Beim ArchitekturMorgen diskutieren Andreas Hawlik und Evgeni Gerginski (beide HAWLIK GERGINSKI Architekten) mit ihren Gästen Claudia Brey (Geschäftsführerin ÖBB-Immobilienmanagement), Michaela Koban (Head of ARE Development), Bernhard Steger (Leitung Stadtteilplanung und Flächenwidmung Innen-Südost, MA 21) und Peter Ulm (Geschäftsführer allora Immobilien), was für ein Brownfield bei der Umwandlung in einen neuen Stadtteil wichtig ist.
Auf der einen Seite müssen Brownfields bei ihrer Erschließung den Gegebenheiten der Umgebung angepasst werden. Auf der anderen Seite müssen sie auch von der Bevölkerung als lebenswerter Teil der Stadt akzeptiert werden. Beispiele für gelungene Konzepte gibt es in Wien genug, allerdings warten immer noch einige Flächen auf ihre neue Bestimmung. Die DiskutantInnen sind sich einig: Am wichtigsten sind die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner und die Anrainer. Mit ihnen steht und fällt das Projekt. Daher ist es entscheidend, diese so früh wie möglich in die Entwicklung einzubeziehen. Im weitesten Sinn geht es bei Brownfields „um Stadtraum, der verhandelt wird, und da gibt es viele Menschen, die mitreden wollen“, erklärt Bernhard Steger. Erfolgreich ist ein Projekt dann, wenn es gelingt, die Menschen positiv einzubinden. Vor allem, wenn es sich um große Flächen wie den Nordbahnhof handelt. Bürgerinitiativen können auch durchaus FÜR ein Projekt „motiviert“ werden. Beim Nordbahnhof ist es gelungen, eine Bürgerinitiative in einem intensiven Beteiligungsprozess für den neuen Stadtteil zu gewinnen. „Es war eine Win-win-Situation“, meint Bernhard Steger, „weil wir die Menschen in einem ehrlichen Prozess eingebunden haben. Sie waren auch bei der Flächenwidmung involviert, und wir hatten einen internen Ansprechpartner.“ Lob gibt es von seiner Seite auch für die ÖBB und die Bauträger, die hervorragende Arbeit geleistet haben „und das möglich machten“.
Ansprechpartner und Kommunikation
Peter Ulm blickt auf das „Francis“ am Franz-Josef-Bahnhof zurück, bei dem es ebenfalls eine Ansprechpartnerin gab – eine Ombudsfrau, deren Arbeit sich bewährt hat. Sie war aus der Gegend, und „sie hat ihre Beratungstätigkeit aus freien Stücken gemacht, weil sie das Projekt interessiert hat“, sagt Peter Ulm. Vielen Sorgen der Anrainer konnte man dadurch bereits im Vorfeld begegnen. Michaela Koban erinnert sich an die Entwicklung der Postbus-Garagen an der Erdberger Lände zum Projekt „Ensemble“. Von drei Hektar Fläche wurden zwei für Gebäude vorgesehen und der Rest als Grünraum entwickelt: „Das hat jetzt einen Mehrwert!“ Im Vorfeld war allerdings die Unsicherheit und damit die Angst der Anrainer groß: Was würde auf dem – nicht sehr attraktiven – Gelände entstehen? „Wir haben die Entwicklung von Anfang an kommuniziert“, so Michaela Koban: „Das ist herausfordernd, aber unumgänglich.“ Andreas Hawlik bestätigt: „Die Kommunikation ist wichtig. Egal, ob es sich um ein kleines Projekt oder um ein großes handelt. Die Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld ist entscheidend für das Projekt.“
Akzeptanz bei der Bevölkerung fördern
