Wie sehen Sie die aktuelle Wirtschaftslage?
Im Interview
Karl SeveldaKarl Sevelda ist ein österreichischer Bankmanager. Er war von 2013 bis März 2017 Vorstandsvorsitzender der Raiffeisen Bank International.
Sevelda: Seit dem Beginn der Krise 2008 sind mittlerweile fast fünf Jahre vergangen, und der wirtschaftliche Aufschwung kommt nur sehr langsam in Gang. In Europa führen die strikten Sparkurse und die hohen Arbeitslosenquoten dazu, dass vor allem viele junge Menschen in einer Atmosphäre der Perspektivenlosigkeit aufwachsen. Hier sind Politik und Wirtschaft gleichermaßen gefragt, wieder vermehrt positive Impulse zu setzen, Arbeitsplätze zu schaffen und durch Innovationen und hochwertige Produkte Europas Platz in der Weltwirtschaft nachhaltig zu sichern.
Wie schätzen Sie die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Europa ein?
Sevelda: Europa ist auf dem Weg aus der Rezession. Unsere Analysten sind sich einig, dass wir Ende 2013 in der Eurozone die Wachstumsschwelle erreichen und 2014 ein BIP-Wachstum von 1 bis 1,5% erwarten dürfen. Zuversicht ist angesagt, auch wenn wir in Europa noch viele Aufgaben zu bewältigen haben und die Politik hier eine Reihe mutiger Entscheidungen treffen muss.
Wo liegen derzeit die wesentlichen Herausforderungen in der Eurozone?
Sevelda: Europa muss seinen Platz in der Weltwirtschaft innerhalb der traditionellen Wirtschaftsblöcke und den immer einflussreicheren BRIC-Staaten (Anm: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) verteidigen und nachhaltig festigen. Es ist wichtig, bei notwendigen Reformen geschlossen aufzutreten und Entscheidungen zeitnah zu treffen. Gleichzeitig ist der Trend zur Überregulierung innerhalb der EU sehr bedenklich. Zu viele Regulierungen führen dazu, dass die Menschen aufhören, ihr Handeln zu hinterfragen, und stattdessen beginnen, ihre Verantwortung an das System abzugeben. Gerade Selbstreflexion und Eigenverantwortung sind aber Eigenschaften, die ich von meinen Mitarbeitern einfordere, da sie für kontinuierliche Verbesserungen unbedingt notwendig sind.
Welche Möglichkeiten hat man als Bank, sich in diesem Umfeld zu behaupten?
Sevelda: Indem man sehr breit aufgestellt ist! Das Erfolgsrezept der RBI liegt sicherlich in unserer Diversifizierung nach Ländern, Kunden und Produkten, die uns auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten einzelne Verluste mit guten Ergebnissen aus anderen Bereichen ausgleichen lässt. Darüber hinaus ist es für uns selbstverständlich, dass wir unsere Kunden in schwierigen Zeiten nicht fallen lassen, sondern mit ihnen gemeinsam versuchen, die Probleme zu bewältigen. Gerade in den letzten Jahren konnten wir damit einigen österreichischen Firmen helfen, die heute wieder schwarze Zahlen schreiben. Unsere Loyalität den Kunden gegenüber hat uns gestärkt aus der Krise hervorgehen lassen.
Wie lautet Ihre Meinung zum Wirtschaftsstandort Wien?
Sevelda: Wien bietet als Stadt nicht nur einen enorm hohen Lebensstandard, sondern ist auch als Wirtschaftsstandort sehr attraktiv. Durch die strategisch gute Lage im Herzen Europas, die exzellente Infrastruktur und die hochqualifizierten Arbeitskräfte ist Wien auch bei internationalen Unternehmen eine Top-Adresse. Aber es gibt sicherlich Raum für Verbesserungen. Österreichweit müssen abgabenseitig Reformen durchgeführt werden. Die aktuelle Steuerbelastung ist nicht nur im Bankenbereich eine echte Belastung, sondern vor allem auch für die vielen KMUs, die ja bekanntlich das Rückgrat der österreichischen Wirtschaft bilden. Auch im Bildungsbereich sind Reformen dringend notwendig, um auch in Zukunft garantieren zu können, dass unsere jungen Menschen sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten können.
Welchen Stellenwert hat leistbares Wohnen für eine Gesellschaft?
Sevelda: Wenn Wohnen zum Luxus wird, hat das selbstverständlich auch negative Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes. Vor allem für junge Menschen und Familien muss es möglich sein, sich ein eigenes Heim zu schaffen, ohne sich dafür finanziell übernehmen zu müssen. Der Bereich Wohnbaufinanzierung ist daher ein sehr wichtiges und verantwortungsvolles Thema. Durch unsere Finanzierungsmodelle können wir den Menschen ganz konkret helfen, ihre Lebensträume auch zu verwirklichen.
Was bedeutet Wohnen für Sie persönlich?
