In den nächsten Jahren wird das Ladenlokal weiterhin eine zentrale Rolle im Vertriebsnetz spielen, wobei Verbraucher in den meisten Ländern ihre Einkäufe in gleichem Maße sowohl in einem Ladenlokal als auch durch eine Lieferung nach Hause bzw. an den Arbeitsplatz tätigen wollen. Aktuell hat das Ladenlokal bei den Retailern für die Ausführung von Online-Bestellungen eine geringe Priorität, wird aber in den kommenden zwei Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen, wobei zwei Drittel der Einzelhändler ihre Ladenlokale für die Ausführung von Online-Bestellungen ausstatten wollen. „Betrachtet man die aktuelle Entwicklung, kann man die nähere Zukunft durchaus absehen. Während einige Bereiche, wie etwa Bücher oder CDs, gelitten haben, wird der Bestand an Ladenlokalen durch eCommerce alleine nicht schrumpfen. Der Wettbewerb der Handelskonzepte schließt nunmehr das Internet ein, und letztlich werden diejenigen Retailer Erfolg haben, die über starke Gesamtstrategien verfügen. Hinter ,Lage, Lage, Lage’ stand schon immer ,Kunde, Kunde, Kunde’, was in diesem Kontext eher an Bedeutung gewinnt“, erklärt Michael Kamnik, Head of Retail bei CBRE Österreich.
Internet braucht mehr Verkaufsflächen
Der Internethandel schafft interessanterweise den Bedarf nach mehr Verkaufsflächen. Die aktuelle CBRE-Studie „The Role of Real Estate in the Multichannel World“ bestätigt, dass durch die Multichannel-Strategien der Retailer der Online-Handel in den nächsten zwei Jahren den stationären Einzelhandel eher ergänzen und bereichern wird. Die Retailer, die an der Studie teilgenommen haben, erwarten durch eine Verknüpfung der Absatz- und Kommunikationskanäle in den Filialen einen verstärkten Zulauf. In den nächsten zwei Jahren sind für den internationalen Einzelhandel zudem Investitionen in neue und bestehende Geschäfte oberste Priorität, wobei die Mehrheit aufgrund ihrer Multichannel-Strategie eine höhere Anzahl von Ladenlokalen sowie größere Ladenflächen benötigt. So wollen innerhalb der nächsten zwei Jahre 72% der Retailer die gleiche oder eine größere Anzahl von Filialen in ihrem heimischen Markt betreiben. 60% der Händler geben an, dass sie aufgrund ihrer Multichannel-Strategie im gleichen Zeitraum weitere Ladenflächen in ihrem gesamten internationalen Netzwerk benötigen werden und auch bis 2015 vollstufige Multichannel-Händler sein werden. Einzelhändler sind in Bezug auf ihre Pläne, Standorte in kleineren Städten zu betreiben, geteilter Meinung und geben zu gleichen Teilen an, sie würden die Anzahl erhöhen bzw. verringern. Der Internet-Einzelhandel wird vor allem in den Emerging Markets, einschließlich Mittel- und Osteuropas, im asiatisch-pazifischen Raum und im Nahen Osten eine deutlich größere Rolle als heute spielen.
Nachfrage nach Logistikflächen
Die europaweite Zunahme des Online- und mobilen Shoppings hat beträchtliche Auswirkungen auf die Nachfrage nach Logistikimmobilien. Die Art von Logistikimmobilien, die gesucht wird, ändert sich, da immer mehr Endverbraucher schnell und effizient beliefert werden müssen. „Das Online-Potenzial ist groß, und in den kommenden Jahren könnte die Nachfrage nach Lagerflächen auch in Österreich signifikant steigen“, ist sich Felix Zekely, Head of Agency bei CBRE Österreich, sicher. Diese steigende Nachfrage nach Logistikflächen für die Lagerung und Lieferung von Online-Einkäufen stellt zusätzliche Anforderungen an die Lieferkette. In vielen Ländern verlangen die Verbraucher, dass ihnen ihre Online-Einkäufe am nächsten oder noch am gleichen Tag geliefert werden– demzufolge gibt es eine erhöhte Nachfrage nach Umschlaglagern, speziellen Einrichtungen für die Umverteilung von Massengutlieferungen in der Nähe der endgültigen Bestimmungsorte.
