Ghezzo: Wie nachhaltig ist die Baubranche wirklich? Ist Nachhaltigkeit ein Marketing-Feigenblatt oder ein echter Wirtschaftsfaktor?
Strauss: Das Thema Nachhaltigkeit kann nicht mehr weggedacht werden. Die Frage ist, wie definiere ich Nachhaltigkeit? Was ist nachhaltig und was nicht?
Die Spanne reicht hier von der Planung bis hin zu den Materialien. Wir müssen mit allen Ressourcen sorgsam umgehen, und was wir haben, sollte auch wieder verwertet werden. In unserem Unternehmen gewinnen wir rund 60 % der Baustoffe, die wir für Beton benötigen, aus recycelbaren Materialen. 80 % aller Stoffe, die bei einem Hochhaus verwendet werden, können früher oder später dem Recycling zugeführt werden. Wir müssen beim Bau bereits wissen, wie wir das Material abbauen und wieder verwerten können.
Allerdings muss man aufpassen, bei den einfachen Dingen bleiben und sehen, wie man mit diesen umgeht. Wir sollten uns bei der Nachhaltigkeit auf Dinge konzentrieren, die auch kurzfristig und mittelfristig realisierbar sind. Es ist schon sehr gut, dass wir Häuser haben, die mehr Strom produzieren als sie verbrauchen, aber wir haben noch nicht die dafür notwenige Infrastruktur, um diesen Strom auch in großem Maße sinnvoll in das Stromsystem zu integrieren. Oder Häuserfassaden, die Strom produzieren. Wir arbeiten an der Hausfassade der Zukunft, über die sich Energie gewinnen lässt – das wird auch kommen, aber nicht von heute auf morgen. Dazu müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, der natürliche Wettbewerb ist derzeit durch die Förderungen noch verzerrt.
Wir bauen heute, aber ich muss mir Gedanken machen, was in 25 Jahren sein wird, das war vor zehn oder zwanzig Jahren noch kein Thema.
Wie sieht die Zukunft des Bauens aus? Werden Häuser tatsächlich aus dem 3D-Drucker kommen?
Strauss: Wir werden keine Roboter sehen und keine 3D-Drucker, außer wir wollen alle in den gleichen Einheitswohnungen wohnen oder in Bienenwaben. Es wird weiterhin der Mensch im Mittelpunkt stehen. Allerdings verändert sich derzeit die Art und Weise, wie wir bauen, total. Die Bauindustrie steht dort, wo die Automobilindustrie vor 20 Jahren war.
Inwiefern?
Strauss: Planung, Bauabwicklung, Abläufe und Errichtung werden immer vernetzter und digitaler. Wir arbeiten im Konzern an der papierlosen Baustelle. Seit 2011 beschäftigen wir uns mit dem BIM-Konzept und haben derzeit BIM 5 – und wir haben im Vergleich zu anderen Unternehmen österreichweit und deutschlandweit die meisten BIM-Mitarbeiter. Die Neuerungen betreffen auch die Abwicklung der Baustelle.
Wir haben vielfältige Planungstools, und damit wird die Logistik eine andere, was zum Beispiel Bestellung und Lieferung von Material betrifft. Wir sind über Netzwerke alle miteinander verbunden, haben Real-Time-Daten zur Verfügung und können daher zeitnah Entscheidungen treffen. Wir haben unter anderem eine Wetter-App, und alle 50.000 Maschinen sind über eine App zentral verbunden.
Wir haben sehr genaue Auswertungen und können damit unseren Maschinenpark steuern und sehen, wo wir mehr Geräte brauchen, und welche Geräte. Die Logistik auf der Baustelle ist eine ganz andere, und das ist ein enormer Wettbewerbsvorteil für uns. Abgesehen davon haben wir seit der Einführung rund zwölf Tonnen Papier gespart. Auch das ist Nachhaltigkeit.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
Strauss: Bei einen Wohnprojekt wie dem Hoch 33 weiß der Fassadenbauer im Vorfeld, wann er die Fenster liefern muss. Das Zeitfenster wird immer genauer. Zuerst kennt er das Quartal, dann den Monat, dann die Woche, den Tag, und schließlich wird punktgenau geliefert. Wir nutzen alle Vorteile der Digitalisierung, aber unsere Philosophie ist es, weiterhin das System rund um den Menschen aufzubauen.
