Die scharfen Zinssteigerungen, die galoppierende Inflation, geopolitische Unsicherheiten, hohe Baupreise sowie die Finanzierungsklemme für private Käufer durch die KIM-Verordnung sind ein toxischer Mix. „Es sind herausfordernde Zeiten am Immobilieninvestment-Markt, wie wir sie schon lange nicht mehr gesehen haben“, sagt Anton Cermak, geschäftsführender Gesellschafter Beacon Invest: „Wir bemerken eine rasant steigende Nachfrage nach Whole Loans, denn die kombinierten Zinssätze aus Bank- und Mezzaninfinanzierung sind mittlerweile teils teurer als ein Whole Loan.“ Da die Whole Loans ohne Bank abgewickelt werden, sind sie weniger kompliziert und führen wesentlich schneller zur Bereitstellung von Kapital, sieht der Geschäftsführer von Beacon Invest einen weiteren Vorteil.
Für die Banken springen jetzt andere in die Bresche
Privates Geld in großem Stil, aber auch Crowdinvesting ist längst nicht nur für „Privatpersonen“ gedacht, die ihr Geld in Immobilien investieren wollen. Die neuen Geldgeber hatten in den letzten Jahren Zeit, sich eine entsprechende Popularität zu erarbeiten, und verstärken ihr Engagement bei den Kreditnehmern. „Seitens der Kapitalnehmer ist es so, dass die Banken immer weniger Projektfinanzierungen anbieten können – somit steigt der Bedarf nach alternativen Finanzierungsformen wie Crowdinvesting“, meint Andreas Zederbauer, Vorstand dagobertinvest AG. Die Dynamik des Markts hat auch bei Brickwise Innovationen bewirkt, wie CEO Michael Murg erklärt: „Die Marktentwicklungen der letzten Monate führen zu gehäuften Anfragen hinsichtlich Kooperationen, und wir haben daher auch unser Geschäftsfeld auf B2B-Lösungen erweitert.“
Nicht neu
Einige der Kreditnehmer nützen diese Finanzierungsmöglichkeit schon länger. Die FMTG AG setzt seit 2016 bei ihrer Expansionsstrategie unter anderem erfolgreich auf Crowdinvesting. Der Erfolg gibt ihr recht, und bei den Zinsen besteht auch die Möglichkeit, diese über ein anderes System auszuzahlen, wie CEO Otmar Michaeler sagt: „Das Besondere an unserem Konzept ist die Möglichkeit der Zinsauszahlung in Form von Übernachtungsgutscheinen.“ Zwei Drittel der Anlegerinnen und Anleger wählen diese Form. Selbst in einem schwierigen Umfeld wie im letzten Jahr zeigt sich, dass die alternative Mittelstandsfinanzierung für beide Seiten eine attraktive Möglichkeit ist. „An der Erweiterung unseres Portfolios wird bereits gearbeitet, sagt Anne Aubrunner, Managing Director FMTG Invest: „Wir denken etwa über Möglichkeiten einer Direktbeteiligung an einzelnen Projekten nach.“
Privatpersonen weichen aus
Durch die seit 1. August 2022 in Kraft getretene KIM-Verordnung für nachhaltige Vergabestandards bei Finanzierungen von Wohnimmobilien hat sich die Nachfrage nach Immobilien deutlich reduziert. „Investieren möchten die Menschen aber trotzdem in Immobilien, denn eine Investition in Immobilien ist nach wie vor eine attraktive Möglichkeit, sich einen Sachwert mit hoher Stabilität zu sichern“, so Wolfgang P. Stabauer, geschäftsführender Gesellschafter von ÖKO-Wohnbau. Er geht davon aus, dass im ersten Halbjahr 2023 die Zinsen noch steigen, was eine Finanzierung von Immobilien nochmals wirtschaftlich schwieriger gestalten dürfte. Es ist daher zu erwarten, dass Privatpersonen immer mehr auf „Kleininvestments“ ausweichen werden. Wenn nicht eine ganze Immobilie, dann eben nur ein Teil davon. „In der Vergangenheit erwiesen sich Immobilien aufgrund ihrer geringen Korrelation zu Aktien und Anleihen als überraschend krisenresistent“, stellt Michael Murg von Brickwise fest.
Neue Kundenschicht dank Crowdinvesting
„Bereits jetzt geben zwei Drittel der Brickwise-Kundinnen und -Kunden an, zuvor noch nie in Immobilien investiert zu haben, ein Drittel hat bis dahin überhaupt noch nie Kapital veranlagt – ausgenommen Sparbuch und Bausparer“, meint Michael Murg über die Dynamik und Größe des Markts. Das Interesse neuer Kapitalgeber ist enorm. Lukas Müller, CEO von Rendity, bestätigt, wohin die Reise geht: „Wir haben ähnlich hohe Registrierungsraten wie im vergangenen Jahr.“ Da alle Emissionen im neuen Jahr in wenigen Stunden beziehungsweise Tagen ausfinanziert waren, konnten diese Projekte zum Großteil nur von Bestandskunden gezeichnet werden. Die Nachfrage neuer Kapitalnehmer ist groß, jedoch ist man bei der Auswahl der Projekte sorgsam. Auch die Investorinnen und Investoren werden bei der Auswahl selektiver und agieren risikobewusster. Lukas Müller: „Unser Fokus liegt auf hochwertigen Immobilienprojekten, und um diese Qualität garantieren zu können, arbeiten wir mit renommierten Partnern zusammen, die einen strengen Aufnahme- und Evaluierungsprozess durchlaufen haben.“
Für die Investoren entstehen durch die Umsetzung der EU-Verordnung für Crowdfunding-Dienstleister neue Produkte. Andreas Zederbauer: „Es werden nicht nur Dienstleistungen in neuen Märkten möglich, sondern wir werden Projekte auch mit Besicherungen ausstatten können, was uns die Ansprache neuer Zielgruppen ermöglicht.“ Das betrifft vor allem jene, denen das Crowdinvesting in Form von qualifizierten Nachrangdarlehen bislang zu risikoreich war: „Die können wir nun mittels banküblicher Sicherheiten abholen.“
Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Die Banken allerdings blieben außen vor.