Die Folgen des E-Commerce für die logistischen Anforderungen an die Einzelhändler und ihre Vertriebspartner sind tief greifend. Bei herkömmlichen Lieferketten werden Güter von einem Hersteller oder Importeur über ein regionales Vertriebszentrum oder lokales Lager zu einem Shop transportiert. „Beim Online-Einzelhandel ist eine Vielzahl von Modellen möglich, da es möglicherweise mehrere Bestimmungsorte oder Kombinationen von Punkten gibt– beispielsweise das Zuhause des Kunden, einen Laden oder einen völlig anderen Standort, etwa eine Abholstation. Die physische Struktur der Lieferketten muss sich vielschichtig verändern, um auf die Erfordernisse des Wachstums im Online-Handel zu reagieren“, so Zekely.
Keine Lebensmittel übers Internet
In einem Bereich wird das Internet allerdings kaum eine Rolle spielen. Obwohl auch der Lebensmitteleinzelhandel, insbesondere Supermärkte und Diskonter, vor tief greifenden Veränderungen stehen, bewegt sich die Akzeptanz beim Online-Einkauf von Nahrungsmitteln noch immer im unteren Bereich. Grund dafür ist vor allem die sinnliche Wahrnehmung und Emotionalität, die naturgemäß mit Lebensmitteln verbunden ist. Dennoch erwartet der Kunde heutzutage zeitgleich Transparenz im Hinblick auf Produktherkunft und -verarbeitung, Flexibilität im Angebot und in der Lieferung und personalisierten Service. Diese Entwicklungen rühren einerseits vom Wandel von einem regelmäßigen zu einem eher unstrukturierten, spontanen Tagesablauf und nachhaltigen Lebensstil, den jüngsten Nahrungsmittelskandalen sowie dem Wunsch nach Einkaufserlebnis und sozialem Austausch her. Andererseits lösen auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Herausforderungen, wie die alternde Bevölkerung oder erhöhte Transport- und Energiekosten, eine Trendwende aus. Dies ist eine der wesentlichen Aussagen der von KPMG gemeinsam mit dem Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) durchgeführten länderübergreifenden Marktstudie.
Flexible Arbeitszeiten verlangen „Rund-um-die-Uhr“-Service
Michael Büttner, Partner im Management-Consulting bei KPMG Österreich: „Der persönliche Kontakt und die Kaufberatung treten in den anonymen Zeiten der Internet-Ära wieder in den Vordergrund. ,Rundum’-Service sowie ,Rund-um-die-Uhr’-Service sind vor allem bei unregelmäßigen Arbeitszeiten oder Tagesstrukturen gefragt. Obwohl sich der Online-Trend nicht wie in vergleichbaren Bereichen durchsetzen wird, ist eindeutig modernes Multi-Channeling gefragt. Mobile Shopping-Konzepte wie kochabo.at, das Usern vorgeschlagene Rezepte und entsprechende, frische Zutaten pro Woche nach Hause liefert, oder moderne Technologien wie beispielsweise QR-Codes, die es ermöglichen, an U-Bahn-Stationen Produkte auf Kiosk-Displays abzufotografieren und zu bestellen, werden zukünftig vermehrt nachgefragt werden. Gleichzeitig soll aber weiterhin die Möglichkeit bestehen, im Laden wie gewohnt Lebensmittel sofort mitzunehmen. Allerdings setzt der Konsument auch hier verstärkt auf umfangreiche Informationen, vergleichbare Qualität und zusätzliche Premium-Services.“
Inszenierung und sozialer Treffpunkt
Orientiert man sich an modernisierten LEH-Standorten, wird schnell ersichtlich: Um eine erfolgreiche Kundenbindung aufzubauen, sind Lockgebote alleine nicht genug, sondern es kommt vermehrt auf die Inszenierung der Produkte, flexible Offline- und Online-Möglichkeiten bei Bestellung und Lieferung wie „click collect“ sowie auf verstärkten Kundenkontakt an. Durch intelligente Datenerhebungen zum Einkaufsverhalten via Kundenkarte und „Client Analytics“ werden individualisierte Angebote, Empfehlungen oder personalisierte Rabattaktionen ermöglicht, die vom Konsumenten auch tatsächlich nachgefragt werden– solange sich dieser so gut betreut wie damals beim Greißler fühlt. Daher gilt, so Büttner: „Vor allem kleinflächige Läden als sozialer Treffpunkt und eine gute persönliche Beratung sind neben guter Erreichbarkeit und flexiblen Ladenöffnungszeiten definitiv wieder gefragt, und so stoßen auch moderne Lösungen wie Concept- oder Flagshipstores in der Lebensmittelbranche auf erhöhte Akzeptanz.“