„Es ist essentiell, dass sowohl die Anrainer als auch Interessierte einfach mit uns in Kontakt treten können. Mit einer Servicehotline oder Ombudsstelle haben wir schon gute Erfahrungen gemacht“, sagt Michaela Koban. Und Claudia Brey: „Wir betreiben bei unseren Projekten Kommunikation in großem Ausmaß – als öffentliches Unternehmen ist uns der Umgang mit dem Umfeld besonders wichtig.“ Als Beispiel nennt sie das öffentlich zugängliche InfoCenter mit dem Museum am Nordwestbahnhof. Hier bekommt man einen zeitgeschichtlichen Überblick, und zugleich kann man einen Blick in die Zukunft werfen: darauf, was war und – vor allem – was auf dem Bahnhofsareal entstehen soll. Claudia Brey bleibt aber trotz aller Informationskanäle realistisch: „Am Ende des Tages kann man es nicht allen recht machen – aber eine hohe Akzeptanz ist uns wichtig, insbesondere weil die Bevölkerung die Zielgruppe ist.“
„Es geht primär einmal darum, eine Gesprächssituation zu schaffen, sodass man gemeinsam nachdenkt“, meint Bernhard Steger. Zwischennutzungen und ein Bespielen des Geländes bringen Menschen in die zukünftigen Flächen und machen sie damit vertraut. Bestehende Gebäude auf den Brownfields haben in vielen Fällen auch „einen Landmark-Charakter und geben dem Quartier eine Identität und einen Bezugspunkt“, sagt Andreas Hawlik und nennt als Beispiel die Gösserhalle. Dadurch werden diese Flächen auch von der Bevölkerung leichter akzeptiert, da dies Elemente sind, „die sie kennt“.
Ein neuer Stadtteil in den Startlöchern
Vorausblickend auf die Entwicklung der Westbahnstrecke, sagt Bernhard Steger: „Wir werden auch bei diesem Projekt die Bevölkerung einbinden. Keine Konfrontation, sondern ein Miteinander.“ Wenn das gelingt, ist für die Zukunft eine gute Basis gelegt. Die Gleisanlagen entlang der Felberstraße werden von allen DiskutantInnen als riesige Chance gesehen. „Die zahlreichen Lagerhallen, Stellwerke und Depots bieten Möglichkeiten, verschiedene Projekte zu realisieren“, sieht Evgeni Gerginski die Chancen. Es gibt einen großen Grünflächenanteil, der dem ohnehin nicht sonderlich grünen 15. Bezirk sehr zuträglich wäre. „Das ist vorgesehen“, so Claudia Brey: „Aber unsere Projekte haben auch einen Anspruch auf Wirtschaftlichkeit.“ Das Areal braucht einen Mix aus Gewerbe, Wohnen und Grünflächen. Aber egal, wie dieser aussieht, „die Felberstraße hat großes Potenzial“, blickt Claudia Brey auf die Fakten. Eine Parkanlage wie im Sonnwendviertel ist nicht möglich, „aber es ist wichtig, eine Aufenthaltsqualität zu schaffen“, sagt Andreas Hawlik.
Große Probleme lösen
Bernhard Steger weiß auch von einem Projekt zu berichten, bei dem es im Vorfeld viele Probleme gab: „Vor zwei Jahren haben wir in Rothneusiedl begonnen, und da war schon eine aufgeheizte Stimmung.“ Nach eineinhalb Jahren intensiver Gespräche und Bearbeitung der Situation haben sich die Gemüter beruhigt. „So eine Phase muss in die Planung miteingerechnet werden.“ Es ist ein räumlicher Change-Prozess in der Stadt, und auch wenn es besser wird, ist die anfängliche Skepsis, die Unternehmen oftmals entgegenschlägt, relativ groß.
