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Ist uns der Hausverstand abhandengekommen?

Nachhaltigkeit ist notwendig, allerdings nicht um jeden Preis. Vielmehr gehören Anreize gesetzt, findet Peter Engert, Geschäftsführer der ÖGNI, und die Gebäuderichtlinien der EU sollten mit Blick auf Wirtschaftlichkeit umgesetzt werden. Und über die Nachhaltigkeit kommen wir dann im Interview auch auf gesellschaftliche Themen zu sprechen …

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Wie ist Ihre Einschätzung der aktuellen Lage?

Peter Engert: Man hat viel zu wenig Weitblick. Viele Unternehmen – und das betrifft nicht nur die Immobilienwirtschaft – haben eine Dividendenpolitik betrieben und wollten einfach zu viel. Wenn ich Geld ausgebe, obwohl ich es eigentlich für schwierigere Zeiten sichern müsste, dann bekomme ich in diesen Zeiten ein Problem.

Sie stehen als Geschäftsführer der ÖGNI in Österreich an erster Stelle, wenn es um die europäischen Anliegen und Richtlinien geht. Ihre Gedanken zur Umsetzung der europäischen Gebäuderichtlinie?

PE: Die EU-Gebäuderichtlinie fordert von den Mitgliedsstaaten, den Gebäudebestand so zu sanieren, dass Europa 2050 einen klimaneutral bewirtschaftbaren Gebäudebestand vorweisen kann. Es geht um thermische Sanierungen, um eine mit erneuerbaren Energien wirtschaftende technische Gebäudeausstattung. Die ÖGNI ist auf die Senkung der Betriebskosten fokussiert, ebenso wie auf die Verbesserung der Lebenszykluskosten von Gebäuden. Ich glaube, dass ambitionierte Vorgaben wichtig sind, etwas anzukurbeln. Wenn ich aber auf der einen Seite ambitioniert bin und auf der anderen Seite Gesetze beschließe, die das behindern, dann ist das kontraproduktiv. 

Natürlich müssen wir den Bestand sanieren, aber wir dürfen das nicht erschweren, wie es derzeit noch in vielen Punkten der Fall ist, sondern sollten es viel smoother machen. Das Ziel ist, alle Kräfte zu mobilisieren, weil sich alle freuen und alle profitieren – aber da muss man den Menschen Anreize bieten. Ich bin überzeugt davon, dass wir, wenn wir das Thema Nachhaltigkeit sinnvoll umsetzen, einen enormen Wirtschaftsschub bekommen.

 Sind die Vorgaben der EU machbar und realistisch?

 PE: Die EU-Gebäuderichtlinie ist ja nur eine Rahmenvorgabe, mit der man versuchen kann, nationale Ziele zu erreichen. Wenn ich das allerdings von vornherein als schlecht ansehe und mir gar keine Gedanken mache, wie eine Umsetzung aussehen könnte, wird es nichts werden. Die Richtlinie ist umsetzbar, sie bringt uns als Gesellschaft viele Vorteile, aber ob wir es bis 2050 in ganz Europa schaffen, bezweifle ich, schon allein aufgrund des Mangels an Fachkräften.

Die ÖGNI diskutiert seit Neuestem das Thema Suffizienz. Worum geht es dabei?

 PE: Suffizienz ist eigentlich nur ein hochgestochenes Wort für „ausreichend“. Es geht bei diesen Diskussionen darum, was wir wirklich brauchen. Das ist natürlich wieder ein „Aufreger“-Thema. In der Immobilienwirtschaft kann darüber diskutiert werden, über wie viel Wohnraum ein Mensch verfügen muss, welche Ausstattung wirklich nötig ist und vieles mehr.