Pop-up-Stores erobern neue Plätze
Ein Nischenphänomen, das jedoch immer bedeutender wird, sind dabei die Pop-up-Stores. Darunter werden temporäre Geschäfte von Adidas, Gucci oder No-Name-Labels an meist unerwarteten Standorten verstanden– so zum Beispiel in Hotels, leer stehenden Fabriken oder in Nebenstraßen. Pop-up-Stores sind trendy und bei den Konsumenten sehr beliebt. „Der Handel sucht sich neue Plätze“, erklärt Hanna Bomba-Wilhelmi, CEO des internationalen Standortberaters RegioPlan Consulting. „Früher gab es nur das Kaufhaus, heute kann ein Händler zwischen Shoppingcentern, Fachmarktzentren, Factory-Outlet-Centern, Powercentern, Einkaufsstraßen, Onlinehandel, Pop-up-Stores etc. auswählen“, so die Expertin. Statt Handelsflächen werden Einkaufszentren immer mehr Räume der Erfahrung, die Emotion und Begegnung bieten müssen, in denen wir chillen, kochen, lesen, feiern oder sogar jene Dinge lagern, die wir nicht mehr brauchen. Denn: Nutzen statt besitzen und Erlebnis statt Konsum lautet das Motto der Zukunft. Erst eine Umgebung, in der wir uns wohlfühlen und in der unsere Sehnsüchte gut aufgehoben sind, wird uns auch zum Konsum animieren. So werden heutzutage Pop-up-Store-Events veranstaltet, bei denen nicht die angebotenen Produkte, sondern der Event– Feiern, Trinken, Musikhören– im Vordergrund steht. Das ist auch das Geheimnis jener Marken, die momentan die Welt begeistern.
Zehn Thesen zur Zukunft des Lebensmitteleinzelhandels laut der länderübergreifenden Marktanalyse von KPMG gemeinsam mit dem Gottlieb Duttweiler Institute (GDI):
- Online wird nicht Marktstandard: Der Online-Anteil im deutschsprachigen Food-Markt wird moderat bleiben, da die Bedürfnisse nach Verfügbarkeit und Flexibilität überwiegen.
- Nischenlösungen mit breitem Umbruchpotenzial: Vor allem durch die jüngsten Lebensmittelskandale steigt der Wunsch nach „sicheren“ und authentischen Nahrungsmitteln. Biolieferdienste und die Produktion direkt im Laden sind erfolgversprechende Lösungen.
- Der Einkauf um die Ecke gewinnt weiter an Bedeutung: Lebensmittel in der Nähe des Wohn- und Arbeitsorts sowie lange Öffnungszeiten werden durch die unregelmäßige Arbeitszeiten noch wichtiger.
- Kommunikationskompetenz als Chance: Läden können mit neuer Ladengestaltung und zusätzlichen Dienstleistungen wie individualisierten Angeboten und vertieftem Kundenkontakt neue Kommunikationsplattformen schaffen.
- Mehr Schnittstellen zur Gastronomie: Im Handel wird das Sortiment zum Direktverzehr ausgebaut, umgekehrt bieten Gastronomen ausgewählte Lebensmittel zum Verkauf an.
- Der Hypermarkt vor dem langsamen Abstieg: Online-Kanäle, teure Mobilität und die Urbanisierung sprechen gegen große Einkaufszentren hingegen für spezialisierte „Kenner-Shops“.
- Multifunktionale Ladenkonzepte bieten sozialen Mehrwert: Je nach Tageszeit unterschiedlich nutzbare Ladenflächen werden sukzessive an Bedeutung gewinnen.
- Kunden- und Mitarbeitergesundheit als Erfolgsfaktor: Gesundheit bleibt Ernährungsthema Nummer eins, weshalb gesunde Produkte mittlerweile Pflicht sind – zusätzlich zum Wohlbefinden der Kunden beizutragen, ist Kür.
- Emotionalität vor Effizienzoptimierung: Kaum andere Produkte sind so mit sinnlicher Wahrnehmung verbunden wie Lebensmittel, weshalb die Emotionalität als Wettbewerbsvorteil eine wichtigere Rolle als Effizienz- oder Preisoptimierung spielt.
- Individualisierung des Genusses mit Flagshipstores: Während standardisierte Produkte in die Online-Welt abwandern, werden in den Läden Flächen für Spezialitäten-Shops mit Naturprodukten frei.