Brownfield und Architektur
Was die architektonische Form betrifft, „so ist es sehr standortspezifisch, wie man an die Realisierung herangeht“, sagt Evgeni Gerginski. Gleise, Fabriken, Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, alte Brücken – es gibt eine Vielzahl von Immobilien, die sich auf dem Gelände befinden können. „Die bestehenden Gebäude werden von der Bevölkerung unterschiedlich wahrgenommen“, so Evgeni Gerginski. Die einen sind froh, wenn das Alte verschwindet, die anderen sehen darin eher eine ungewollte Veränderung und wollen die alten Gebäude bewahren. Daher ist eine mediale Begleitung mit Marketing auch für die zukünftige Architektur unumgänglich. Wesentlich ist für ihn eine Zwischennutzung, um dem Areal einen neuen Charakter zu geben, es der Bevölkerung zugänglich zu machen und damit auch eine Beziehung zu dem Ort herzustellen. Evgeni Gerginski: „Belässt man einen Teil der alten Gebäude, wie im Alten Landgut, ist das eine entscheidende charakterbildende Maßnahme.“ Er führt das Gaswerk Leopoldau als positives Beispiel dafür an, wie auf Brownfields der Bestand mit Neubauten ideal kombiniert wurde: 15 bis 16 der bestehenden Gebäude wurden belassen, „die historische Bausubstanz wurde gut integriert und schafft mit neuen Gebäuden ein interessantes Qualitätskonzept“.
Die alte/neue WU
In weiterer Folge wird über einen „riesigen Betonkoloss“ diskutiert, wie es Michaela Koban formuliert – die alte WU. Im Sommer soll der Wettbewerb starten, für den die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) verantwortlich zeichnet. In mehreren Etappen wird auf der Fläche der Campus Althangrund errichtet, die Nutzung für das Gebäude wurde definiert. Es ist dies ein neuer Bildungscampus, der in erster Linie von der Universität Wien und der Universität für Bodenkultur (BOKU) genutzt werden soll sowie von zwei Bundeschulen. Vermutlich muss ein Teil des Bestands rückgebaut werden, das hängt aber von den Wettbewerbsbeiträgen ab. Auch wenn er erst vor 40 Jahren errichtet wurde, entspricht der Gebäudekomplex nicht den Ansprüchen an ein modernes Universitätsgebäude. Die WU ist ein schwieriges Gebäude. Dass aus diesem Koloss ein universitärer und schulischer Komplex werden soll, ist schon einmal den Gegebenheiten geschuldet. Claudia Brey: „Es handelt sich hierbei um ein Brownfield besonderer Art.“ Es befindet sich auf einer Überplattung, darunter führen die Gleise zum Franz-Josefs-Bahnhof. „Schwingungen und Statik sind hier natürlich eine große Herausforderung.“
Veränderte Anforderungen
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Vorstellungen von Brownfield-Entwicklungen verändert. Heute würde man zum Beispiel den Wienerberg anders denken und viel integrierter planen. Brownfield-Entwicklungen spiegeln eben auch immer wieder den Zeitgeist, und so zeigt sich, „dass es für Erdgeschoßzonen im Allgemeinen ein gut überlegtes und auf den Standort zugeschnittenes Konzept braucht, um diese zu beleben“, meint Claudia Brey: „Das liegt an dem Umstand, dass sich das Einkaufsverhalten verändert. Man braucht nur einen Blick in die Einkaufszentren und auf die Einkaufsstraßen zu werfen.“
Die Erdgeschoßzonen sind ein wichtiger Faktor, und deren Entwicklung ist neben aktuellen Trends auch von der Notwendigkeit geprägt, die Quartiere zu beleben. Bernhard Steger blickt in die Zukunft: „Den größten Bevölkerungszuwachs haben wir in der Alterskohorte 65 plus. Was für Wohnungen brauchen wir, welche Services rund um die Wohnungen, und was brauchen die Menschen? Ich sehe hier für die EG-Zonen einen Wachstumsmarkt.“ Langfristig wären natürlich auch Wohnmöglichkeiten wie in anderen Städten ein Thema. „Wenn der Massenverkehr aus der Stadt verbannt ist, dann bekommen auch die Erdgeschoßzonen wieder einen Platz“, ist Peter Ulm überzeugt.
Erfahrungsgemäß werden nämlich autofreie Straßen und Plätze von der Bevölkerung viel eher in „Besitz“ genommen, und damit ist die Grundlage für ein funktionierendes Stadtquartier gelegt.