Gretchenfrage ESG
„Die Berücksichtigung der ESG-Kriterien in allen Phasen des Gebäudelebenszyklus wird immer mehr zu jenem Thema, das alle am Bauprozess beteiligten Bereiche gleichermaßen trifft,“ ist Vorstandsmitglied Stephan Heid, Heid & Partner, überzeugt. Und dies nicht nur in Bezug auf den Beitrag der Branche für ein – für 2050 festgelegtes – klimaneutrales Europa. Auch die ökonomischen Folgen eines Nichteinhaltens seien nicht mehr tragbar. „Wir reden hier nicht mehr von der Zukunft. Investitionen sind eng an die Einhaltung der ESG-Kriterien geknüpft und beeinflussen den Verkehrswert einer Immobilie massiv,“ betont Vorstandsmitglied Stefan Rufera, KPMG, der zu diesem Thema 2023 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hat.
Auch zu diesem Zweck soll 2023 ein „Klimarisiko-Guide“ für Immobilienentwickler und -eigentümer entstehen. Ziel ist die Erstellung eines ersten Leitfadens zur Evaluierung von Klimarisiken. „Darüber hinaus soll eine Übersicht zur Grobabschätzung von CO2–Emissionen von Hochbauten erstellt werden,“ betont Christian Plas, denkstatt, der diesen Prozess gemeinsam mit Vorstandsmitglied Klaus Reisinger von ClimatePartner vorantreibt.
Bestandssanierung und Bodenversiegelung als zentrale Hebel
Als besonders wichtiger Beitrag der Branche für ein klimaneutrales Europa gilt auch die zukunftsorientierte Bestandssanierung. „Hierunter fallen Themen wie Kreislaufwirtschaft und Sanierungszyklen, Sanierungsmöglichkeiten verschiedener Gebäudetypen und auch die Rolle des Systembaus in der Sanierung,“ fasst IGLZ-Vorständin Margot Grim-Schlink, e7, die Themenschwerpunkte 2023 zusammen.
Auch dem Thema Dachflächennutzung wird in Punkto Klimaschutz eine wichtige Rolle zugesprochen. „Die multifunktionelle Nutzung der Dächer, wie u. a. das Solargründach kann zu einer großen Reduktion von CO2-Emissionen. Führen. Unser Ziel ist, das genau abschätzen zu können und eine CO2-Reihung unterschiedlicher Dachnutzungen zu erstellen,“ betont Susanne Formanek, GRÜNSTATTGRAU, die eine entsprechende Arbeitsgruppe zu diesem Thema leitet.
Die so wichtige Reduzierung der Bodenversiegelung soll durch konkretisierte Handlungsempfehlungen für Bund, Länder und Gemeinden vorangetrieben werden. „Wir möchten wissen, wie sich etwa Siedlungsstruktur, Größe, topographische, demographische, ökonomische, soziologische Gegebenheiten auswirken. Das soll die Umsetzung auf verschiedenen Ebenen erleichtern,“ beschreibt Dominik Philipp, Dietrich | Untertrifaller, das Vorgehen der von ihm und Christoph Müller-Thiede, M.O.O.CON, geleiteten Arbeitsgruppe, die auf dem 2022 veröffentlichten Leitfaden „Netto-Neuversiegelung gleich NULL!“ aufsetzt.
Gewappnet gegen Greenwashing und fit für die nachhaltige Lieferkette
Jüngste Untersuchungen der EU-Kommission zeigen, dass rund die Hälfte der „grünen“ Behauptungen von europäischen Unternehmen falsch oder irreführend sind. 2023 soll daher eine Art „Zertifizierungskompass“ für Unternehmen erarbeitet werden. „Wir sind überzeugt davon, dass eine fundierte Kenntnis über die zentralen ESG-Zertifizierungen eines der wirksamsten Mittel ist, um sich gegen Greenwashing zu schützen,“ betont Berthold Hofbauer, Heid und Partner Rechtsanwälte.
Globale Lieferketten und die nunmehr anstehenden Herausforderungen praktischer Umsetzung bestehender und zukünftiger Pflichten für Unternehmen werden unter der Leitung von Markus P. Beham, Universität Passau, beleuchtet. Beham: „Bauherren dürfen sich von uns 2023 konkrete Handlungsanleitungen zum Umgang mit Lieferkettengesetzgebung erwarten.“
Über die IG LEBENSZYKLUS BAU
Die IG LEBENSZYKLUS BAU umfasst rund 90 Unternehmen und Institutionen der Bau- und Immobilienwirtschaft Österreichs. Der 2012 als IG Lebenszyklus Hochbau gegründete, gemeinnützige Verein unterstützt Bauherren bei der Planung, Errichtung, Bewirtschaftung und Finanzierung von ganzheitlich optimierten, auf den Lebenszyklus ausgerichteten, Bauwerken. Interdisziplinäre, bereichsübergreifende Arbeitsgruppen bieten eine gemeinsame Plattform für Projektbeteiligte aus allen Bereichen des Gebäudelebenszyklus.