Sevelda: Mein Tag beginnt meistens schon gegen halb 6 Uhr und endet nicht selten erst in den späten Nachtstunden. Daher ist es für mich besonders wichtig, dass mir mein Zuhause einen Rückzugsort bietet für die Zeit mit meiner Familie. Momentan habe ich aber leider kaum Zeit, um meine eigenen vier Wände zu genießen.
Wie sehr hat Ihre Berufung zum Vorstandsvorsitzenden Ihren Berufsalltag verändert?
Sevelda: Mein Terminkalender ist schlagartig noch dichter geworden, obwohl ich davor schon recht gut ausgelastet war. Ich spreche mit vielen Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern hier in Österreich und in unseren Netzwerkbanken, um zu verstehen, in welche Bereichen ich in den nächsten Jahren meine Arbeitsschwerpunkte legen möchte. Da mir jedoch Herbert Stepic ein geordnetes Haus übergeben hat, macht mir diese Phase sehr viel Freude.
Wie wichtig sind für Sie Netzwerke?
Sevelda: Im Bankgeschäft sind solide Netzwerke und gute Kontakte zu Kunden, Investoren und Entscheidungsträgern wichtige Erfolgsfaktoren. Für mich steht hier vor allem das persönliche Gespräch im Vordergrund, denn um ein erfolgreicher Netzwerker zu sein, reicht es nicht aus, dass man sich selber gerne reden hört– man muss ein noch viel besserer Zuhörer sein. Erst durch das Zuhören begreift man, wo Schwierigkeiten auftreten und wo Chancen liegen können.
Welche Strategien setzen Sie im Unternehmen für die Zukunft?
Sevelda: Diese Frage wird mir in letzter Zeit häufig gestellt. Wir werden in Österreich weiterhin für das Großkunden- und Investmentbankengeschäft stehen; in CEE bleiben wir weiterhin eine Universalbank, die Retail-, Firmen- und Investmentbankgeschäft betreibt. Die RBI war eine der ersten internationalen Banken, die sich im CEE-Raum engagiert hat. Wir sind in 17 Ländern der Region vertreten und gehören in den meisten dieser Märkte zu den führenden Banken. Neue Prioritäten sind nicht notwendig. Unsere Strategie war und ist auf das Erwirtschaften nachhaltiger Erträge ausgelegt, und wir haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen in den einzelnen Märkten richtig einzuschätzen und entsprechende Ziele festzulegen. 2011 und 2012 waren wir die ertragsreichste österreichische Bank– das spricht eindeutig für die Qualität unserer Strategie, insbesondere in schwierigen Zeiten.
Welche persönlichen Ziele wollen Sie in den nächsten Jahren erreichen?
Sevelda: Ich habe vor, meinem bisherigen Führungsstil treu zu bleiben. Ich bin ein Mensch, der andere gerne überzeugt, ohne anzuschaffen. Ich glaube, dass man dadurch sowohl die eigenen Mitarbeiter als auch Kunden und Geschäftspartner nachhaltig für Aufgaben und Projekte begeistern kann. Und echte Begeisterung für eine Sache spornt Menschen immer dazu an, über sich hinauszugehen und sich selbst und ihre Leistungen kontinuierlich zu verbessern. Und ich möchte trotz des enormen Arbeitspensums versuchen, zumindest am Wochenende Zeit mit meiner Frau und meiner Familie zu verbringen.
Die Region CEE wird von vielen Immobilienexperten als eine der Wirtschaftsregionen der Zukunft bezeichnet. Wie lautet ihr mittelfristiger und langfristiger Ausblick?
Sevelda: Innerhalb der CEE-Region gibt es deutliche Unterschiede in der Entwicklung der Immobilienmärkte. Mittelfristig ist gerade im Vergleich zu Westeuropa noch viel Potenzial vorhanden, da sich unter anderem die rechtlichen Rahmenbedingungen für Immobilienentwickler und Investoren, nicht zuletzt bedingt durch eine EU-Mitgliedschaft, stetig verbessern. Mittel- bis langfristig werden hier vor allem die größeren Volkswirtschaften profitieren, und eine weitere Annäherung der stärksten Immobilienmärkte wie Russland, Polen und Tschechien an vergleichbare westeuropäische Märkte ist zu erwarten.
Welche Immobilienformen werden in den kommenden Jahren in CEE wesentlich sein?
Sevelda: Kurz- bis mittelfristig wird dies sicherlich der Markt für hochwertige Bürogebäude in Top-Lagen sowie für Einzelhandels- und Logistikimmobilien in den großen Metropolen der wirtschaftsstärksten CEE-Länder sein. Langfristig gesehen rechnen wir damit, dass auch der Markt für neue und qualitativ hochwertige Wohnimmobilien wieder an Attraktivität gewinnen wird, da sich hier bestehende Überkapazitäten langsam abbauen und das Neuinvestitionsvolumen in den meisten Ländern noch sehr verhalten ist. In Zukunft wird auch in den CEE-Ländern das Thema „ökologische Nachhaltigkeit“ im Immobilienbereich eine größere Rolle spielen.