Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
Andreas Wollein: Wir haben in Summe einen stabilen Immobilienmarkt, aber auch einen giftigen Cocktail aus steigenden Energiepreisen, Inflation, Zinserhöhungen, Kriegsunsicherheiten und Versorgungsängsten erlebt. Es ist innerhalb kurzer Zeit zu viel auf einmal passiert, und das hat Verunsicherung erzeugt. Wer hätte gedacht, dass wir in Österreich einmal Versorgungsängste haben würden?
Wir hatten vor Kurzem ein Symposium mit den führenden Immobilienbewertern des Landes. Die Marktsituation ist für Bauträger besonders herausfordernd – vor allem der Wohnungsneubau leidet unter den aktuellen Umständen, da der Wohnungsverkauf stockt.
Dafür sind hauptsächlich die KIM-Verordnung und die 40 Prozent Eigenmittel bei der Kreditvergabe verantwortlich. Kürzlich wurde vonseiten der FMA bei einer Veranstaltung berichtet, dass die Verordnung nicht gelockert werden wird. Ganz im Gegenteil, es hieß, sie könnte noch strenger werden.
Ob die Geschwindigkeit, mit der die EZB die Zinsen erhöht hat, notwendig war, kann man hinterfragen. Die Auswirkungen einer Zinserhöhung und damit ein Rückgang der Inflation kommen immer erst neun bis zwölf Monate später am Markt an. Im Sommer 2022 wurde mit der Zinserhöhung begonnen, und jetzt erst spüren wir die Auswirkungen. Aber die Inflation ist schon von allein gefallen – es war eine Energieinflation.
Wie sehen Sie als Sachverständiger die aktuellen Preise?
Wir befinden uns noch immer auf einem stabilen hohen Niveau und sehen noch keine großen Veränderungen. Es haben zu wenig Transaktionen im Grundbuch stattgefunden, als dass man von einem Rückgang der Preise sprechen könnte.
Nicht der Bewerter macht den Preis, sondern der Markt macht den Preis. Wir bilden nur den Markt ab. Bei unserer Arbeit müssen wir nachvollziehen, wie der Markt tickt und denkt. Ziegelzählen alleine hilft nicht. Man muss in dem System sein und es verstehen, um zu wissen, wie der Markt reagiert.
Aber es gibt ja Preisrückgänge.
In gewissen Teilbereichen ja. Ein typisches Beispiel ist das sanierungsbedürftige Zinshaus außerhalb des Gürtels, das zu teuer eingekauft wurde. Da sehen wir tatsächlich Preisrückgänge. Die klassischen Beispiele sind Häuser mit Potenzial, aber derzeit hat keiner die Muße und das Geld, das Potenzial zu heben. Das Zinshaus ist eine attraktive Anlageform, aber das sanierungsbedürftige Zinshaus mit viel oder ganz viel Fantasie wird günstiger werden.
Wie lange können die Banken stillhalten?
Die Banken können so lange stillhalten, bis der tatsächliche Wert einer Liegenschaft eine gewisse Grenze unterschreitet, dann sind sie vom Gesetz her verpflichtet, etwas zu unternehmen. Derzeit sehe ich das nicht. Banken und Kunden werden versuchen, zusammenzuarbeiten. Es macht ja keinen Sinn, eine Liegenschaft zu versteigern und einen Verlust zu realisieren.
Banken könnten auch beginnen, selbst Liegenschaften zu kaufen, die marod sind. Sie kaufen die Immobilien von ihren Schuldnern und halten diese eine gewisse Zeit.
Halten Sie das für sinnvoll?
Ja, denn in ein paar Jahren wird der Markt wieder anders aussehen.
Wir hatten 2008 auch eine Schockstarre, wobei die Auswirkungen von Lehmann bei uns nicht so stark waren. Ganz anders in Spanien. Dort war – sprichwörtlich – jedes zweite Haus zu verkaufen. Aber der Markt hat sich erholt, und jetzt wäre man froh, wenn man damals gekauft hätte. In Spanien war die Situation anders als bei uns, da wurde auch in den Jahren davor am Markt vorbeiproduziert.
Wie geht es weiter?
Ich persönlich vergleiche die Situation mit der EXPO 1995 in Wien, dieser Weltausstellung, die nie stattgefunden hat. Im 2. Bezirk hat man sich gegenseitig Häuser verkauft und abgekauft, aber dann wurde die EXPO abgesagt, und es gab keine Transaktionen mehr. Alles ist auf stabilem hohem Niveau steckengeblieben. Dann ist der Markt wieder angesprungen, und das wird auch jetzt so sein.
Apropos Vergangenheit. Sie sind seit 40 Jahren in der Branche. Was hat sich allgemein in dieser Zeit verändert?
Es ist eine enorme Professionalisierung eingetreten hinsichtlich der Marktteilnehmer und der Ausbildung. Und auch bezüglich der Informationen. Als ich begonnen habe, hat man kaum redaktionelle Beiträge über Immobilien gelesen, während man heute mit Information geradezu überschüttet wird. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Immobilien und das Verständnis dafür hat zugenommen. Die ersten Tageszeitungen mit Inseraten und Artikeln über Immobilien waren eine Revolution.
Immobilien hatten damals keine Relevanz, sie waren unter dem Radar. Es gab auch keine Marktbeobachtungen. Ich habe 1993 mit dem Realpartners Index begonnen, in dem wir die aktuelle Preissituation in den jeweiligen Bezirken erfasst haben. Es war damals ein großer Aufwand, den Markt zu analysieren. Am Montag und Dienstag sind Studenten bei uns im Büro gesessen und haben die Zeitungsinserate ausgewertet. Heute funktioniert das auf Knopfdruck.