Die Fassade schimmert in verschiedenen Farbtönen, als wäre sie aus Edelsteinen gefertigt. Doch was auf den ersten Blick wie ein luxuriöses Designobjekt aussieht, ist tatsächlich purer Müll – oder besser gesagt: war es einmal. Das Münchner Bürogebäude MONACO, das im April 2025 im Werksviertel Grundsteinlegung gefeiert hat, wird zur Ikone einer neuen Architektur-Ära, in der Abfall zum Baustoff wird.
Ein 75-Millionen-Euro-Statement für die Zukunft
Mit einer Investitionssumme von 75 Millionen Euro setzt die Rock Capital Group aus Grünwald ein Zeichen: Nachhaltigkeit und spektakuläres Design schließen sich nicht aus. Das von den niederländischen Architekten MVRDV entworfene Gebäude kombiniert 60.000 wiederverwendete Klinkersteine mit rund 20.000 schimmernden Recycling-Fliesen von Pretty Plastic – ein Novum in Deutschland.
„Das Thema Recyclingmaterial sichtbar zu machen, ist ein Cradle-to-Cradle-Bekenntnis", Andreas Wißmeier, Geschäftsführer der Rock Capital Group. „Viele Rohstoffe sind zu schade, um als Müll zu enden. Sie haben ein zweites Leben verdient." Dass dieses zweite Leben deutlich teurer ist als konventionelle Lösungen, nimmt der Projektentwickler aus Grünwald bewusst in Kauf. Die komplexe Fassade kostet erheblich mehr als eine Standard-Stahl-Glas-Konstruktion, aber: „Nur wenn es Vorreiter gibt, haben neue Ideen auch Chancen, wirtschaftliche Nachahmer zu finden."
Brandschutz als Hürde: Deutsche Behörden vor neuen Herausforderungen
Der Weg zu den bunten Plastikschindeln war steinig. Als erste Anwendung dieser Art in Deutschland musste das Projekt umfangreiche Brandschutz-Hürden überwinden. "Die Plastikschindeln kommen erstmals überhaupt in Deutschland in einer solchen Gebäudeklasse zum Einsatz", berichtet Wißmeier. Nur durch aufwendige Kompensationsmaßnahmen gelang es, eine gebäudespezifische Ausnahmegenehmigung zu erwirken. Das Ergebnis: Etwa zwei Drittel der Fassade werden aus Klinkersteinen bestehen, ein Drittel aus den innovativen Pretty-Plastic-Schindeln. Lediglich zehn Prozent der Fläche müssen aus brandschutzrechtlichen Gründen durch Keramik ersetzt werden.
Vom Schwimmbad-Pilotprojekt zur Münchner Premiere
Die Pretty-Plastic-Technologie hat bereits international für Aufsehen gesorgt. Das größte Pilotprojekt steht seit Herbst 2024 in Eindhoven: Das nationale Schwimmzentrum Tongelreep erstrahlt mit 30.800 Recycling-Fliesen auf 1.400 Quadratmetern. Die Architekten Overtreders W und bureau SLA, die das Material seit 2017 entwickeln, verwandelten ausgediente Fensterrahmen, Regenrinnen und Fallrohre in ein ästhetisches Fassadenelement.
Die Tongelreep-Renovation zeigt eindrucksvoll, wie Nachhaltigkeit und Design verschmelzen können. Die Fassade kombiniert eine robuste anthrazitfarbene Basis mit kleinformatigen Schindeln, die der Oberfläche Textur und Tiefe verleihen. Ein Farbverlauf in drei Grüntönen referenziert subtil die umgebende Landschaft des Tongelreep-Flusses. Peter van Assche, Mitgründer von Pretty Plastic, blickt stolz auf die Entwicklung: „In zehn Jahren haben wir Plastikmüll in ein Baumaterial verwandelt, das nun weltweit verwendet wird."
Champagner-Jade und Art Deco in Shanghai
Doch nicht nur Plastik wird zum Designelement – auch Glasabfall erlebt eine luxuriöse Renaissance. MVRDV, die Architekten des Münchner MONACO, schufen bereits 2021 mit dem Bulgari-Flagship-Store in Shanghai ein Meisterwerk der Recycling-Architektur. Die Fassade aus gesintertem grünem Glas entsteht komplett aus recycelten Champagner-, Bier- und anderen Glasflaschen und ähnelt Chinas kostbarstem Jade-Stein.
Das Projekt vereint kulturelle Einflüsse auf brillante Weise: Die Art-Deco-inspirierte Gestaltung spielt sowohl auf Shanghais historische Bedeutung als Ost-West-Handelsport als auch auf Bulgaris Schmuckdesign derselben Epoche an. Die goldenen Messingrahmen verleihen der Fassade das Aussehen von Jade-Schmuck, während eine nächtliche Hintergrundbeleuchtung den einzigartigen texturellen Charakter des Glases hervorhebt. Wie MVRDV-Gründungspartner Jacob van Rijs erläutert: „Mit der richtigen Behandlung und Detaillierung werden weggeworfene Champagner- und Bierflaschen zu einem Juwel für die Stadt."
Globaler Trend: Vom historischen Ziegel bis zur Bettfeder-Fassade
Der Recycling-Boom in der Architektur kennt keine Grenzen der Kreativität. In Berlin setzte David Chipperfield beim Neuen Museum auf 350.000 aufgearbeitete Backsteine aus der Umgebung, um das kriegsbeschädigte Gebäude über zwölf Jahre zu rekonstruieren. In Dubai entstehen K-Briqs zu 90 Prozent aus Bau- und Abbruchabfällen – mit besserer Wärmedämmung als konventioneller Beton und in interessanten Farbtönen.
Experimenteller wird es kaum: Für die Dubai Design Week 2017 gestalteten Fahed + Architects den Luxury Pavilion mit einer Fassade aus verflochtenen, recycelten Bettfedern der lokalen Abfallwirtschaft. In Hannover fanden alte Saunabänke eines Fitnessclubs als Fassadenverkleidung ein neues Leben, während in Marienwerder ein komplettes Ferienhaus aus recycelten Ziegeln entstand.
Der lange Weg zur Kreislaufwirtschaft
Trotz der spektakulären Einzelprojekte stehen Architektur und Bauwesen erst am Anfang der Recycling-Revolution. Nach Berechnungen des Bundesverbandes Boden und Steine landen aktuell nur 10,6 Prozent der anfallenden Materialien (13,7 Millionen Tonnen) nicht als zerkleinerte Schüttware im Bergbau, sondern werden zu neuen Baustoffen veredelt.
Das Münchner MONACO will diese Quote nach oben treiben – und dabei beweisen, dass nachhaltiges Bauen nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ästhetisch aufregend sein kann. Wenn das Gebäude 2027 mit seinen 4.000 Quadratmetern Bürofläche und 580 Quadratmetern Terrassen fertiggestellt ist, wird es nicht nur 40 Prozent CO₂ einsparen. Es wird auch zeigen, dass aus Abfall Architektur-Ikonen entstehen können – ein Recycling der besonderen Art, das dem Begriff Wiederverwertung eine völlig neue Bedeutung verleiht.