Wir werden nicht den anderen sagen, was sie tun müssen, um Suffizienz zu erreichen, sondern bei uns anfangen und die Zertifizierungssysteme durchleuchten, um zu sehen, was notwendig ist. Wir werden ein neues Wort finden müssen, da ich „Suffizienz“ nicht in alle europäischen Sprachen übersetzen kann. Es wird einen neuen Begriff dafür geben. Was ich an der Geschichte so sympathisch finde, ist, dass wir nicht woanders beginnen, sondern bei uns selbst anfangen – beim DGNB-System. Das ist der richtige Schritt in die richtige Richtung.

 Wenn Sie von „durchleuchten, was notwendig ist“ sprechen, können Sie dafür ein Beispiel geben?

PE: Wenn man Schallschutzpaneele im Büro aufhängt, bekommt man Gutpunkte in der Zertifizierung. Das System läuft jetzt so: Wenn man fünf aufhängt, bekommt man mehr Punkte, aber drei Paneele würden ausreichen. Da sollten wir einen Strich ziehen und nur in dem Ausmaße einfordern, wie es notwendig ist. Das könnten wir auf viele Bereiche in unserem Leben anwenden. Wir sollten aber nicht mit dem Zeigefinger zeigen, sondern selbst nachdenken, ob wir Dinge, die wir komfortabel finden, noch benötigen.

Wie lässt sich Nachhaltigkeit in der Gesellschaft besser verankern?

PE: Die Menschen zu erreichen ist schwer, aber es geht. In der Politik spricht man auf der einen Seite immer nur von Verzicht, auf der anderen Seite macht man alles wie bisher. Das ist natürlich der falsche Ansatz. Ziel muss es sein, die Zugänge und die Gedanken in der Gesellschaft positiv zu verschieben. 

Wenn man es pragmatisch betrachtet, würde man das Omnibus-Projekt der EU-Kommission unterstützen. (Anm. d. Red.: Mit den Omnibuspakten sollen Wettbewerbs- und Klimaziele besser in Einklang gebracht werden.) Aber die Menschen verstehen es nicht, weil es ihnen falsch präsentiert wird. Mit der Erklärung, warum es notwendig ist, würde man viele Menschen abholen, die in der aktuellen Situation nicht erkennen, worum es geht. Man muss den Menschen alles ehrlich und transparent erklären: Den Ziegel verwenden wir wieder – DAS versteht jeder Mensch.

Ich muss den Großteil der Menschen erreichen und verstehen, wo der Schuh drückt. Und wenn ich nicht zuhöre, kann ich nicht pragmatisch denken und kann auf die Sorgen der Menschen keine Antwort finden – speziell, wenn ich deren Meinung schon im Vorfeld als Extrem-Meinung abtue.

Wir haben derzeit viele Herausforderungen in der Immobilienwirtschaft. Meinen Sie, dass wir jetzt diese Richtlinien überhaupt so umsetzen könnten?

PE: Nein. In der aktuellen Situation wäre es doch viel besser, eine Notverordnung für zehn Jahre einzuführen, um Sanierungen schneller durchzuführen und Erweiterung, Verdichtung und Aufstockung möglich zu machen. Dazu richtet man eine Bundesbehörde ein, die zentral über jedes Sanierungsprojekt entscheidet. Kompetent und vor allem sehr kurzfristig, um dieses Segment anzukurbeln. Die Bundesländer können entsprechende Beamte hinsenden. In zehn Jahren, wenn wir eine Sanierungsquote von vier bis fünf Prozent haben, kann man diese Notverordnung wieder aufheben.

Es gibt für viele Projekte Förderungen – ist das nicht genauso sinnvoll wie eine eigene Behörde?

PE: Nein. Wenn ich bei der aktuellen Zinslage ein Projekt um zehn Millionen finanziert habe und dann drei Jahre auf die Genehmigung warte, dann verliere ich so viel Geld, dass mir jede Förderung egal ist. Wir können nach wie vor fördern, aber es ist nicht notwendig. Viel besser ist ein schnellerer Genehmigungslauf. Die Genehmigungen für Bauprojekte dauern zu lange. 

