Sind Sie lieber Architekt oder Politiker?
Zabrana: Beide Berufe ergänzen sich wunderbar. Als Architekt hat man ja das Problem, dass man in der Entscheidungsfindung auf andere angewiesen ist. Als Politiker habe ich die Möglichkeit, die Prinzipien des Städtebaus umzusetzen, ohne dass jemand dazwischensteht. In der Politik erhalte ich von den Nutzern von Immobilien außerdem unmittelbar ein Echo das ich als Architekt normalerweise nicht bekomme.
Verändert das den Blickwinkel?
Zabrana: Ja, durchaus. Ich würde vielen Architektenkollegen wünschen, dass sie ihre theoretischen Postulate auch einmal vor den Bewohnern ihrer entworfenen Häuser vertreten müssten.
Können Sie eine Übersicht über die Entwicklung der Wiener U-Bahn geben?
Zabrana: Bereits in den 60er-Jahren, unter dem Vizebürgermeister Felix Slavik, war die U-Bahn ein Thema. Es gab damals die berühmte Rathausmilliarde– eine Milliarde Schilling (ca. 72 Millionen Euro) auf der hohen Kante–, damit hätte die von vielen Seiten geforderte U-Bahn gebaut werden können. Letztendlich ist damals die S-Bahn eingeführt worden, damit man vom Umland leichter nach Wien pendeln konnte. Es war zwar das Netz noch rudimentär, aber es war ein Anfang. Slavik hat damals argumentiert, dass ihm die U-Bahn nicht fortschrittlich genug sei, und es bestanden Alternativen. Angeregt durch eine Schwebebahn, die in Wuppertal gebaut wurde, gab es die Idee einer aufgeständerten Bahn durch die Stadt, um nicht „ein Loch in die Erde zu bohren“. Man hat sich von der „ALWEG-Bahn“ oder den Magnetschwebezügen, die sich damals in Entwicklung befanden, sehr viel versprochen, und Slavik war der Meinung, dass man diese Phase einmal abwarten sollte. Dadurch ist viel Zeit vergangen, und Ende der 60er-Jahre hat man sich dann entschlossen, ein U-Bahn-Grundnetz zu bauen– zehn Jahre zu spät, wie manche gemeint haben. Das Grundnetz sah die damalige Stadtbahn und die U1 vor. Letztendlich ist die U-Bahn, und das sehen Sie ja, äußerst wichtig für die Stadtentwicklung. Nachweislich haben jene Gebiete, die an die U-Bahn angebunden sind, eine extreme Aufwertung erfahren, und solche Investitionen lohnen sich einfach für eine Stadt.
Was hat Sie bei der Stadtentwicklung am meisten erstaunt?
Zabrana: Die allgemeine Entwicklung der Stadt. In den 70er-Jahren wurden um 20 Uhr die Gehsteige hochgeklappt, aber jetzt hat sich Wien zu einer pulsierenden Metropole mit viel Tourismus entwickelt. Wien ist sehr attraktiv und hat viel zu bieten. Auch die Gastronomie boomt, und man hat veränderte Lebensgewohnheiten, man geht gerne aus, und das schlägt auf die Stadtstruktur durch.
Eine kleine Anekdote zeigt allerdings, wie sehr die Stadtentwicklung von der Realität eingeholt wird: Der frischgebackene Bürgermeister Franz Jonas meinte 1961 bei der Eröffnung der damals nur zweispurigen Matzleinsdorfer Unterführung, das Verkehrsproblem auf Jahrzehnte hinaus gelöst zu haben. Und bei der Eröffnung der Südosttangente hat Bürgermeister Gratz die Hoffnung geäußert, die umliegenden Straßen werden kaum mehr Verkehr aufweisen. Prognosen sind in der Stadtentwicklung oft problembehaftet. Aber es gibt auch noch andere Einflussfaktoren für die Entwicklung einer Stadt, die man nicht so sieht.
Welche?
