Die Botschaft: Der Wandel ist nicht mehr optional – er ist unumkehrbar
„Innovation und Nachhaltigkeit gelten dabei nicht länger als Kür, sondern als strategische Notwendigkeit – idealerweise im Zusammenspiel“, so Romina Jenei, Geschäftsführerin von RegioPlan Consulting, die sich seit Jahrzehnten mit ebendiesem Wandel befasst. „Das Konsumverhalten verändert sich schon seit Jahren – Händler und Handelsimmobilien müssen reagieren, sind unter Zugzwang und müssen neue Konzepte entwickeln, die stärker auf Dienstleistung, Freizeitaspekte und Emotionen setzen.“ Beispiele für urbane Konzepte setzen dabei oft auf Regionalität, Nachhaltigkeit, Reuse oder soziale Aspekte.
Kaufkraft ist nicht das Problem – aber sie fließt woanders hin
Eine aktuelle Analyse von RegioData Research zeigt: Die Kaufkraft der Österreicher ist seit 2016 kontinuierlich gestiegen – trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten und hoher Inflationsraten in den letzten Jahren. Im Jahr 2024 liegt sie nun erstmals wieder deutlich über der Inflationsrate – ein Effekt, der vor allem auf kräftige Lohnabschlüsse zurückzuführen ist. Auch für 2025 zeichnet sich eine Fortsetzung dieses Trends ab.
Während die durchschnittliche Kaufkraft steigt, verliert der klassische Einzelhandel dennoch Anteile: 2014 flossen noch 16 % der österreichischen Konsumausgaben in den stationären Non-Food-Handel, 2024 sind es nur mehr 12,6 %. „Das Geld ist also da, landet aber nicht mehr automatisch im Einzelhandel. Die Chance liegt woanders und das nicht zufällig, sondern strukturell“, so Amela Salihovic in ihrem Vortrag „Aufgedeckt by RegioData Research“.
Der Markt driftet auseinander – und die Mitte verliert
Ein zentrales Thema des Symposiums war die Erosion der „klassischen“ Mitte im Handel. Lange Zeit war sie das Rückgrat des Handels – heute verliert sie dramatisch an Boden. Die Mitte gerät immer mehr ins Niemandsland: zu gewöhnlich für Premium, zu teuer für Diskont. Die Konsumausgaben belegen den Trend:
Der Diskontanteil hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht und wird bis 2029 voraussichtlich über 20 % erreichen. Luxus wiederum wächst kontinuierlich – selbst in Krisenzeiten. Lag sein Anteil 2014 noch bei 13 %, könnte er bereits in fünf Jahren bei 18 % liegen.
Die Mitte hingegen verliert dramatisch – über 20 Prozentpunkte in nur 15 Jahren. Der Grund ist klar: Diskont befriedigt das Brauchen – funktional, günstig, effizient. Luxus dagegen spricht das Wollen an – emotional, exklusiv, erlebnisorientiert. Die Mitte bietet weder das eine noch das andere – und fällt damit zunehmend durch das Raster.
„The Next Big Arenas of Competition“ – Etablierte Anbieter im Rückspiegel
Während viele etablierte Händler um Relevanz kämpfen, wachsen neue Player mit rasanter Geschwindigkeit. Der Online-Pure-Player Amazon bleibt zwar unangefochten an der Spitze – mit über 1 Mrd. € Umsatz in Österreich – doch Temu und SHEIN demonstrieren eindrucksvoll, wie disruptiv digitale Geschäftsmodelle sein können.
Beide Plattformen zählen heute bereits zu den 20 umsatzstärksten Onlinehändlern in Österreich – Temu mit einem geschätzten Jahresumsatz von 105 Mio. Euro, SHEIN mit etwa 75 Mio. Euro.
Zwar reicht es aktuell noch nicht für die Top 10 in Österreich, doch die Prognose ist eindeutig: 2025 werden sie unter den Top 10 der Onlinehändler angekommen sein. Auch der TikTok-Shop ist (laut Alexander Kleinszig) auf dem Vormarsch und könnte vor allem das Einkaufsverhalten direkt in soziale Medien bei der jüngeren Käufergruppe revolutionieren.
Die Dynamik ist schon fast atemberaubend – und der Druck auf traditionelle Handelsstrukturen wächst.
Die entscheidende Frage: Umlenken oder untergehen? Alexander Kleinszigs Antwort darauf: „Wir haben etwas, das der E-Commerce nicht hat: die physische Welt. Unsere Städte, Straßen, Infrastruktur, Gastronomie – echte Orte mit Identität. Das ist kein Nachteil, sondern ein Wettbewerbsvorteil.“ Jetzt gilt es, ihn wieder sichtbar zu machen. Mit „Rebirth of City“ stellte er ein Konzept vor, das künftig Logistik mit stationären Shops so verflechten soll, dass kurze Wege und optimale Warenverfügbarkeit garantiert sind und so die Städte vom Onlinehandel profitieren könnten.
Räume neu denken – von Handelszonen zu Erlebnisräumen
Wie das funktionieren kann, zeigte Herman Kok in seinem Vortrag: „Internationale Erfolgsbeispiele von Einkaufszentren, die sich in multifunktionale Orte verwandeln“ – mit Freizeit, Gastronomie, Dachnutzung, öffentlichen Ankern, Erlebniszonen und digitaler Verbindung zur Zielgruppe.
Statt klassischer Retailblöcke braucht es neue Konzepte, die Räume vielfältig nutzbar machen: sogenannte Vertical Mixed-Use-Modelle vereinen Handel, Gastronomie, Freizeit, Wohnen und Arbeiten in einem Gebäude. Public-Private-Partnerships ermöglichen dabei innovative Nutzungen, die auch soziale oder kulturelle Funktionen integrieren – etwa Familienangebote oder Bildungsräume.
Für die jüngere Zielgruppe gewinnen visuell attraktive, erlebnisorientierte Flächen an Bedeutung – sogenannte „Instagramable Spaces“, die zum Verweilen, Teilen und Wiederkommen einladen. Und schließlich tragen begrünte Dächer und Begegnungsräume dazu bei, urbane Zentren auch ökologisch und sozial aufzuwerten – als Orte für Austausch, Naherholung und Gemeinschaft.
Das Prinzip: Statt Verkaufsfläche – Erlebnisräume schaffen. Statt Frequenz allein – emotionale Bindung.
Das Retail Symposium by RegioPlan 2025 machte klar: Unsere Städte und Handelsimmobilien wurden nicht für Algorithmen gebaut – sie leben durch Menschen. Nachhaltig können Immobilien nur sein, wenn sie einen Nutzen bringen, also von Menschen gebraucht oder gewollt werden und emotionalisieren. Die Zukunft des Handels wird nicht verwaltet – sie wird gestaltet. Zur Transformation braucht es mutige Innovationen, gezielte Investitionen und neue Partnerschaften die über klassische Branchen- und Denkmuster hinausgehen.