Es wäre logisch, aber warum machen wir das nicht? 

PE: Ganz einfach: Die Politik beschließt etwas, aber die Beamten machen ihren Job wie bisher. Ich denke, es wäre nötig, die zuständigen Beamten in Richtung Nachhaltigkeit auszubilden und ihnen die Notwendigkeit und die Vorteile gut zu erklären. Marketing für Beamte.

Ist uns der Hausverstand abhandengekommen?

PE: Das denke ich nicht. Ich glaube nicht, dass die Menschheit verblödet ist. Den Hausverstand gibt es, aber die Frage ist, ob er angewandt wird. Man sollte auf die Themen pragmatisch zugehen. Es ist doch egal, ob der Klimawandel menschengemacht ist oder eine natürliche Ursache hat – er findet statt. Kreislaufwirtschaft brauche ich auch nicht zu diskutieren, weil weniger Rohstoffe vorhanden sind. Das ist kein Mythos. Ich glaube eher, wir haben die Fähigkeit verloren, pragmatisch zu kommunizieren, sodass uns das Gegenüber versteht. Wir haben den Pragmatismus der Übernahme von politischen Positionen geopfert. 

Wir leben in einer Bewertungs- und Empörungsgesellschaft.

PE: Es hat sich eine Bewertungs- und Empörungskultur entwickelt, wobei es fraglich ist, ob es eine Kultur ist. Aber die Menschen kommen aus ihrer Blase nicht heraus. Eigentlich müssten wir das Zitat von Adenauer beherzigen: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Aber wir lassen nicht zu, dass man die Meinung ändert. 

Wie könnte sich die Nachhaltigkeit verändern, wenn wir andere Formen der Energie bekämen, die nicht aus herkömmlichen und uns derzeit bekannten Energiequellen kommen?

PE: Ich glaube nicht, dass wir neue Erfindungen machen werden, aber die, die da sind, werden stetig erweitert und günstiger und effizienter. Etwa verbesserte Solaranlagen oder eine Kernfusion, die die Spaltung ersetzt und damit die Kraftwerke sicherer macht. Wobei die wirklich nachhaltigste Form der Energienutzung darin besteht, die Energie dort zu verwenden, wo sie produziert wird. Die Speichertechnologie wird deutlich günstiger, und ich hoffe auch, dass man sich in gemischt genutzten Stadtquartieren mit seiner Umgebung vernetzt und die Energie gemeinsam verwendet. 

Also autark?

PE: Das wird sich nicht ausgehen. Es wird die nationale Energieversorgung nicht ausschließen, aber ich brauche diese dann nur noch für die höchste Verbrauchsstufe. Ich verstehe in diesem Zusammenhang auch nicht die Haltung der Energiewirtschaft, die lediglich plakativ mitmachen, aber nicht wirklich etwas tun will. Hier könnte man eine Gemeinschaft schaffen zwischen Energieversorger, Kommune, Netzbetreiber und User. Das wäre zum Nutzen von allen. Gesetzlich gibt es da zwar noch einige Schwierigkeiten, aber das wird sich lösen lassen. Viel wichtiger ist die Kommunikation, die Angst zu überwinden, mit dem Nachbarn zu sprechen und gemeinsam etwas zu entwickeln. Ich bin überzeugt, dass der erste Energiebetreiber, das das vorantreibt, die Nase vorne haben wird. Wobei eine Energiegemeinschaft zwischen Waldviertler Häuslbauern und Tiroler Bergbauern keinen Sinn hat. Aber regional wäre es super!

08.03.2025

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Geschrieben von:

Chefredakteur bei

Immobilien Redaktion
Interview-Partner:

Geschäftsführer bei

ÖGNI - Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft
Dieser Inhalt:
  • Erschienen am:
    08.03.2025
  • um:
    15:00
  • Lesezeit:
    7 min
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