Beim jüngsten Clubmeeting des Salon Real wurden am 13. Mai tragfähige Perspektiven zur Entwicklung von Stadtquartieren vorgestellt. Claudia Nutz, Hannes Horvath und Tobias Riepl analysierten unter der Moderation von Heide Schicht (Vorstandsmitglied Salon Real) die Herausforderungen der Stadtentwicklung. Der Salon Real ist ein Club, der sich aus Expertinnen aus der Immobilienbranche in leitenden Positionen zusammensetzt.
Versorgungsgefälle in Wien
Bereits der Impulsvortrag von Tobias Riepl, einem Forscher im Bereich Klima- und Sozialpolitik am Umweltdepartment der CEU mit Schwerpunkt auf Wiener Stadtplanung, verdeutlichte die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise in der Stadtquartiersentwicklung: „Zukünftige Stadtplanung muss verstärkt auf die Bereitstellung der Alltagsökonomie ausgerichtet sein. Dabei geht es um die Infrastruktur des täglichen Lebens, wie Kindergärten, Apotheken oder Supermärkte. Diese sind das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.“
Für den Sozialwissenschaftler ist die Alltagsökonomie ein zentraler Pfeiler für ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen, indem sie die Grundbedürfnisse aller Gesellschaftsschichten sicherstellt und somit Raum für ambitionierte Klimapolitik bietet. Laut Riepl ist in Wien der Zugang zur Alltagsökonomie stark ungleich verteilt, mit einer ausgeprägten Konzentration im Stadtkern sowie einem Versorgungsgefälle zwischen dem gut ausgestatteten Nordwesten und dem unterversorgten Südosten. Die zukünftige Stadtplanung muss diese Ungleichheiten aktiv angehen.
Herausforderung Bestandstransformation
Claudia Nutz, Geschäftsführerin von Nutzeffekt und Aufsichtsrätin bei der ÖBB Infrastruktur AG, der ÖBB Immobilienmanagement GmbH und der ÖWG, betont, dass Projekte besonders herausfordernd sind, wenn Verwaltung und Entwicklung unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Immobilienexpertin äußert sich zudem kritisch zu starren Planungsansätzen: „Die schwierigsten Projekte sind jene, bei denen versucht wird, durch den Stadtplan alles detailliert festzulegen und den Bebauungsplan so auszuarbeiten, dass er bereits heute definiert, wie die Welt in 10 oder 20 Jahren aussehen soll.“
Nutz sieht eine der größten Herausforderungen in der Stadtentwicklung darin, den Bestand zu transformieren. Sie erklärt: „Die Transformation bestehender Strukturen ist weitaus komplexer als Neubauten.“ Bezüglich des Klimawandels macht die Immobilienexpertin deutliche Unterschiede zwischen Wien und anderen Städten aus: „Während in Barcelona die Stadtstruktur durch Freiräume geprägt ist, steht in Wien immer noch das gebaute Objekt im Vordergrund.
Da Wien zu einem großen Teil in einer Zeit entstanden ist, in der es keine Wärmeperioden gab. Wir haben jetzt ein völlig anderes Klima und bauen diese Stadt aber immer noch gleich. De facto müssten wir heute Wien wie Kairo bauen. Aber auch in anderen Bundesländern und anderen Gesetzmaterien sind wir gefordert. So sind zum Beispiel Außenjalousien nicht anrechenbare Kosten in der Wohnbauförderung. Darüber hinaus ist es auch wichtig die Beteiligung zielgerichteter zu gestalten, so dass sie bei allen Menschen ankommen kann und nicht auf wenige zeitlich, ökonomisch oder sprachlich Privilegierte fokussiert ist.
Zufriedenheit der Menschen im Fokus der Stadtentwicklung
Hannes Horvath, Geschäftsführer der HAND GmbH, Gründer der Denkwerkstatt AGENDA43 und Juryvorsitzender des Awards FIABCI Prix d'Excellence Austria, betont die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen, um den Klimawandel einzudämmen und Klimaanpassung und gesellschaftliche Stabilität zu gewährleisten. Dafür sei eine neue Kultur der Zusammenarbeit aller Akteure nötig, „Wir alle müssen Stadtentwicklung neu denken. Für die Politik wird die größte Herausforderung sein, die Regelwerke anzupassen und sinnvoll zu reduzieren“, erklärt Horvath.
Ein konkretes Beispiel hierfür ist die grundsätzliche Konfiguration der Stadt nach der Bauordnung, mit Mindestabständen, Dichten, Belichtungs-Themen usw. Eine Stadt, die Rahmenbedingungen für gutes Leben für alle schafft wird in Zukunft anders aussehen. Nach Jahrhunderten konstanter klimatischer Verhältnisse ändern sich die Rahmenbedingungen – es wird heißer und unbeständiger.
Horvath führt weiter aus: „Wir müssen wieder lernen die Stadt für uns Menschen zu entwickeln. Der menschliche Maßstab ging in der Stadtentwicklung verloren. Wien hat zum Beispiel viele gute Beispiele für lebensfrohe, florierende Erdgeschoßzonen, aber kaum in Neubaugebieten. Nachhaltigkeit bedeutet auch adaptierbare Gebäude für die ewige Nutzung zu bauen. Ein radikaler Wechsel des Blickwinkels ist nötig, damit wir gemeinsam die wirklich relevanten Ziele festlegen und darauf fokussieren.“
Horvath attestiert, dass die Immobilienbranche in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem Akteur der Finanzindustrie geworden ist: „Es wurde für Fonds, Anleger und Pensionskassen gebaut, nicht für die Nutzer und deren Bedürfnisse. Das war eine Fehlentwicklung.“ Der Sozialwissenschaftler findet, dass die Immobilienwirtschaft wieder ihre eigentliche Aufgabe in den Fokus rücken muss: bauliche Rahmenbedingungen für zufriedene Menschen zu schaffen und das nachhaltig. Nur so werden wir die großartige Lebensqualität in Wien erhalten können.