Die kontinuierlich steigenden Wohnkosten stellen für viele Europäer eine wachsende Herausforderung dar. Die EU spricht sogar von einer Wohnraumkrise in Europa und will einen Plan vorlegen. Sehen Sie Ähnlichkeiten in den einzelnen Ländern?
Sebastiano Ferrante: Ich sehe gleiche Tendenzen, zum Beispiel in Holland, Deutschland, Österreich oder auch der Schweiz: Die Rahmenbedingungen von Grundstücksbereitstellung bis Baurecht und Mietenregulierung nehmen immer wieder neue Formen an. Es ist daher nicht verwunderlich, dass wir ein riesiges strukturelles Angebotsproblem haben. Wir haben vor etwa 20 Jahren sukzessive aufgehört, ein entsprechendes Wohnungsangebot zu schaffen. Es wurde auch in zahlreichen Städten die demografische Entwicklung unterschätzt. In Berlin ging man 2005 davon aus, dass es 2025 rund 3,2 Millionen Einwohner geben würde, und jetzt sind es 3,7 Millionen. In Deutschland haben wir die innere Migration verpasst, denn die Leute ziehen dorthin, wo die Arbeitsplätze sind. Diese Entwicklung hat sich noch gesteigert, und jetzt fehlen überall die Wohnungen.
Das ist nicht nur ein Wohnungsproblem, sondern hat auch eine soziale Relevanz.
SF: Natürlich. Das ist unsere gesellschaftliche Hauptherausforderung in Europa. Wir bauen schon seit 20 Jahren zu wenig, und die Konsequenzen werden wir noch lange spüren. Auch wenn wir jetzt mit dem Wohnbau starten würden, würde es noch lange dauern, bis der nötige Wohnraum zur Verfügung steht.
Ist die Wohnungsknappheit in Deutschland und Österreich ein selbstgemachtes Problem?
SF: Ja, diese Entwicklung kann man unter der gleichen Politik subsumieren.
Warum wird von politischer Seite nicht massiv gegengesteuert?
SF: Die Politik sieht natürlich dieses Problem. Sie weiß aber auch, dass sie sich bei diesem Thema überall in Zielkonflikte begeben würde. Und wie gesagt: Würden wir jetzt zu bauen anfangen, würde es gute zehn Jahre dauern, ein entsprechendes Angebot zu schaffen. Was macht man daher? Man beginnt die Mieten zu regulieren, das ist einfacher als den Wohnbau anzukurbeln. Allerdings ist das auf lange Sicht der falsche Weg. Nehmen Sie das Beispiel mit einem Laib Brot: Auch wenn Sie den Preis regulieren, wird es nicht mehr Brot geben. Das Angebot zur Stillung eines Grundbedürfnisses wird verknappt. Der Wohnungsmarkt wird seinen Weg finden, wobei wegen der Verknappung immer das Risiko besteht, dass sich ein Schwarzmarkt entwickelt. Genau das erleben wir derzeit im Wohnungsmarkt.
In ganz Europa?
SF: In den Märkten mit einer stärkeren Eigentumsquote ist es nicht ganz so heftig, da es mehr Verfügbarkeit gibt, und ein weiterer wichtiger Faktor ist die Wertsteigerung als Teil der Wohlstandsbildung. Es wird zwar oft anders dargestellt, aber mit der Immobilie im Rücken ist das Nettovermögen in Italien und Deutschland nicht so weit auseinander.
Auf den Märkten mit sehr viel Mietanteil wie in Wien oder Berlin ist es schon jetzt drastisch und wird vermutlich noch schlimmer.
Für PGIM ergeben sich daraus allerdings neue Chancen in Europa.
SF: Für PGIM ist Wohnen aktuell die wichtigste Assetklasse, und wir erhöhen den Anteil. Wir investieren in die verschiedensten Formen von Wohnungen, unter anderem auch in Mikroapartments und Studentenwohnungen, oder konvertieren leerstehende Bürohäuser. In Mailand errichten wir klassische Eigentumswohnungen im bezahlbaren Bereich, ebenso in UK, allerdings handelt es sich dabei um Doppelhaushälften. Diese Wohneinheiten nennen wir „Single Family“. Die Mieten sind nicht höher als die ortsüblichen Mieten in den Gegenden, in denen wir investieren, und wir halten die Immobilien im Bestand.
Baut PGIM selbst?
SF: Teilweise. In UK arbeiten wir jedoch mit verschiedenen Bauträgern zusammen. Wenn dort zum Beispiel 1.000 Einheiten errichtet werden, dann nehmen wir davon 200 für unser Portfolio ab. Dadurch sichern wir die Vorverwertung für den Bauträger, er hat somit die Finanzierung und kann zu bauen beginnen; der Rest wird von ihm verkauft. Daher gibt es in solchen Anlagen eine Mischnutzung aus Eigentum und Miete. Diese Durchmischung hat viele Vorteile. Familien, die das Eigenkapital noch nicht aufbringen können, haben bereits die Möglichkeit, dort zu wohnen, und wachsen in die Wohnanlage hinein.
In Frankreich wiederum errichten wir Sozialwohnungen – Sie sehen, wir haben beim Wohnen verschiedene Strategien.
Wird man mit der Umwandlung von Office in Wohnen der Wohnungsknappheit entgegentreten können, oder ist das nur ein Teilaspekt?
SF: Die Konvertierung von Bürohäusern in Wohnprojekte kann nur einen kleinen Beitrag leisten. Die große Lösung ist das sicherlich nicht.
Wie schätzen Sie die aktuelle Marktentwicklung ein?
SF: Es ist zwar Spätherbst, aber wir sehen in der Immobilienbranche die ersten Frühlingssprossen, da die Liquidität langsam zurückkommt. Es gibt ausländisches Kapital der opportunistischen Investoren, und außerdem tritt eine neue Investorengruppe auf. Family-Offices kaufen in einer Größenordnung, die wir früher nicht kannten. Selbst vor fünf oder zehn Jahren war das nicht denkbar.
Woher kommt diese Entwicklung?
SF: Einerseits haben wir bei einigen europäischen Family-Offices eine unglaubliche Vermögensteigerung gesehen, andererseits haben wir einen Bullenmarkt bei den Aktien, etwa auch bei den Tech-Werten, denen die Family-Offices nicht mehr vertrauen. Sie wollen ihr Geld in einer Assetklasse parken, die eine gewisse Stabilität bietet. Investiert wird in eigene Immobilien und nicht in Beteiligungen oder Fonds, denn aus den Firmen- und Fondspleiten der letzten Jahre hat man gelernt. Das war ein Wake-up Call. Die Family-Offices waren bei Immobilien zu leicht aufgestellt, und darum holt man sich jetzt das Know-how von Profis in das Unternehmen, investiert allein oder gemeinsam mit anderen Privaten in eigene Immobilien und lässt diese auch professionell verwalten.
Wie sehen Sie generell 2026 und darüber hinaus?
SF: Auch wenn jetzt langsam der Optimismus zurückkommt: Es wird noch zwei trockene Jahre geben.