In Österreich besteht im Bereich Barrierefreiheit noch Aufholbedarf
Inklusion als Chance gegen den Fachkräftemangel
Mythen und Unachtsamkeiten erschweren den Büroalltag für Menschen mit Behinderungen
Auf welchem Stand befindet sich die Barrierefreiheit in Österreichs Büros derzeit? Welche einfachen Maßnahmen sind sofort oder mit wenig Aufwand umsetzbar? Wie kann ein unverkrampfter Umgang mit diesem Thema gelingen? Antworten auf diese und weitere Fragen, die Barrierefreiheit im Arbeitsumfeld aufwerfen, werden unter anderem in Kooperation mit Robert Öllinger von myAbility Social Enterprise GmbH behandelt und Lösungen erarbeitet.
Wien in punkto Barrierefreiheit österreichweit am fortschrittlichsten
Grundsätzlich bedeutet Barrierefreiheit, dass Menschen mit Behinderungen nicht daran gehindert werden, ihr Leben gleichberechtigt, selbstbestimmt und unabhängig zu leben und an der Gesellschaft teilzuhaben. Rechtsgrundlagen bilden dabei die EN 17210, die ÖNORM B1600ff sowie zahlreiche weitere Normen. Laut der letzten Erhebung der Bundesanstalt Statistik Austria leben in Österreich 18,4% der Menschen mit einer Behinderung. „Eine Erhebung der EU von 2022 geht von 24% im EU-Durchschnitt aus. Diese Zunahme in den letzten Jahren lässt sich nicht vollumfänglich prüfen, sollte dennoch beachtet werden. Der sehr wahrscheinliche Anstieg in den Zahlen lässt sich vorrangig durch die Auswirkungen von Corona und den Anstieg von psychischen Erkrankungen erklären“, so Robert Öllinger. Den größten Anteil stellen aber laut Statistik Austria mit 14,1 % Mobilitätsbehinderungen dar, 3% leben mit einer Sehbehinderung“ (Bundesamt für Statistik). Wien belegt zwar in punkto Barrierefreiheit bereits einen guten Platz, dennoch besteht weiterhin Aufholbedarf. Außerhalb der Hauptstadt ist es jedoch für Menschen mit Behinderungen schwierig, ein barrierefreies Leben zu leben. Vollständige Barrierefreiheit stellt aufgrund der Vielfalt der Beeinträchtigungen eine Herausforderung dar; dennoch können durch kontinuierliche Verbesserungen und Anpassungen erhebliche Fortschritte in Richtung einer inklusiveren und zugänglicheren Umgebung für alle Menschen erreicht werden.
Inklusion ist ein Mehrwert für Individuen und für den gesamten Arbeitsmarkt
Menschen mit Behinderungen in den Büroalltag zu inkludieren hat zahlreiche Vorteile. Einerseits bringen sie bestimmte Kompetenzen in ein Team, die Menschen ohne Behinderungen häufig fehlen. „Um mein Leben so leben zu können, wie ich das möchte, muss ich stets sehr lösungsorientiert und kreativ denken. Das sind gefragte Kompetenzen auch am Arbeitsmarkt“, so Öllinger. Die Gesellschaft besteht nicht aus Normtypen, daher ist es ratsam innerhalb von Unternehmen ebenfalls auf diverse Teams zu achten und so Wettbewerbsvorteile zu generieren. „Auch der aktuelle War for Talents verdeutlicht die Bedeutung der Inklusion. Die Arbeitslosenrate unter Menschen mit Behinderungen ist doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderungen.
Es zahlt sich hier absolut aus, als ArbeitsgeberIn offen zu sein und Chancen zu geben, da ein echtes Potential für den Arbeitsmarkt besteht, besonders in Zeiten des Fachkräftemangels. Inklusion ist kein Mehraufwand, sondern ein Business Case“, meint Andreas Gnesda.
Häufige Mythen wie beispielsweise der besondere Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderungen schrecken Firmen oftmals ab. Jedoch tritt dieser erst nach vier Jahren in Kraft. Darüber hinaus gibt es auch Lohnförderungen und eine Einstellungspflicht von Menschen mit Behinderungen, die besagt, dass ab 25 MitarbeiterInnen auch zumindest ein Mensch mit Behinderung angestellt werden muss.
Barrierefreie Büros sind nicht teuer: Quick Wins und häufige Fehler
„Bei unseren Projekten wird die Barrierefreiheit von Beginn an mit eingeplant, so können große Anpassungen bzw. Mehrkosten vermieden werden. Wir arbeiten dabei im direkten Austausch mit Unternehmen wie myAbility und haben MitarbeiterInnen, die sich speziell mit barrierefreien Leitsystemen beschäftigen,“ so Bertram. „Es gibt entgegen der häufigen Annahme, dass Barrierefreiheit kompliziert und teuer sein muss aber zahlreiche Maßnahmen, die bereits die Barrierefreiheit erhöhen, aber kaum einen Aufwand darstellen“, so Robert Öllinger. Glasflächen stellen häufig für Menschen mit Sehbehinderungen ein Problem dar. Anhand von zwei kontrastierenden Farben, die mittels Streifen, Logos oder ähnlichem an Glasflächen angebracht werden, werden sie auch für Menschen mit Sehbehinderungen gut sichtbar.
Negative Auswirkungen durch laute Umgebungen können für Menschen mit Hörbehinderungen einfach mit speziellen Akustikpanelen oder spezifischen Vorhängen minimiert werden. „Davon profitieren natürlich alle im Büro. Auch bei Menschen ohne Behinderungen erhöht sich dadurch die Aufmerksamkeit“, so Öllinger. Durch das Vermeiden von häufigen Stolperfallen wie freiliegende Kabeln im Büro, wird die Barrierefreiheit ebenfalls einfach erhöht.
Öllinger rät außerdem dazu, gewisse Fehler zu vermeiden. Dazu gehören Rollstuhlrampen mit falschen Steigungswinkeln oder ohne Zwischenpodeste, die also nicht normgerecht gebaut werden. Farben haben ebenfalls eine große Bedeutung, auf die teamgnesda im Rahmen seiner Beratung hinweist. „Hier sollte immer auf eine möglichst hohe Kontrastierung von Räumen und Möbeln, beziehungsweise Türen geachtet werden“, rät Oliver Bertram.
Auch Stehtische sollten nicht die einzige Option in Besprechungszimmern oder Kaffeeküchen darstellen, da sie für RollstuhlfahrerInnen nicht benützbar sind. „Am besten ist, man hält sich an Ö-Normen und fragt dann aber unbedingt auch betroffene Menschen selbst. Man sollte sich hier nicht einfach auf die die eigene Einschätzung verlassen“, mahnt Öllinger.
Inklusive Arbeits- und Feierkultur
Am bedeutsamsten und absolut kostenfrei ist aber die Kultur im Büro. Indem auf eine barrierefreie Besprechungskultur geachtet wird und beispielsweise immer nur eine Person spricht, während alle anderen zuhören, wird Menschen mit Behinderungen ermöglicht, dank DolmetscherInnen ebenfalls an einem Gespräch teilzuhaben.
„Auch der After-Work Drink sollte nicht in einem Raum im 1. Stock ohne Stufen stattfinden, wenn man Menschen mit Behinderungen im Team hat. Hier kann man einfach überlegen, wie man solche Events für alle im Team zugänglich macht“, erklärt Öllinger abschließend.