Im Laufe der Zeit wurden die Plätze am Wasser von der Industrie in Beschlag genommen. Die Wohn- und Kulturbauten, die Erholungs- und Freizeitnutzung der Auenlandschaften wurden durch den Zugriff der Industrie auf die immer unwirtlicher werdenden Flusssäume zurückgedrängt. Sie braucht die Kraft und das Volumen der Ströme, um ihren Energiebedarf zu decken, ihre Abwässer abzuführen, ihre Kühlungs- und Reinigungstechnologien zu entwickeln und effektiv zu nutzen.
Die Rückkehr ans Ufer
Jahrhunderte mussten vergehen, bis die Anziehungskraft der Flüsse auf den Menschen wieder in den Fokus städtebaulicher Wohnungs- und Repräsentationsplanung geriet. Erst als die Schifffahrt im Binnenland an Bedeutung verlor und die Industrie zusammenbrach, wurde die Wasserseite als Ort des städtischen Lebens wiederentdeckt. In den 90er-Jahren kam es endgültig zum Umdenken: Man wendete sich wieder dem Wasser zu und machte die Uferanlagen in vielen Städten der westlichen Welt zum Mittelpunkt langfristiger Stadtentwicklungsprojekte.
Unglaubliche Areale mitten in der Stadt
Man entdeckte die ungeheuren Chancen, welche die riesigen Hafen-, Gleis- und Industrieanlagen– viele auch sehr zentral gelegen– boten: in Vancouver und Boston, New York und Liverpool, Rotterdam und London. Ein bekanntes Beispiel für die Revitalisierung einer Uferbrache ist die Umwandlung der desolaten Londoner Hafengebiete Docklands in hochpreisige Wohn- und Geschäftsareale. Berlin hat als Resultat des „Wasserentwicklungsplans“, eines langfristigen und gesamtstädtischen Entwicklungsstrategieplans für die Berliner Wasseranlagen, „sein Wasser wiederentdeckt: als gestalterisches, stadttechnisches und touristisches Element“, wie es in einer von der Stadtverwaltung herausgegebenen Broschüre von 1998 heißt. Die Spree ist zwar im Vergleich zur Themse, Seine oder Donau ein eher bescheidener Fluss, doch Berlin verdient zweifelsohne den Titel „Wasserstadt“ mit seinen über 2.000 Brücken, zahlreichen Kanälen und seiner Vielfalt landschaftlich geprägter Uferanlagen.
Wohnen auf dem Wasser
Ein Engpass an Wohnungen war der Auslöser, der in den 60er-Jahren in Amsterdam junge Menschen auf Hausboote ausweichen ließ. Waren es damals günstige Wohnmöglichkeiten ohne gesetzliche Regelungen, so hat sich das mittlerweile verändert. Die Instandhaltung der Boote ist gesetzlich vorgeschrieben, und alle vier Jahre müssen sie in die Werft. Trotzdem liegen in den Grachten über 2.000 Wohnboote, die über Strom- und Wasseranschluss verfügen. Als günstige Wohnalternative kommen sie jedoch kaum mehr in Frage, da der Kauf eines traditionellen Hausboots rund 260.000 Euro kostet– plus die jährliche Abgabe für den Bootsplatz von 800 Euro. Das ist allerdings noch eine Okkasion im Vergleich zu Paris: Nur 900 Hausboote bevölkern die Seine-Ufer in Paris und Umgebung, was ein Hinweis darauf ist, wie teuer diese Wohnmöglichkeiten sind. Begonnen hat das „Leben auf dem Hausboot“ in den 70er-Jahren. Damals kostete ein Hausboot rund 60.000 Euro: ein Zehntel von dem, was heute zu zahlen ist. Ab 600.000 Euro gibt es– wenn überhaupt– fertig renovierte Hausboote, denn die Wartezeit für sie beträgt rund 15 Jahre. Dazu kommen noch 1.000 bis 1.500 Euro Gebühren– pro Monat. Dafür dürfen sich die Besitzer glücklich schätzen: Sie wohnen mitten in der Stadt an einem der begehrtesten Plätze in Paris mit direktem Blick auf den Eiffelturm. Wohnen am Wasser bleibt weiterhin ein Privileg.