„Das Wort klimaneutral vermeide ich, weil es eine Erfindung der Politik ist.“ Wenn es um bezahlbares Wohnen geht, ist die nicht weit. „Klimaschutz trifft Städtebau: Das ist Kulturkampf, den kann man auch nicht mal schnell mit einem Gesetz regeln.“ Prof. Timo Leukefeld, Experte für Klimaautarkie und Zukunftsforscher, hielt die Keynote beim Neujahrsauftakt des Handelsverbandes Sachsen in der Business-Lounge in Chemnitz. Die Themen lagen klar auf der Hand: Wie bekommt man die Wohnkosten in den Griff und wieder ins Bauen? Und: Wie steht es um Deutschland hinsichtlich Innovation und Fortschritt?
„Die Politik wird der Immobilienbranche nicht aus der Krise helfen, wir müssen das allein machen. Jeder muss in seinem Umfeld nachdenken, was er an Innovation leisten kann.“ Timo Leukefeld ist Experte für energieautarke Mehrfamilienhäuser. Am besten erklärt sich sein Konzept an einem Beispiel aus Aschersleben, das (noch) europaweit einzigartig ist. Der Wohnblock in der Kopernikusstraße 10-16 wurde innerhalb von 13 Monaten von einem DDR-Plattenbau in ein energieeffizientes Wohngebäude umgewandelt und ist seit April 2023 bewohnt.
Inklusivmiete von 11,50 Euro pro Quadratmeter
Dank Photovoltaikmodule an der Fassade werden 60 Prozent des Strombedarfes selbst gedeckt, der Rest stammt aus grüner Energie. Die Beheizung erfolgt über Infrarotheizungen an den Decken, während das Warmwasser dezentral über Speicherlösungen aufbereitet wird. Die 22 Wohnungen werden für eine Inklusivmiete von 11,50 Euro pro Quadratmeter vermietet, in der sämtliche Nebenkosten wie Strom, Wasser, Heizung, Wartung und die Möglichkeit der E-Auto-Nutzung enthalten sind. Der Preis ist auf Jahre garantiert, Nachzahlungen entfallen, die nächsten Blöcke werden jetzt umgebaut. Bei der Sanierung wurde zudem auf Kreislaufwirtschaft gesetzt – es kamen Cradle-to-Cradle-Werkstoffe zum Einsatz. Zudem verursacht das Gebäude keine CO2-Emissionen und erfüllt damit bereits heute die Klimaziele der Bundesregierung für 2045.
Inklusivmiete und Energie-Flatrate: Für Timo Leukefeld ein Paket für die Zukunft. „Damit geht auch eine radikale Vereinfachung der Technik einher. Das wiederum hebelt ein Problem aus, was in der nahen Zukunft auf uns zukommt. Es gibt nicht genug Handwerker für die Technik, was die Reparaturkosten in die Höhe treibt. Da die Geräte nicht mehr so lange haltbar sind, müssen sie öfter repariert werden.“ Kabel statt Rohre verkündet Timo Leukefeld als Motto. Nicht zu vergessen die Rendite. „Investoren fragen nach der Höhe der CO2-Steuer. Die Pauschalmiete mit der Energieflatrate steigert die Mietrendite um mehrere Euro.“ Natürlich klinge es erst einmal viel, wenn Mieter in einem Cottbuser Projekt der eG Wohnen 1902 Cottbus 10,50 Euro pro Quadratmeter zahlen. „Wenn wir dann aber die Rechnung aufmachen, was sie vorher alles bezahlt haben, ist das jetzt wesentlich günstiger.“
Megatrends: "Unsere Systeme sind nicht vorbereitet"
Apropos Rechnung. Ob die aufgeht, werden wir erst in ein paar Jahren erfahren, was die Themen Deutschlands Wirtschaft und Innovationen anbetrifft. Das Zusammenhangwissen sei in Berlin verloren gegangen, die Realisierung, dass alle vor einem Paradigmenwechsel stehen, noch nicht überall angekommen. „In zehn bis 15 Jahren werden mehr Roboter verkauft werden als Autos.“ Zum einen sei das ein riesiger Markt, zum anderen zeige das einen Megatrend: den demographischen Wandel. Denn die meisten Roboter würden Verwendung als Assistenzsysteme finden, damit Menschen so lange wie möglich Zuhause bleiben können. Der Paradigmenwechsel gehe mit einer Effizienzsteigerung einher, getrieben durch Künstliche Intelligenz, Big Data, Blockchain, Digitalisierung. „Das ist eine rasend schnelle Entwicklung, unsere Systeme sind darauf nicht vorbereitet“, so Timo Leukefeld.
Im Fortschritt sieht er Deutschland – wenig überraschend – nicht sehr weit vorn. Und erzählte von einem Hotel in Japan, in dem ausschließlich Avatare arbeiten, von einem chinesischen Hochhaus, das aus dem 3D-Drucker kam, von Fensterfolien, die Sonnenlicht speichern. „Die sind schon erfunden, bevor sie allerdings in Deutschland Marktreife erlangen, wird es noch ein paar Jahre dauern.“ Oder von einer ausgedruckten Brücke, bei der durch eben diese andere Produktion 90 Prozent Kosten eingespart worden. Und von Dunkelfabriken: Das sind Gigawattfabriken, in denen Solarmodule hergestellt werden. „Dunkel werden sie genannt, weil es keine Fenster gibt. Licht wird nur angemacht, wenn es etwas zu reparieren gibt, ansonsten läuft das alles vollautomatisch.“ Und was fehlt noch in Deutschland? Begeisterung. „Ein 90-Jähriger kann noch Chinesisch lernen – wenn er sich in eine Chinesin verliebt hat. Nur die Motivation würde nicht reichen, es braucht dazu Begeisterung. Die ist uns abhandengekommen.“
REWE bringt Greenfarming auf das Supermarkt-Dach
Mike Michel von REWE zeigte vor der Keynote, wie die Supermärkte von morgen aussehen, beispielsweise mit Basilikum- und Fischfarmen auf dem Dach. 2009 baute das Unternehmen sein erstes Green Building. „Nachhaltigkeit ist für uns kein Modetrend“, so Mike Michel. „Damals waren wir die ersten.“ Insgesamt hat die Lebensmittelmarktkette 435 Green Building-Projekte in Deutschland, 303 davon sind fertig gebaut. Nun gehe es um die Weiterentwicklung. Holz ist für Mike Michel der Baustoff der Zukunft und damit eine Abkehr von Beton. „Zudem ist uns architektonische Vielfalt wichtig. Wir müssen weg von Bruttotypen. Im Portfolio haben wir sehr unterschiedliche Immobilien: Neubau, Bestand, Revitalisierungen mit Denkmalschutz.“