Dietmar Steiner: So wie jede menschliche Tätigkeit ist Architektur Ausdruck der Gesellschaft. Man muss aber unterscheiden zwischen dem, was als Architektur bezeichnet wird, und dem, was ein allgemeiner Bauzustand ist. Das ist ein gravierender Unterschied, denn nicht alles, was gebaut wird, ist Architektur. Bei Architektur muss man sich in einem innerarchitektonischen kulturellen Kontext bewegen, so wie in anderen Kunstgattungen auch.
2009:
Architektur ist immer auch ein Ausdruck des Zeitgeistes: Wie wird sich die Krise (Finanzkrise 2008 – Anm. d. Red.) auf die Architektur auswirken?
Dietmar Steiner: Zunächst möchte ich sagen, dass wir die Krise schon vor fünf Jahren kommen gesehen haben. Das haben nur die Banken nicht gewusst. Aber wenn man die gigantischen Bauten mit immer monströseren Formgebilden in den Golfstaaten sieht, dann war klar, dass es so nicht weitergehen kann. Es gab keinen Bedarf mehr danach. In Architekturdebatten war klar, dass man wieder zu einer vernünftigen Sicht der architektonischen Möglichkeiten kommen würde und zu einer vernünftigen und brauchbaren Architektur mit überschaubaren Mitteln.
Neue Materialien – neue Architektur: Welche Materialien werden die Architektur am meisten beeinflussen?
Dietmar Steiner: Man kann nicht wie in den 60er-Jahren sagen, in einer Materialform liegt die Zukunft. In jedem Materialbereich gibt es unaufhaltsame Entwicklungen mit dem Nachteil, dass man oft nicht mehr weiß, woraus ein Materialstück wirklich ist. Es wird auf allen Gebieten viel entwickelt, und es sind die Angebote für einen Architekten nicht mehr überschaubar. Es ist daher wichtig, eine Selektion zu machen. Allerdings weiß man nicht, wie die einzelnen Materialien in Verbindung miteinander reagieren und funktionieren werden, aber das ist ein Problem, das wir seit hundert Jahren kennen. Es fing um die letzte Jahrhundertwende an, dass man nicht mehr absehen konnte, wie sich Materialzusammensetzungen in der Praxis verhalten.
Behindernde Rahmenbedingungen im Wohnbau.
Dietmar Steiner: Es gibt mittlerweile ein überentwickeltes Regelwerk, wobei die einzelnen Regeln alle für sich im guten Glauben entwickelt wurden, aber in ihrer Gesamtheit sind sie zu viel. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Beim Schallschutz haben wir bereits eine Größenordnung erreicht, da ist mittlerweile – überspitzt formuliert – der Lärm aus der Wohnung auf der Straße lauter als der Lärm von der Straße in der Wohnung. Man muss auch beobachten, was beim Energiesparwahnsinn passiert. Wir kommen in Dimensionen, die nicht kontrollierbar sind, denn letztendlich ist das Energiesparpotenzial immer noch stark vom Nutzer abhängig. Solche Redimensionierungen würden natürlich auch die Preise senken.
Steigert Ihrer Meinung nach die Architektur den Mehrwert einer Wohnanlage?
Dietmar Steiner: Ja, denn Architektur ist nicht die Schönheit der Fassade, sondern Architektur kann intelligentere Grundrisslösungen anbieten. Gerade beim Wohnbau hat man von der Fassade nichts, weil man sie nicht sieht, wenn man aus seiner Wohnung hinausschaut. Man muss wissen, für wen man baut, und neben der Wohnung auch die öffentlichen Räume in einem Projekt sehen. Es geht um das Angebot von Nutzungsmöglichkeiten, die bei einem architektonisch überlegten Objekt größer sind. Es kann ja nicht sein, dass ich in einem minimierten Stiegenhaus vier Großwohnungen habe und die Eingangstüren so eng beieinander sind, dass sich die Bewohner, wenn sie gleichzeitig aus ihren Wohnungen gehen, die Köpfe anhauen.
Man möchte doch ein gewisses räumliches Angebot haben, und das bringt einen höheren Nutzwert, und ich habe eine Freude, wenn ich abends nach Hause komme.
Wo sehen Sie die Architektur in zehn Jahren, speziell im Wohnbau?
Dietmar Steiner: Wenn ich in die Zukunft blicken soll, dann schaue ich zuerst einmal 30 Jahre zurück, um herauszufinden, was sich seit damals geändert hat. Die klassische Familie ist ja nur ein Teil der Bewohner. Durch die gesellschaftliche Hybridisierung setzen sich immer mehr die neutralen Grundrisse der Wohnungen durch. Nutzungsneutrale Räume zu haben ist einfach wesentlich, da sich die Familienverhältnisse schnell ändern. Früher war das nicht so.
2007:
Dass Kunst in Zusammenhang mit Architektur steht, ist im Grunde nichts Neues, sondern hat eine lange Tradition. Auch heute wird vor allem bei Prestigebauten Kunst integriert.
Dietmar Steiner: Früher waren Kunst und Architektur überhaupt eine Einheit, erst in der Moderne haben sich die beiden Sparten getrennt. Heute ist es leider so, dass viele Architekten ein gespaltenes Verhältnis zur Kunst haben. Es hat bestimmt auch mit der Arroganz mancher Architekten zu tun, dass sie die Kunst nicht richtig schätzen können, was natürlich schade ist. Für andere Architekten hat Kunst dienenden oder schmückenden Charakter, was aber der heutigen Gleichberechtigung der Künste nicht entspricht.
Was haben Architekten und Bauherren davon, wenn sie Kunst in ihr Objekt integrieren?
Dietmar Steiner: Für einen Architekten kann die Miteinbindung von Kunst in sein Projekt ein zusätzliches Potenzial erwecken, das er unter Umständen selbst noch gar nicht erkannt hat. Der Bauherr hat mehrere Vorteile. Abgesehen von der üblichen Wertsteigerung durch Kunst werden auch noch zusätzliche Kommunikationswege eröffnet, die sonst nicht zugängig wären. Jedem Bauherrn sollte klar sein, dass Kunst sein Projekt in vielerlei Hinsicht wertvoller macht. Deshalb würde ich auch jedem Bauherrn einen lernenden Umgang mit Kunst empfehlen, so wie viele auch einen lernenden Umgang mit der Architektur pflegen.
Häufig kommt es vor, dass Bauherren mit Kunst zwar Engagement zeigen, gleichzeitig aber auch mangelndes Verständnis und schlechten Geschmack.
Dietmar Steiner: Bauherren sollten sich daher immer professionell beraten lassen und ihren persönlichen Geschmack hintanstellen. Die Qualität ist ein heikles Thema. Mit Kunst auf niedrigem Niveau kann so ein Engagement ins Negative kippen. Nichts schadet dem Image mehr als schlechte Kunst.