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Mein Haus aus Müll

Luxus und Recycling: Widerspruch oder smartes Wohnkonzept einer kritischen Generation? Earthships als Aushängeschilder einer hinterfragenden Gesellschaft machen das Wohnen in Passivhäusern aus recycelten Materialien en vogue und bieten attraktive Alternativen zum klassischen Häuserbau. Sind Earthships die moderne Wohnform der Zukunft oder bloß Produkte für eine Randgruppe?

Es gibt ihn mehr denn je, den Traum von der grenzenlosen Freiheit, der Unabhängigkeit von all den wirtschaftlichen Umbrüchen, den Zwängen und Abhängigkeiten in unserer westlichen Gesellschaft. Angepasst an unsere heutigen Bedürfnisse beginnt ein neuer Zeitgeist einen Trend zu formen: nachhaltiges und leistbares Wohnen im Einklang mit der Natur und ohne auf die Annehmlichkeiten des hohen westlichen Lebensstandards verzichten zu müssen– und das in einem Haus aus Müll.

Wohnen zwischen Autoreifen: Luxus und Nachhaltigkeit als Philosophie

„Earthships“ heißen die neuen Habitate des modernen und ökologisch bewussten „Westlers“, die nicht nur leistbares Wohnen, sondern auch eine maximale Unabhängigkeit von sämtlichen Versorgungssystemen ermöglichen. Das Besondere daran: Earthships werden statt mit Ziegeln und Steinen aus recycelten Materialien wie Autoreifen, Dosen oder Flaschen gebaut. Das Passiv-Gebäude ist ein in sich geschlossenes, völlig autark funktionierendes System, das sowohl Strom als auch Zu- und Abwasser selbst produziert und für dessen Zu- und Ableitung sorgt. So ist das Earthship völlig unabhängig von staatlichen Strom- oder Wasserzulieferern bzw. Anschlüssen an das Kanalversorgungssystem.

Minimaler ökologischer Fußabdruck durch 40 Jahre Entwicklung

Sind Earthships eine besonders fortschrittlich-revolutionäre Erfindung des 21. Jahrhunderts, im Sinne von „Aus Alt mach Neu“? Nein, denn die vollkommen autarken Häuser wurden bereits in den 70er-Jahren von Michael Reynolds, einem amerikanischen Architekten, mit klarer Vision entwickelt. Angetrieben von der Wut über ungelöste Umweltprobleme und die Abhängigkeit von staatlichen Versorgungsnetzen fasste Reynolds den Entschluss, den ökologischen Fußabdruck durch Häuser, die aus recyceltem Müll bestehen, zu verringern.

Nach 40 Jahren Forschung und Entwicklung hatte Reynolds seine Bautechniken perfektioniert. Heute gibt ihm der Erfolg Recht. Seine Firma Earthship Biotecture bietet nicht nur Kurse und Lehrbücher für den Bau der verschiedenen Earthship-Modelle an, sondern ist auch darauf spezialisiert, ein- und mehrstöckige Earthships für jede Klimazone– von tropischen bis zu ariden oder polaren Gebieten– zu planen und zu errichten.

Katastrophenhilfe nach „Katrina“

Dabei hatte Michael Reynolds jahrzehntelang mit den bürokratischen Hürden der US-amerikanischen Regierung und ihren Bauauflagen zu kämpfen. Denn: Die Bauweise mit Autoreifen oder gar der Anschluss an die hauseigene Kläranlage war für die meisten Behörden Grund zur Skepsis. Erst durch den erfolgreichen Einsatz der Earthships in Katastrophengebieten armer Länder und letztlich durch ihre Notwendigkeit nach dem Hurrikan „Katrina“ an der Golfküste der USA fand der Staat Gefallen an der Idee des Recycling-Bauens.

Große Bauwelle in Europa– Österreich und Deutschland aber noch skeptisch

In Zahlen kann man den Erfolg genauer definieren: Seit 2006 werden jährlich rund 2.000 Earthships gebaut, nahezu alle in den USA. Mehr als 1.000 weitere Gebäude basieren auf den gleichen Prinzipien der Earthships, wurden aber nicht mithilfe von Michael Reynolds Firma errichtet. Die Tendenz ist weiterhin steigend, auch in Europa. Hier findet man Earthships in Tschechien, Portugal, Großbritannien (etwa in Brighton oder Fife), im spanischen Valencia und in den Niederlanden. In Österreich und Deutschland sind bisher noch keine Earthships realisiert worden, aber die weltweite Community wird immer größer.