Es wird immer stärker die Nähe gesucht zwischen den Planern und den Baufirmen. Das sind keine Kontrahenten mehr, sondern Partner an einem runden Tisch. Großprojekte von der öffentlichen Hand wie den Smart Campus der Wiener Netze haben wir in der vereinbarten Zeit, mit dem vorgegebenen Budget und in beeindruckender Qualität fertiggestellt. Das geht nur mit guter und durchdachter Planung und mit Kommunikation. Man muss die Scheu verlieren, die Dinge von Anfang an direkt anzusprechen, und offen miteinander kommunizieren.
Das ist oft der Fehler bei öffentlichen Bauten, dass man glaubt, der Gegner sitzt vis à vis und wartet, dass Fehler gemacht werden. Da muss ich die Einstellung der öffentlichen Hand in diesem Bereich kritisieren.
Die PORR AG ist mit den Bienen eine einzigartige Partnerschaft eingegangen: PORR ist das einzige Unternehmen, das ich kenne, das einen eigenen Bienenbeauftragten hat.
Strauss: Es gibt ja den berühmten Satz, der sagt, wenn die Bienen sterben, dann sterben drei Jahre später die Menschen. In China ist es schon so schlimm, dass in einigen Gegenden die Menschen mit Pinseln die Pflanzen bestäuben. Das ist kein zukunftsorientierter und nachhaltiger Weg.
Unser Bienenprojekt ist mir ein wesentliches Anliegen. Wir haben so viele Lagerplätze und Immobilien, dort stellen wir Stöcke mit Bienenvölkern auf. Wir haben derzeit bereits an über 100 Standorten Bienenstöcke und selbst in unserer Zentrale in der Absberggasse bereits 12 Kilo Honig gewonnen. Der Honig wird geteilt: 2/3 gehören dem Betreuer der Stöcke und 1/3 dem Eigentümer der Immobilie.
Für diese zahlreichen Standorte – und es werden natürlich laufend mehr – haben wir einen eigenen Bienenbeauftragten, der sich um alles kümmert.
Wenn Sie jungen Menschen das Thema Nachhaltigkeit näherbringen wollen, was geben Sie ihnen mit auf den Weg?
Strauss: Ich habe das Gefühl, dass die jungen Menschen heute schon sehr nachhaltig geprägt sind, aber am wichtigsten ist es, entsprechende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für sein Unternehmen zu begeistern. Man muss schon jemanden finden, der seine Arbeit gerne macht. Wir haben bei der PORR die Arbeitsplätze der Zukunft: Wir arbeiten und planen zuerst in der virtuellen Welt, und danach setzen wir das in die Realität um. Wir sagen unseren jungen Kolleginnen und Kollegen: Seid wissbegierig und neugierig. In der PORR Akademie bieten wir Weiterbildungsprogramme. Eine wirklich große Chance sehe ich bei den Frauen, die derzeit noch unterrepräsentiert sind. Nicht so sehr bei den technischen Berufen, sondern tatsächlich auf der Baustelle. Wenn Sie zur PORR kommen, dann sehen Sie schon heute viel weibliches Personal auf unseren Baustellen. Es gibt tatsächlich sehr viele Frauen, die diese Berufe ergreifen wollen, und wir geben ihnen die Möglichkeit dazu.
Was ist Ihr Appell an die Immobilienwirtschaft, um Nachhaltigkeit in allen Aspekten zu leben?
Strauss: Weiter so! Und einfach die Bedürfnisse der Menschen abbilden mit möglichst einfachen Themen, dann ergibt sich alles von selbst.