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"Wir brauchen keine Politik der Eintagsfliegen, sondern eine gemeinsame Strategie."

Trotz multipler Krisen muss der Wohnbau in Österreich absolute Priorität haben. "Sozialer Friede ist eine Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft", meint Klaus Baringer, Vorstandsvorsitzender der GESIBA und Obmann des GBV im Interview mit der Immobilien-Redaktion.

Klaus Baringer, Vorstandsvorsitzender der GESIBA und Obmann des GBV

© Eva Kelety

Wir leben in einer sehr ungewöhnlichen Zeit.

Klaus Baringer: Das stimmt, die Zeit ist geprägt von multiplen Krisen. Meine Antrittsrede als GVB-Obmann im Mai 2022 habe ich unter das Motto gestellt: „Stabilität in Bewegung“. Wir wussten, dass es mit dem Kapitalmarkt so nicht weitergehen kann. Was wir aber nicht voraussehen konnten, war die explosive Mischung durch die Entwicklung der Baupreise – wir können durchaus von einer Verdoppelung gegenüber der Zeit vor Corona sprechen–, die rasch gestiegenen Kapitalmarktzinsen, die hohen Grundstückspreise und den Krieg in der Ukraine.

Wie zeigen sich die multiplen Krisen in den Fertigstellungszahlen?

KB: Wir hatten 2023 eine Fertigstellung von 14.900 Wohnungen durch die gemeinnützigen Bauträger. Das sind zehn Prozent weniger als im Zehnjahresschnitt. Für 2024 werden lediglich 14.100 Wohnungen erwartet und für 2025 maximal 11.000. Alles, was wir jetzt tun, um zusätzlichen Wohnraum fertigzustellen, kann sich frühestens ab 2026 auswirken.

Man hatte vor der Nationalratswahl das Gefühl, das Thema Wohnbau steht nicht wirklich auf der politischen Agenda.

KB: Das sehe ich nicht so – das Thema ist der Politik nicht fremd. So hat etwa Wien ein Programm ins Leben gerufen, durch das in den nächsten zwei Jahren 22.200 geförderte Wohnungen auf den Weg gebracht werden sollen. Den politischen Entscheidungsträgern ist die Wichtigkeit von Investitionsmaßnahmen bewusst. Wohnbau ist auch ein maßgeblicher Motor für die Bauwirtschaft und damit für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaftsentwicklung. Die Wohnraumversorgung der Bevölkerung dient zudem auch dem sozialen Frieden. 

Im Sommer gab es einem Schulterschluss von gewerblichen und gemeinnützigen Bauträgern sowie den Bausozialpartnern – die Allianz Wohnbau Österreich.

KB: Sozialer Friede ist eine Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft. Das ist auch die Basis unseres Zusammenschlusses. Unser Forderungsprogramm beinhaltet viele Themen bis hin zu Fragen der Verfahrensdauer, zu gesetzlichen Erfordernissen und die Dekarbonisierung, die strukturell noch nicht aufgestellt ist. Vor fünf Jahren gab es noch Bewusstsein für die Abgrenzung zwischen den gewerblichen und den gemeinnützigen Bauträgern, jetzt haben wir zu einem Bewusstsein der Gemeinsamkeit gefunden. Wir wissen, dass wir unsere Ziele nur gemeinsam erreichen. Die Allianz Wohnraum Österreich soll als Plattform für den Dialog zwischen Bauwirtschaft und Politik dienen.

Wir brauchen keine Politik der Eintagsfliegen, sondern eine gemeinsame Strategie. Wir brauchen eine Plattform zwischen den Entscheidungsträgern der Politik auf den einzelnen Ebenen des Föderalismus und den Fachleuten und Bauexperten, um die Vorgaben der Politik im Einzelfall detailliert zu unterstützen. Die Aufgabe der Politik ist dabei vor allem die Zielsetzung.

Es gibt noch einen wesentlichen Punkt, der die Errichtung von Wohnbau betrifft, und das sind die staatlichen Fördermittel.

KB: Vor der Nullzinspolitik der EZB hatten wir jährlich etwa 1,4 Prozent des BIP als staatliche Fördermittel zur Verfügung. Das waren rund drei Milliarden Euro. Aktuell sind es nur zwei Milliarden, gemessen am BIP 0,5 Prozent. Der günstige Kapitalmarkt hat es der öffentlichen Hand ermöglicht, die Finanzierungsbeiträge des Staates herunterzufahren, da es nicht ausschlaggebend war, ob man mit Fördermitteln oder über den Kapitalmarkt finanzierte – und das hat sich jetzt maßgeblich gedreht. Um ausreichend leistbares Wohnen anbieten zu können – mit einer Miete, die angemessen ist –, müssen die Gemeinnützigen wieder mehr mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden.

Aber die Zinsen sind bereits wieder im Sinken.