Earthship-Projekte der anderen Art: Jugendherberge, Rehaklinik und Hotel

Die Community der Recycling-Bewegung wächst stetig. So finden in den USA immer mehr Menschen mit der gleichen Vorstellung einer nachhaltigen Lebensweise zusammen. Die „Greater World Earthship Community“ ist etwa eine Siedlung nur aus Earthships. Und bisher wurden nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Jugendherbergen, eine Rehaklinik und sogar ein französisches Hotel aus dem recycelten Müll geschaffen. Mittlerweile kann der Normalbürger ohne große Finanzreserven und Bauerfahrung relativ schnell sein eigenes Earthship errichten.

Ein Haus ab 250 Euro pro Quadratmeter

Neben Bauland, einem rechtskräftigen Bauplan und einem guten Finanzplan gehören vor allem Mut und die richtige Einstellung dazu. Darüber hinaus sind die Finanzmittel für ein Earthship vergleichsweise gering. Ab 250 Euro pro Quadratmeter ist man dabei. In den USA können einfache Earthships bei hoher Eigenleistung bereits ab 50.000 US-Dollar (50 m² Wohnfläche) und größere Earthships (120 m² Wohnfläche) ab 300.000 US-Dollar realisiert werden. Die Kosten untergliedern sich hier hauptsächlich in Materialkosten (Fenster, Türen, Dämmungen, Schotter und andere Materialien, die zusätzlich zum recycelten Baumaterial gekauft werden müssen) und in die Planungs- und Baukosten der Firma Earthship Biotecture. Kleinere Kosten entstehen durch die Einrichtung von Fotovoltaik, Windrädern oder Batterien. Außerdem hat das NIBE– Nederlands Instituut voor bouwbiologie und ecologie BV, also das Niederländische Institut für Baubiologie und Ökologie– errechnet, dass ein Earthship neunmal weniger Umweltbelastung als ein konventionelles Wohnhaus bewirkt.

Highspeed-Internet und Waschnüsse: Zwei Lebensstile verschmelzen

Die Earthships verbinden nachhaltiges Wohnen mit dem Recyclinggedanken, dem Wunsch nach vollkommener Autarkie sowie dem Luxus zeitgemäßen Wohnens. So verfügt ein Earthship natürlich über Highspeed-Internetanschluss, einen Kühlschrank, eine Waschmaschine und einen Fernseher. Ein Earthship unterscheidet sich aber durch seine Bauweise gänzlich von klassischen Wohngebäuden.

Wohnen wie ein Hobbit: der Erdwall als Wohnrefugium

Durch die Verwendung hauseigener Energielieferanten, größtenteils Fotovoltaik oder Windräder, welche die Energie in Batterien speichern und anschließend in Wechselstrom umwandeln, ist das Earthship vollkommen autark. Es wird nur durch passive solare Wärme und die Wärmespeicherung durch Mauern aus Autoreifen beheizt. Eine natürliche Luftzirkulation kühlt das gesamte in sich geschlossene System.

Das Gebäude ist fast gänzlich in einen künstlich geschaffenen Erdwall gebaut. Nur die Frontseite ist verglast und lässt so das Sonnenlicht hineinscheinen. Die restlichen Hauswände sind vollständig aus Autoreifen errichtet, die mit Erde gefüllt sind und sehr gute Dämmeigenschaften und eine hohe Stabilität aufweisen. Die Lücken zwischen den Reifen werden mit Flaschen und Dosen aufgefüllt. Wegen der Umschließung des Gebäudes durch das Erdreich herrscht innerhalb des Earthships eine relativ beständige Temperatur, die sich auch im Winter kaum verändert. In sehr heißen Gegenden wird zusätzlich ein Kühlsystem eingebaut, in polaren Gebieten verfügt jedes Earthship über einen Ofen. Jeder Eingangsbereich eines Earthships weist einen eigenen Wintergarten auf. Hier wachsen kleine Obststauden oder Gemüse, etwa Tomaten, Kartoffeln oder Bananen.

Viermalige Verwendung eines Wassertropfens

Besonders die Ressource Wasser ist für ein autarkes System von entscheidender Bedeutung. So wird jeder Tropfen Regen-, Schmelz- oder Kondenswasser in ein Auffangbecken geleitet, in einer Filteranlage auf Trinkwasserqualität gereinigt und von dort in den hauseigenen Wasserkreislauf eingespeist. Das Besondere an der effizienten Wassernutzung: Jeder Tropfen Wasser wird insgesamt vier Mal verwendet, als Trinkwasser, zum Duschen und Reinigen, zum Bewässern des hauseigenen Wintergartens und als Toilettenspülung.

Wer jetzt selbst ein earthship errichten möchte, findet alle Informationen unter folgendem Link: http://earthship.com.

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Geschrieben von:

Katharina Wachter

Interview-Partner:
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  • Erschienen am:
    12.02.2015
  • um:
    19:22
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