Vorab: die Zukunft ist licht. Die europäische Stadt lebt. Viele unserer Innenstädte sind heute attraktiver als noch vor zehn Jahren – auch durch die Krise des Einzelhandels. Der Strukturwandel im Einzelhandel gibt der Stadt ihre urbane Mischung zurück: mehr Gastronomie, Drogerien, Lebensmittler – letztlich: mehr Aufenthaltsqualität. Der Einzelhandel selbst gewinnt in punkto Qualität – in seinem aufkeimenden Engagement, der frisch revitalisierten Kreativität um die Gunst seiner Kunden. Nur darauf kommt es an. Das ist der Weg, den die Branche 2020 weiter konsequent beschreiten muss.
Achtung! Flexibilität in der Nutzung!
Die neu gewonnene Heterogenität der Nutzungsoptionen und die Ungewissheit über weitere Veränderungen – Entwicklung des Einzelhandels, Citylogistik, autofreie Innenstädte – sollten Immobilienentwickler und Investoren dazu ermahnen, ihre Projekte mit einer maximal flexiblen Nutzungsstruktur zu versehen. Um mit dem urbanen Wandel Schritt halten zu können, sollten Assetmanager ihre Planungen so anpassen, dass Umbauten der Immobilie den Gleichschritt mit den Nutzungstrends ermöglichen.
Nachhaltigkeit gehört dazu – mehr, denn je
Zum Narrativ über ein Einkaufserlebnis wird zunehmend auch die Nachhaltigkeit des Produkts, der Marke, der Ladeneinrichtung, der Immobilie gehören. Das von der Bundesregierung noch recht verhalten auf den Weg gebrachte Klimaschutzgesetz wird mittelfristig zu einer höheren CO2-Bepreisung und höheren Transportkosten führen – insbesondere bei der Luftfracht. Auch Frankreich und andere Staaten agieren in Richtung höherer Nachhaltigkeit. In Verbindung mit dem Trend zu Fair Trade und, im Speziellen, zu Fair Fashion kann die wachsende Bedeutung des CO2-Footprints Europa als Produktionsstandort stärken.
Koexistenz in der Highstreet: Ohne Online geht‘s nicht
Zwischen Online-Handel und stationärem Handel muss noch einiges an Feintuning passieren. Denn den vom Erfolg verwöhnten Geschäften im stationären Handel fehlt die Offenheit für Veränderungen und das Interesse an Innovationen. Dabei bietet ein Omnichannel-Ansatz so viele Möglichkeiten Kunden in den Laden zu locken. Auch der notorische Online-Shopper sieht die Vorzüge der Abholung seiner Bestellung im Laden (Click & Collect): Gefällt das Produkt nicht, sieht man das gleich im Laden. Lästiges Wiederverpacken und der Gang zur Post entfallen. Viele Läden bieten auch an, online gekaufte Ware im Geschäft umzutauschen. Und wenn der Kunde beim Umtausch in den Laden kommt, besteht auch die Chance, dass er noch ein anderes Produkt findet, das ihm gut gefällt. Für die Marken ist entscheidend, dass Umsatz gemacht wird, nicht wo. Für den Kunden sind die Auswahl und die Vielfalt an Produkten, verbunden mit dem bestmöglichen Service, entscheidend. Bequemlichkeit ist Trumpf, weshalb soll es also nicht eine einzige Shopping-App für die ganze City statt einer App pro Marke geben? Umfassendes Shopping à la „Amazon“, aber offline.
Emotionalität und Vertrauen: Basis der Highstreet
Die Präsenz in 1A-Lagen hingegen verstehen die Hersteller zunehmend als unverzichtbaren Teil des Marketings – und zeigen sich bereit, dafür zu bezahlen. Repräsentative Showrooms locken Kunden an, die im Zweifelsfall auch „nur mal gucken“ wollen, die Attraktivität der Shoppinggegend profitiert nichtsdestotrotz. Langfristiger Erfolg kann sich jedoch nur einstellen, wenn aus dem Verkäufer in Zukunft ein qualifizierter Berater wird. Er muss mehr denn je die Marke und den Kunden zusammenbringen. Entscheidend für den Erfolg, ist der Mehrwert, den der Kunde aus seinem Besuch im Laden mitnimmt. Der Verkäufer muss Designer, Produzent und Markenbotschafter in einem sein, der Laden gleichzeitig Showroom und Shopping-Tempel für den Kunden.
Textilbranche und Gastronomie sind reif für die Ehe
Abseits aller Anglizismen heißt „Erlebniseinkaufen“, dass die Kunden beraten, unterhalten und beköstigt werden. Zur Sinnlichkeit des Einkaufserlebnisses trägt die Beköstigung entscheidend bei. Das ist sowohl der Latte Macchiato im hohen Glas in der Café-Nische des Damenmodegeschäfts wie auch das deftige Suya im nigerianischen Restaurant, dass Platz in einem früheren Schuhgeschäft gefunden hat. Einkaufen ist auch eine Freizeitbeschäftigung mit Anspruch auf Unterhaltung und Anregung, ein Erlebnis, von dem im Freundeskreis erzählt wird. Und dabei liegen die erworbene Samtbluse und der überraschende Geschmack des Suya mindestens auf Augenhöhe. Einzelhandel und Gastronomie sind bereit in ihrer jungen Beziehung den nächsten Schritt zu gehen und die jeweiligen Potentiale zu vereinen.
Monogamie nicht erwünscht
Wohin also wollen wir? Die Highstreets der Top-20-Städte bestechen künftig durch mehr Vielfalt – betriebswirtschaftlicher Terminus des Prozesses: Diversifikation. Die sich ehedem bis in die Obergeschosse erstreckende Monostruktur der Mode macht Platz für Gastronomie, Dienstleistungen rund um Sport, Gesundheit, Technik, Einrichtung, Mobilität – Schaufenster und Leihstationen für E-Fahrzeuge auf zwei bis vier Rädern etwa. Und natürlich sind die Highstreets weiterhin das Ziel für Modeshopping: die edlen Budapester für den Herrn und die High Heels mit roter Sohle für die Dame. Diese Nutzungen erreichen teilweise auch die Obergeschosse, die darüber hinaus ganz klassisch für Büroflächen – ggfs. in der modernisierten Coworking-Variante – sowie Wohnflächen in ihrer Ausdifferenzierung vom klassischen Wohnen über möblierte Mikro-Apartments und Boardinghouses bis hin zu vielfältigen Hotelkonzepten zur Verfügung stehen. Die Mischung findet nicht nur in der Lage statt, sondern in jeder Immobilie. Die Nutzungsarten müssen heiraten, aber dürfen nicht monogam leben.