KB: Der Zinsrückgang ist vor allem ein wichtiges Signal, dass die EZB ihre Pläne so umsetzt, dass ein weiterer Anstieg der Zinsen nicht zu erwarten ist. Für die Gemeinnützigen ist das allerdings zu relativieren. Die Finanzierungskosten sind nämlich ein wesentliches Element der Miete, und viele sind bestrebt, diese langfristig abzusichern. Daher liegt der Drehpunkt beim langfristigen Fixzinssatz, der wesentlich stabiler ist als kurzfristige variable Zinssätze. Das heißt, eine Auf- oder Abwärtsbewegung kurzfristiger variabler Zinssätze ändert für uns nicht viel. 

Immer wieder werden Stimmen laut, die eine Reduzierung der Standards fordern. Wird sich das nicht auf die Nachhaltigkeit von Gebäuden auswirken?

KB: Die vier Säulen des geförderten Wohnbaus – Ökonomie, soziale Nachhaltigkeit, Architektur und Ökologie – müssen weiterhin bestehen bleiben. Ich spreche mich dagegen aus, dass Wohnbau von Qualitäten Abstand nehmen soll – leistbarer Wohnraum muss mit Wohnqualität und unbefristeten Mietverträgen zusammenhängen. Die To-dos liegen für mich vielmehr bei der Beschleunigung und Erleichterung von Verfahren und bei einer aktiven Bodenpolitik für leistbaren Wohnraum.

Sie sehen die unbefristeten Mietverträge als einen wesentlichen Stellenwert.

KB: So ist es, es soll die Entscheidung des Mieters sein, den Vertrag aufrechtzuerhalten. Das gibt den Menschen Sicherheit in der Lebensplanung, und daher sind unbefristete Mietverträge vor allem in schwierigen Zeiten wie diesen unheimlich wichtig. Wenn ich meine Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Wohnen nicht decken und erhalten kann, dann bin ich als Mensch gefährdet. 

Daher sind auch die sozialstaatlichen Maßnahmen, durch die man seine Wohnung gerade in schwierigen Lebenssituationen behalten kann, sehr wichtig. Unabhängig davon sind die gesellschaftlichen Folgekosten bei Wohnungsverlust langfristig wesentlich höher. Und noch etwas: Bei Menschen, die von diesem Problem einmal bedroht waren, sind in der Folge die Mietverhältnisse weitaus weniger problematisch, als man gemeinhin glaubt. Sie gehen mit dem Wohnraum nämlich viel sorgsamer um, weil ihnen die Wichtigkeit viel bewusster ist.

Ein großes Thema ist derzeit der Bestand.

KB: Die Dekarbonisierung des Wohnungsbestands ist ein sehr komplexes Thema. Es wurden Standards für den Neubau geschaffen, aber das Thema Bestand wurde außen vor gelassen. Es gibt zwar Fördermittel für die thermische Sanierung, aber im derzeitigen System ist nicht klar, welche Kostenteile die öffentliche Hand übernimmt und welche die EigentümerInnen und die Nutzerinnen und Nutzer tragen. Wir haben Standards für den Bestand, die Verbesserung des CO2-Outputs ist definiert, aber es ist nicht geklärt, mit welchen Mitteln die Maßnahmen bezahlt werden. Es gibt ein Volumen an Förderungen, das sich in Österreich unterschiedlich auswirkt. Was fehlt, ist eine klare, einheitliche Struktur für das ganze Land, und da sehe ich den Bund in der Verantwortung. 

Wie sehen Sie die Zukunft?

KB: Das Rad muss nicht neu erfunden, aber in Bewegung gehalten werden. Wir benötigen Flächen für den Wohnbau, und Widmung ist ein Thema, das tief in den Föderalismus hineingreift – hier brauchen wir eine gesamtstaatliche Umsetzung. Es muss im Interesse der staatlichen Planung sein, dass qualitätsvolles Wohnen im mehrgeschoßigen Wohnraum forciert wird. Einige Punkte sind dabei entscheidend. Punkt eins ist das Thema Flächenwidmung und damit die Bereitstellung leistbarer Grundstücke. Punkt zwei ist, wie man mit der Ausnutzung von Widmungen umgeht. Das dritte Thema sind die Nachverdichtung und die Flächenversiegelung. Über Versiegelung wird derzeit viel diskutiert. Es ist aber nicht der städtische Ballungsraum, wo eine übermäßige Versiegelung stattfindet – sie kommt vor allem auf dem Land vor. Als vierten Punkt wünschen wir uns eine zentrale Ansprechstelle in der Bundespolitik – und natürlich fünftens die Zweckbindung der Wohnbauförderungsmittel. Die Gemeinnützigkeit kann der Hebel sein, der die Rezession in der Baubranche dreht. Es sind gesamtheitliche Strategien von Bund, Ländern und Gemeinden notwendig, damit der Wohnbau wieder angekurbelt wird. 

21.11.2024

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  • Erschienen am:
    21.11.2024
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