht mehr der gleiche Hype wie noch vor ein oder zwei Jahren. Der weltweite Trend – gut oder schlecht – geht in eine andere Richtung.
Wie sehen Sie das Zinshaus-Segment in der näheren Zukunft? Was wird derzeit gekauft?
TR: Nach anfänglicher Schockstarre spüre ich wieder eine vermehrte Nachfrage nach meinem Produkt. Allerdings sind die Kunden andere geworden. Es sind solche, wie es sie bis vor dem Ausbruch der Preisrally gegeben hat – konservativ denkende Menschen, die einen Teil ihres Vermögens langfristig in Immobilien investieren wollen. Sie nutzen die Gunst der Stunde und kaufen heute zu recht günstigen Preisen, allerdings nur 1a-Ware. Das Vorstadtzinshaus hat seinen Boden noch nicht gefunden, und für dieses erwarte ich 2025 weitere Preiseinbrüche.
Wie gehen die Banken mit der Situation um?
TR: Die Banken haben sich in den letzten zwei Jahren sehr kooperativ verhalten und sind den Kreditnehmern entgegengekommen. Sie haben Kredite nicht fällig- und die Zinszahlungen hintangestellt. Sie können aber diese Politik nicht nach Belieben fortsetzen, weil ihnen die FMA und die EZB im Genick sitzen. Zwangsmaßnahmen einzuleiten würde aber den Markt weiter drücken. Daher gilt auch hier: Augenmaß bewahren und keine Firesales à la Signa starten. Man wird sich die einzelnen Kreditverträge anschauen müssen und überhastete Zwangsmaßnahmen im ureigensten Interesse vermeiden.
Ihr Ausblick für 2025?
TR: Die Wirtschaftskrise war zuerst im Immobilienbereich spürbar. Das heißt, die Immobilienbranche hat früher daraus gelernt als die anderen Sektoren und kommt daher auch als Erste wieder aus dem Tal.
Und ganz ehrlich, wer sollte schwierige Zeiten besser überstehen als die Immobilie?