„Die Pandemie hat sehr deutlich gemacht, dass Wohnen kein verzichtbarer Luxus, sondern ein Grundbedürfnis ist. Die Bundesregierung muss jetzt handeln, sonst droht nach Gesundheits- und Wirtschafts- auch eine Wohnungskrise“, forderte MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler.
Die gesundheitlichen Herausforderungen der Corona-Krise scheinen im Griff, doch „die wirtschaftlichen Auswirkungen, allen voran Arbeitslosigkeit, aber auch Einkommensverluste durch Kurzarbeit und Umsatzeinbrüche für Selbstständige, werden noch lange andauern“, betonte Niedermühlbichler. „Bundesregierung und Bundeskanzler betonen immer, dass die Wohnung der sicherste Ort ist, um sich vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen. Dazu bedarf es einer Wohnung, die man sich auch leisten kann“, sagte Niedermühlbichler. „Es ist höchste Zeit, auf die Frage, wie Wohnen langfristig leistbar bleiben soll, endlich Antworten vorzulegen.“
Die MVÖ habe dies als größte Mieterschutzorganisation Österreichs bereits lang vor der Krise getan und einen Plan dazu vorgelegt. Zentrale Punkte darin: Ein neues Mietrecht mit klaren Preisgrenzen und die Abschaffung der Befristungen. Jetzt brauche es darüber hinaus Sofortmaßnahmen. „Für Mieter, die durch die Krise in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, muss ein bundesweiter Sicher-Wohnen-Fonds geschaffen werden, der rasch und unbürokratisch hilft und einen Verlust der Wohnung verhindert“, forderte Niedermühlbichler. Sofort umsetzbar wäre auch die Streichung der Maklergebühren für Mieter. „Dieses Bestellerprinzip wurde den Wählern schon vor der Nationalratswahl versprochen und danach im Regierungsprogramm festgeschrieben – es spricht doch nichts dagegen, es nun umzusetzen und damit Wohnungssuchende sofort zu entlasten“, sagte Niedermühlbichler.
Sicher-Wohnen-Fonds
Mit Ende Juni laufen die mit dem COVID-19-Justiz-Begleitgesetz für April, Mai und Juni beschlossenen Maßnahmen wie Kündigungsschutz und Mietstundungen wegen corona-bedingter Zahlungsprobleme aus. Doch die Krise ist noch lange nicht vorbei, die finanziellen Einbußen dauern an: mehr als 500.000 Menschen sind arbeitslos, 1,3 Millionen in Kurzarbeit. „Zu Beginn der Krise konnten viele noch auf Erspartes zurückgreifen, doch das geht zur Neige“, sagte Elke Hanel-Torsch, Landesvorsitzende der MVÖ Wien. Auch die österreichische Nationalbank rechne damit, dass von der Krise betroffene, einkommensschwache Mieterhaushalte mit Wohnkosten von mehr als 50 Prozent ihres Einkommens in finanzielle Notlage geraten könnten.
„Auch gestundete Mieten müssen zurückgezahlt werden. Wer seine Miete im April, Mai, oder Juni wegen corona-bedingter Zahlungsschwierigkeiten schuldig blieb, muss diesen Rückstand bis Jahresende begleichen“, erklärte Hanel-Torsch. Die geltende Regelung verschiebe das Problem nur in den Winter, kritisierte sie. „Mieter, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, brauchen rasche Hilfe: Deshalb fordern wir die Einrichtung eines neuen, bundesweiten Sicher-Wohnen-Fonds, bei dem ein Antrag auf Übernahme des Mietzinses gestellt werden kann.“ Dieser Solidarfonds solle in der Folge an den Vermieter zahlen. Sobald ein Antrag gestellt wurde, dürfe keine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsrückständen mehr eingereicht werden. So könnte der Sicher-Wohnen-Fonds Mieter vor dem Verlust ihrer Wohnung bewahren.
