Aktuelles Zinsniveau förderlich für „gesunde Entwicklung“
In den letzten Jahren habe sich durch die niedrigen Zinsen eine Laissez-Faire-Einstellung breit gemacht, wenn es um das Eingehen von Risiken gegangen sei, stellt Stefan Brezovich fest: „Wenn Geld keinen Wert hat und man für die Zurverfügungstellung von Geld nichts zahlen muss, leitet das zu sorglosem Umgang damit an. Es fördert das Eingehen von extremen Risiken und Inflation.“ Mit den Folgen dieser Entwicklung werde die Wirtschaft noch länger zu kämpfen haben, ist der ÖRAG-Vorstand überzeugt. Es sei „richtig“, dass diese Phase nun beendet ist. Das derzeitige Zinsniveau bezeichnet er als „für eine gesunde Entwicklung der Wirtschaft förderlich“.
Rasanter Zinsanstieg ist „problematisch“
Als „problematisch“ sieht Brezovich die extrem kurze Zeit, in der sich Marktteilnehmer*innen plötzlich auf ein völlig neues Zinsumfeld einstellen müssen. Besonders der Immobilienmarkt mit grundsätzlich längerfristigen Marktzyklen sei davon betroffen: „Höhere Zinsen bedeuten höhere Finanzierungskosten. Sie bedeuten auch das Ansteigen der Renditen von alternativen Veranlagungsformen, wie beispielsweise Termineinlagen, was diese wieder attraktiver als zuletzt macht. Beide Effekte beeinflussen die Märkte momentan deutlich und üben Druck auf die Immobilienpreise aus.“
Der Markt auf einen Blick
• Im Investmentmarkt finden Käufer*innen und Verkäufer*innen nach einem deutlichen Rendite erst langsam zusammen.
• Der heimische Büromarkt ist solide und der Leerstand niedrig.
• Retail zeigt nach einer deutlichen Konsolidierung durchaus Lebenszeichen. • Der Logistikmarkt erlebt einen Boom.
• Das Transaktionsvolumen im Wohnen Eigentum ist eingebrochen.
• Mietwohnungen sind stark nachgefragt.
WOHNEN
Zu den hauptsächlichen Einflussfaktoren im Bereich Wohnen gehören die strengen Kreditvergaberichtlinien. Wer keine Finanzierung für einen Kauf erhält, ist gezwungen zu mieten. So verlagert sich die Nachfrage im Moment massiv Richtung Miete, obwohl eigentlich Eigentum gewünscht ist. Beim Immobilienkauf steigt die Kompromissbereitschaft. Im Zuge der Energiekrise sind alternative Energieformen und nachhaltige Bauweise stärker in den Fokus gerückt. Bei Anlegerwohnungen beobachtet man eine deutliche Stagnation, insbesondere bei Privatinvestoren.
Aleksandra Mitrovic, BA MSc | Bereichsleiterin Wohnen Miete: "Trotz höherer Preise sinkt der Leerstandszeitraum – ausgenommen sind Bezirke mit starker Bautätigkeit in den letzten Jahren, z.B. der 21. und 22. Bezirk. Vor allem die Nachfrage an 4 bis 5 Zimmer-Wohnungen steigt, das Angebot ist allerdings begrenzt."
Mag. Jelena Pirker | Bereichsleiterin Wohnen Eigentum: "Durch die KIM-Verordnung und die verschärften Kreditvergaberichtlinien sehen wir bis zu 70% Nachfragerückgang im Eigentum. Bei den ver- bleibenden Käufer*innen steigt die Kompromissbereitschaft bei Lage und Größe."
BEWERTUNG
Insbesondere Bauträgerliegenschaften sind vom derzeitigen Abwärtstrend betroffen: Das gestiegene Zinsniveau, der schwache Transaktionsmarkt und die hohen Baukosten führen zu einer Reduktion der Bewertungsergebnisse. Bestandsliegenschaften sind hingegen auf Grund der inflationsbedingt gestiegenen Mieten nur wenig bis gar nicht von einer Abwertung betroffen. Wer sich in den Boom-Jahren konservativ dem Markt genähert hat, zählt heute zu den Gewinner*innen, da diese Unternehmen kaum spürbare Auswirkungen von der derzeitigen Marktentwicklung verzeichnen.
Mag. Michael Buchmeier, MRICS | Vorstand und Bereichsleiter Bewertung: "Nach über 15 Jahren Aufwärtstrend müssen die Bewertungen erstmals teilweise deutlich zurückgenommen werden. Abwertungen von bis zu 30% sind derzeit möglich."
INVESTMENT
Von einer „massiv gebremsten“ Dynamik am Immobilienmarkt sprechen die Investmentexpert*innen. Aber: Sobald die Zinspolitik der EZB einen stabilen Ausblick über die weitere Entwicklung zulässt, erwartet man einen starken Anstieg der Kauflaune – wer einen Kauf erwägt, sei gut beraten jetzt zuzuschlagen. Ein großes Thema sind auch ESG und Taxonomie, ÖRAG wickelt aktuell eine Transaktion von 10 älteren Neubauten in städtischen Lagen ab, die von neuen Eigentümer*innen sukzessive auf moderne Standards gebracht werden – so will man die Transformation des Bestandes unterstützen.
Mag. Johannes Endl, MSc MRICS | Vorstand: "Wir empfehlen Kaufwilligen, zu den „First Movern“ zu gehören und sich die besten Objekte zu sichern. Wer längerfristig denkt, sollte das aktuelle Zeitfenster nutzen, ein knappes und begehrtes Gut zu attraktiven Konditionen zu erwerben."
Herbert Petz, Immobilienökonom (ebs) | Bereichsleiter Investment: "Developer kämpfen mit hohen Baukosten und strengeren Finanzierungskriterien. Hinzu kommen lange Verfahrens- und Genehmigungsdauern. In der Folge stehen viele Projekte still, obwohl der Bedarf an neuem Wohnraum hoch wäre."
GEWERBE
Am Büromarkt geben steigende Betriebskosten den Themen ESG und Nachhaltigkeit zusätzlichen Schwung, gerade in der Hauptstadt ist die Nachfrage stabil. Logistik und Gewerbeflächen in Wien und den Logistik Clustern in Österreich werden weiterhin sehr stark nachgefragt, moderne Flächen sind Mangelware. Die Pipeline ist allerdings gut gefüllt und könnte den heimischen Markt bis 2026 etwas regulieren. Im Retailbereich drängen viele, oft internationale, Konzepte auf den Markt, vor allem aus dem Entertainmentbereich, die Synergien für den Einzelhandel bieten.
Mag. (FH) Elisa Stadlinger, MRICS | Geschäftsführerin und Bereichsleiterin Gewerbe: "In Wien sehen wir eine stabile Nachfrage nach Büroflächen, die auf ein geringes Leerstandsniveau trifft – ganz im Gegensatz zu anderen internationalen Märkten. Im Retailbereich zeigen sich neue Konzepte, die bspw. an der Nutzung von Handelsflächen in der Innenstadt durch die Automobilindustrie oder die neue EU-Erlebniswelt in der Rotenturmstraße sichtbar werden. Im Logistiksegment fehlt es an modernen Flächen, die Nachfrage ist ungebrochen groß."