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Detroits neue W(i)ege

Eine verfallende Stadt dient als Anschauungsobjekt für neues urbanes und landwirtschaftliches Leben in den Großstädten. Wo einst Fabriken standen, sprießt jetzt Biogemüse– direkt in der Stadt.

„Last night I went to sleep in Detroit City“ lautet die Zeile eines alten Lieds über die US-amerikanische Autostadt. Heute will niemand mehr in Detroit City schlafen, auch nicht mehr leben. Nicht einmal die Bewohner selbst.

Wer kann, der verlässt die Stadt– rund 15.000 Einwohner sind es jährlich, und aus den einst zwei Millionen Einwohnern sind mittlerweile 700.000 geworden, Tendenz sinkend. Selbst das Zentrum ist zur Rushhour fast menschenleer, und ganze Viertel sind reine Geisterstädte. Wer die Stadt verlässt, der tut es mit dem Auto, denn in der Michigan Central Station ist der letzte Zug im Jänner 1988 abgefahren. Seitdem verfällt das Bauwerk, und die Stadt hat kein Geld, es zu renovieren– so wie bei vielen anderen Gebäuden auch.

Keine Infrastruktur in vielen Vierteln

Heute gibt es in einigen Stadtteilen fast keine Infrastruktur mehr. Schulen, Bibliotheken, Museen, Sport- und Konzerthallen sind geschlossen. Supermärkte und Lebensmittelgeschäfte sind nur noch in den wenigen wohlhabenden Vierteln zu finden. Schon 2006 schlossen in zahlreichen Gegenden die letzten großen Supermarktfilialen. Eine halbe Million Detroiter gelten als Bewohner der „Food Desert“, der „Lebensmittelwüste“. Nur in Tankstellen oder Eck-Kiosken gibt es Dauerwaren in Dosen. Frisches Gemüse, Obst oder gesundes Essen ist de facto nicht zu bekommen.

Hauspreise sind inexistent

Die Immobilienpreise sind nicht im Keller, sondern weit darunter. In einigen Gegenden kann man sich das eigene Haus bereits um 1.000 oder 500 Dollar kaufen, teilweise werden Häuser auch schon um 50 Dollar angeboten. Diese Preise interessieren aber in der Gegend niemanden, denn wer um diesen Preis kaufen könnte, der befindet sich in einem Stadtteil, in dem es auch sonst genug freie Flächen gibt, und die sind kostenlos: Die Menschen haben viele Häuser einfach verlassen, der kreditgebenden Bank die Schlüssel hinterlassen, und die Sache war erledigt– zahlreiche Fabrikhallen stehen ebenfalls leer.

Für die verlassenen Grundstücke und verfallenden Häuser interessiert sich niemand mehr, und das ist eine Chance für neue Ideen. Es bildeten sich kleine Gruppen und Netzwerke, die gemeinsam die noch bewohnbaren Häuser renovieren und danach darin leben. Niemand schreitet gegen die Besetzungen ein. Die Ruinen im Umkreis bauen die Bewohner gemeinsam mit Helfern ab, zudem hat die Stadt im Frühjahr eine große Abrissaktion gestartet. Aus dem brauchbaren Holzmaterial zimmert man neue Möbel oder renoviert andere Häuser. Was nichts mehr taugt, wird daheim als Brennholz verheizt, oft in selbst gebauten Holzöfen aus Öltonnen.

Von der Brache zur Kulturlandschaft

Ist das Grundstück leer, wird es umgegraben und in Agrarfläche verwandelt. Ungenutzte Parkplätze, alte Industriezonen, vernachlässigte Hausgärten: Den neuen Biobauern von Detroit ist es völlig gleich, wo sie neue Anbauflächen schaffen. Ihre Stadt soll grüner werden, nicht weil es schöner aussieht, sondern damit die Einwohner ihr eigenes Obst und Gemüse auf dem Teller haben– denn wo Geld knapp ist, wird auch die Nahrung knapp. Immerhin gibt es in einigen Bezirken eine Arbeitslosenquote von 75%.

Über 120.000 Freiwillige haben in Detroit mittlerweile 4.000 Grundstücke aufgeräumt und 1.500 Häuser renoviert und saniert. Zerfallene Fabrikhallen werden zu Gewächshäusern umfunktioniert. Ziegen, Hühner und Gänse grasen und picken in aufgegebenen Gärten, rund 1.000 Kleinfarmen sind in den vergangenen Monaten und Jahren entstanden. Detroits Innenstadt wird für die Landwirtschaft genutzt. Die von den „Urban Gardeners“ (Stadtgärtnern) erzeugten frischen und gesunden Lebensmittel werden auf den selbst organisierten Märkten verkauft oder gegen andere Waren und Güter eingetauscht. Ganz nebenbei hat sich dadurch eine neue, gesunde Ernährungsweise etabliert, deren Auswirkungen trotz aller materiellen Not sehr erfreulich sind: Die Leute sind schlanker, gesünder und fitter.

Gemeinsam ist man stark

Die billigen Wohnungen und Häuser geben vielen Neuanfängern den Freiraum, mit kreativen Geschäftsideen zu experimentieren. Die Menschen entwickeln neue Ideen und gründen kleine Unternehmen. In Detroit versucht man, mit sozialen, ökologischen und nachhaltigen Projekten das gemeinsame Leben zu verbessern. Es geht meist nicht um materiellen Profit, sondern um den gemeinschaftlichen Nutzen. Alles dreht sich um Gemeinschaft und Zusammenarbeit. Man kauft lokal und regional, versucht überall, alle anderen einzubeziehen, vernetzt sich und arbeitet nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung– und auf der Basis von Vertrauen und des gegebenen Worts. Das Biotop Detroit lebt, und die Stadt, die einst ein Wahrzeichen der Automobilindustrie war, scheint wieder ein Wahrzeichen zu werden– diesmal allerdings für die Landwirtschaft. Vielleicht will man doch irgendwann wieder in Detroit City übernachten …

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Walter Senk

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  • Erschienen am:
    07.06.2013
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