Zabrana: Das Mietrecht ist zum Beispiel auch ein wesentlicher Eckpfeiler in der Stadtentwicklung, da die Leistbarkeit der Mieten und der Wohnungen die Entwicklung einer Stadt nachhaltig beeinflusst. Wenn die Mieten komplett frei gestaltet werden, dann werden sogenannte gute Gebiete noch teurer, aber auf der anderen Seite habe ich natürlich auch Gegenden, in denen sich verstärkt die ärmeren Schichten finden. Man muss den sozialen Aspekt viel mehr beachten. Eine Kahlschlagsanierung oder der Abbruch eines Hauses hat natürlich zur Folge, dass die Mietverträge erlöschen und die Bewohner auf Wanderschaft geschickt werden– für sie geht die Verbindung mit dem Grätzel verloren, und dieses verliert immer mehr seine Identität. Die Stadtteilbindung ist einer der großen Vorteile, die Wien immer noch hat, und das gelingt durch die sanfte Stadterneuerung.
Dadurch entwickeln sich ja immer neue hippe Grätzel.
Zabrana: Ja, das ist eine sehr spannende Sache. Es gibt immer wieder Viertel, die sehr „in“ sind, das wandelt sich so alle fünf bis sieben Jahre, dann wird die Fahne sozusagen an das nächste Grätzel weitergegeben. Jetzt ist gerade ein Teil des fünften Bezirks in Wien spannend, aber auch der eine oder andere Teil des zweiten Bezirks ist durchaus hip, und ich frage mich immer wieder: Was werden die nächsten Gebiete sein? Solche Gebiete sind am Anfang durch zwei Voraussetzungen geprägt: Das Wohnen muss leistbar sein, die Gegend darf noch nicht den Höhepunkt erreicht haben, und sie braucht einen Impulsgeber, wie die Einrichtung einer neuen Bildungsanstalt oder eine U-Bahn bzw. eine Einkaufsstraße. Es wird daher spannend zu beobachten sein, wie die Umsiedelung der Universität den Sozialstatus der Praterumgebung beeinflussen wird. Es wird interessant sein, wie sich das gegenseitig befruchtet. Aus hippen Grätzeln werden dann nach und nach etablierte Wohngegenden.
Was wäre ein Beispiel dafür?
Zabrana: In den 60er- und 70er-Jahren war der zweite Bezirk um die Praterstraße übel beleumundet, und heute ist es eine ausgezeichnete Wohngegend. Ein Wandel innerhalb eines Bezirks, der die Stadt beeinflusst, dauert so 30 bis 40 Jahre. Es sind ein bis zwei Generationen, die so einen Wandel tragen.
Kraft Ihrer 50-jährigen Erfahrung ein Blick in die Zukunft …
Zabrana: Wien wird sich sehr massiv verändern. Durch die Umgestaltung des Bahnwesens, durch die Freimachung der großen Kasernenareale entstehen viele Chancen. Das wird Wien in den nächsten Jahren prägen, und die Stadt soll ja auf zwei Millionen Einwohner anwachsen. Es wird wahrscheinlich zu einer Renaissance des Wohnhochhauses kommen, dadurch bedingt, dass man die Doktrin, 50% des Stadtgebiets sollen Grünland bleiben, nicht durchbrechen möchte. Es wird daher zu dichteren Wohnformen kommen. Das ist der Trend, der sich abbildet und der auch Thema der Diskussion über den Stadtentwicklungsplan 2025 ist.
Ein Problem, mit dem wir in der nächsten Zeit massiv konfrontiert sein werden, wird der Kampf um die Erdgeschoße in den Nebenstraßen sein. Wie werden diese weiter genutzt und von wem? Viele Flächen stehen leer und harren einer anderen Nutzung. Die Stadt hat die Konsequenzen gezogen und beispielsweise die Einzelgaragen untersagt.
Was könnte man aus den Erdgeschoßzonen machen?
Zabrana: Man sieht bereits eine Entwicklung in diesen preisgünstigen Lagen. Es gehen Ärzte in die Flächen, es entstehen Gruppenpraxen, die Kreativberufe siedeln sich an, Architekten, Designer, Werbefachleute– es sind ja auch außergewöhnliche Objekte. Früher war man in den Kreativberufen auf das helle Licht in Lofts oder Dachgeschoßen angewiesen, aber das hat sich gewandelt, da viel am Bildschirm gearbeitet wird. Die Revolution in der Büroarbeit kann durchaus dazu führen, dass die Erdgeschoße, gepaart mit leistbaren Mieten, einer anderen Verwendung zugeführt werden.
Was ich allerdings nicht glaube, ist, dass die kleinen Geschäfte oder das Kleingewerbe zurückkommen– man kauft in den Megastores oder im Internet, doch kaum bei spezialisierten Anbietern. Aber vielleicht irre ich mich– wie das so ist mit den Prognosen …