Aus für Befristungen
Ebenfalls mit Ende Juni endet jene Regelung, wonach befristete Verträge, die im April, Mai oder Juni ausgelaufen wären, bis höchstens Jahresende verlängert werden konnten. Vom Ende einer Befristung während der Corona-Krise waren geschätzte 20.000 Haushalte betroffen – das zeige die Dimension des Problems der befristeten Mietverträge, die zu prekären Wohnverhältnissen und übermäßigen Wohnkosten – durch höhere Mieten und/oder Kosten für Maklerprovision, Kaution und Umzug – führen. „Die Anzahl von befristeten Mietverträgen auf dem privaten Wohnungsmarkt nähert sich mittlerweile 70 Prozent, wobei befristet vermietete Wohnungen – trotz des gesetzlich verpflichteten 25-Prozent-Abschlages – durchschnittlich teurer vermietet werden als unbefristete“, erklärte Hanel-Torsch. „Wir fordern eine gesetzliche Eindämmung der überbordenden Befristungen, am besten ein komplettes Aus. Zumindest soll aber künftig eine Mindestvertragsdauer von 5 Jahren und ein Befristungsabschlag von 50 Prozent gelten.“
Neues Mietrecht gegen explodierende Wohnkosten
Weil über die letzten zehn Jahre die Mieten doppelt so stark gestiegen sind wie die Einkommen, müssten Mieterhaushalte in privaten Mietwohnungen im Schnitt bereits 30 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen (Miete, Betriebskosten, Heizung, Energie) ausgeben, führte Hanel-Torsch aus. Übersteige der Anteil 40 Prozent, gehe man von einer Überlastung aus. „Bereits 2017 waren österreichweit über 7 Prozent der Bevölkerung – entsprechend 623.000 Menschen – von ihren Wohnkosten überlastet“, erklärte Hanel-Torsch. Ein Wert, der die Realität aber nur bedingt abbilde, denn darin seien die Wohnkosten aller Österreicher erfasst – und in einem eigenen Haus bzw. in einer Eigentumswohnung lebe es sich tendenziell billiger bzw. sei der Anteil der Wohnkosten wegen der zugrunde liegenden höheren Einkommen geringer. Jeder 10. Mieter in einer privaten Mietwohnung muss bereits mehr als 50 Prozent des Einkommens fürs Wohnen ausgeben. „Hohe Wohnkosten gehen zu Lasten der Kaufkraft. Dabei wäre gerade jetzt eine Erhöhung der Kaufkraft wichtig, um die Konjunktur anzukurbeln. Eine taugliche Möglichkeit, die Mieten auf ein verträgliches Maß zu senken und klare Preisgrenzen einzuziehen, wäre das seit langem im Detail ausgearbeitete Universalmietrecht“, sagte Hanel-Torsch.
Rechtssicherheit für Geschäftsraummieter
17.000 Anrufe verzeichnete die eigens eingerichtete Beratungs-Hotline der MVÖ von Mitte März bis Mitte Juni. Ein großer Teil davon waren Mieter von Geschäftslokalen, die vom Lockdown betroffen waren. Allein das Musterschreiben zur Mietzinsminderung für Geschäftslokale wurde über 5.000 mal von der MVÖ-Webseite heruntergeladen. „Die Situation stellte sich besonders für Geschäftsraummieter besonders schwierig dar. Zur behördlichen Schließung kam Rechtsunsicherheit hinzu – die bis heute nicht behoben wurde“, stellte Hanel-Torsch fest. Eigentliche Rechtsgrundlage der von der Bundesregierung noch vor dem 15. März verhängten Maßnahmen war das Epidemiegesetz aus 1913 (1950 wiederverlautbart), wodurch bestimmte übertragbare Krankheiten bekämpft werden sollen. Am 15. März wurde jedoch vom Nationalrat das Covid-19-Maßnahmengesetz beschlossen, und dadurch für bestimmte Maßnahmen eine neue Rechtsgrundlage geschaffen. Behördliche Schließungen von Betrieben fielen demnach nicht mehr unter das Epidemiegesetz.
„Aus unserer Sicht können sich Geschäftsraummieter auf eine Minderung bzw. vollständigen Entfall der Miete gemäß § 1104 ABGB wegen eines außerordentlichen Zufalls berufen. Hier ist aber immer im Einzelfall zu prüfen, inwieweit eine Reduktion zulässig war. Dies vor allem im Hinblick auf einen Restnutzen, beispielsweise weil das Geschäft zwar geschlossen war, von dort aus aber ein Online-Handel betrieben wurde“, erklärte Hanel-Torsch und forderte „rasch Rechtssicherheit für Geschäftsraummieter.“
Das Problem sei auch hier mit dem Ende des Lockdowns nicht zu Ende – im Gegenteil. „Auch wenn wieder geöffnet wird, kommen deutlich weniger Gäste und Kunden. Zudem sind Gewerbemieter oft auch Wohnungsmieter und daher mit der doppelten Mietzahlung belastet.“ Beim Kreditschutzverband rechne man mit einer verzögerten Insolvenzwelle im Herbst. Wie hoch die Pleite-Welle sein werde, ließe sich im Moment aber noch nicht abschätzen. Kreditversicherer rechneten mit einem Anstieg von 12-15 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Vom Lockdown und den Folgen direkt betroffen, schilderte Geschäftsraummieterin Patrice Fuchs ihre Erfahrungen. Während des Lockdowns hatte Fuchs die Miete für ihr Einrichtungsgeschäft in Wien-Mariahilf gegen den Willen des Vermieters für ein Monat ausgesetzt. Mit Juli zahle sie die Miete wieder voll. „Ich habe das Geschäft wieder geöffnet, mache aber nur 30% des Umsatzes vor der Krise“, sagt Fuchs. Außerdem könne jederzeit der nächste Lockdown kommen. „Viele inhabergeführte kleine Läden und Lokale, die in Wien für Vielfalt sorgen, werden das nicht überleben. Damit stirbt auch ein Stück Zeitgeist.“ Die Politik müsse erkennen, dass die Krise real sei und „endlich handeln –wir brauchen keine kosmetischen Hilfen, wir brauchen jetzt eine echte Radikalkur.“