Wie stellt sich die Situation der Immobilienwirtschaft in der Ukraine derzeit dar?
Gomernik: Seit Jänner bzw. Februar sind viele Projekte von ausländischen Entwicklern eingestellt, das hat neben vielen handfesten Gründen aber auch eine banale Ursache: Seit dieser Zeit gibt es „Empfehlungen“ für Ausländer, nicht in die Ukraine zu reisen, was auch viele beherzigt haben. Dadurch wurden die Projekte nicht weitergeführt, da viele Entscheidungen von den zuständigen Projektverantwortlichen nicht mehr getroffen werden konnten. Bis auf kleinere Projektentwicklungen ist es derzeit auf dem Markt ruhig. Finanzierungen für weitere Projekte sind natürlich in der derzeitigen Situation nicht darstellbar. Der Großteil der Investoren ist in Warteposition, da das Risiko in der Ukraine derzeit schwer kalkulierbar ist.
Gilt das nur für ausländische Investoren und Projektentwickler oder auch für die ukrainischen?
Gomernik: Ich bin Leiter des Arbeitskreises der „Bau- und Immobilienwirtschaft der Delegation der Deutschen Wirtschaft“ in der Ukraine, und die einhellige Meinung aller Beteiligten ist, dass die aktuellen Projekte, die zu 75 % bereits umgesetzt sind, fertiggebaut und alle anderen Projekte und Vorhaben vorerst eingefroren werden. Diese Entscheidung betrifft sowohl internationale als auch lokale Unternehmen.
Zusätzlich gibt es natürlich auch finanzielle Herausforderungen.
Gomernik: Es gab eine starke Abwertung der ukrainischen Hrywnja zum Euro von 50 %. Anfangs stand der Euro zur Hrywnja im Verhältnis 1:10, im März betrug es kurzzeitig 1:18 bis 19, jetzt liegt es bei 1:16. Das erschwert nicht nur die Importe. Zusätzlich gab es ein temporäres Aussetzen des Finanzmarkts im ersten Quartal und ein Eingreifen der Nationalbank in das tägliche Bankgeschäft. Letztendlich hatte die Ukraine über Nacht keine Regierung mehr. Die Renditeerwartungen westlicher Investoren sanken im ersten Quartal, sie ist aber immer noch bei etwa 12 %. Der Refinanzierungsmarkt in der Ukraine ist intakt (unter der Prämisse, dass kein Krieg entsteht). Im Gegensatz zu 2008 gibt es diesmal keine Ausfälle von Kreditrückzahlungen des ukrainischen Staates.
Trotz aller Schwierigkeiten gibt es aber auch positive Entwicklungen in der Ukraine.
Gomernik: Das stimmt. Interessanterweise hat der Einzelhandel am wenigsten nachgelassen, was Projekte betrifft. Es besteht trotz der aktuellen prekären Situation Nachfrage von Entwicklern nach Projekten im Einzelhandel – das zeigt uns eindeutig unsere Auftragslage in diesem Bereich. Wobei ich aber sagen muss, dass es sich bei diesen Anfragen um Unternehmen handelt, die bereits auf dem Markt vertreten sind und nicht erst den Einstieg schaffen müssen.
Aber es zeigt, dass man langfristig an die Ukraine glaubt.
Gomernik: Ja, der Einzelhandel zum Beispiel sieht das Land als Zukunftsmarkt. Wobei ich ein sehr interessantes Phänomen beobachten konnte: Die internationalen Einzelhändler waren mit der Wintersaison nicht zufrieden, weil der Winter sehr warm war und die Ukrainer weiterhin ihre klassischen ukrainischen Märkte besucht haben statt der filialisierten Einzelhändler. Andererseits verzeichneten die Einzelhändler im März und April Zuwächse, weil die Menschen Hamsterkäufe getätigt haben. Aber es gibt auch noch andere sehr auffällige und positive Entwicklungen.
Welche positiven Entwicklungen gibt es noch?
Gomernik: Das Thema Energieeffizienz ist eines davon. DELTA ist Initiator und Gründungsmitglied des Ukrainischen Green Building Council, das vor zwei Jahren gegründet wurde, und sowohl das Council als auch DELTA verzeichnen einen Anstieg an Anfragen von ukrainischen Investoren im Bereich der Energieeffizienz. Die Haupttriebfeder ist hier die Angst vor steigenden Gaspreisen, aber es gibt auch die langsam wachsende Überzeugung, Projekte zukunftsfähiger gestalten zu müssen.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Automobilzulieferindustrie in der Westukraine. Einige deutsche Autobauer erweitern ihre bestehenden Werke. Der Markt gilt als sehr attraktiv, und zwar aufgrund der gut ausgebildeten Mitarbeiter in Kombination mit günstigen Durchschnittslöhnen.
Außerdem –und das finde ich auch für die weitere Zukunft der Ukraine hochinteressant – hat der Landwirtschaftssektor im Bruttoinlandsprodukt die Stahlindustrie als Nummer eins abgelöst. Unabhängig von dieser Entwicklung werden sich im Immobilienbereich sehr viele Möglichkeiten ergeben, denn da wird auch Infrastruktur benötigt.
Zu guter Letzt verzeichnen sehr viele Vermieter von Büroflächen eine hohe Nachfrage an Mietern aus dem IT-Sektor. Die Ukraine wird für viele Firmen, die ihre IT-Leistungen outsourcen, immer interessanter.
Wie schätzen Sie die weitere Zukunft ein?
Gomernik: Wenn sich alle Beteiligten einigen können, dann hat die Ukraine eine glanzvolle Zukunft vor sich. Jetzt warten wir einmal die Wahlen ab. Und für das heurige Jahr gilt es zusammen- und durchzuhalten!