Für innerstädtische Einzelhandelslagen markieren die vor dem Sommer gestarteten Bauarbeiten für die erste IkeaFiliale in zentraler Stadtlage, ein siebengeschoßiges Möbelhaus neben dem Westbahnhof, den Beginn einer wichtigen Entwicklung. Eine ähnliche Signalwirkung hatte die Ankündigung der SIGNA, bis 2023 aus dem heutigen LeinerMöbelhaus auf der Mariahilfer Straße ein Luxuskaufhaus zu entwickeln. Beides sind attraktive Beispiele wie sich für innerstädtische Lagen neue Perspektiven eröffnen lassen.
Bedenklich war hingegen eine Reihe von Insolvenzen im Einzelhandel. Insbesondere in der Textilbranche forderte der Strukturwandel im Handel weiterhin Opfer. So erfolgte das endgültige Aus für die Textilkette Vögele, die am Höhepunkt ihrer Präsenz in Österreich mehr als 125 Filialen und zuletzt noch 57 Standorte aufwies. Weitere Insolvenzen in der Modebranche betrafen unter anderem die Marken BikBok mit sieben Standorten in Österreich, die Marke Carlings mit vier Geschäften sowie das Unternehmen Mister Lady, das zunächst einmal 13 seiner 35 Filialen, vornehmlich in Fachmarkt und Einkaufszentren, schließen musste.
Flächenentwicklung
Erstmals seit 2012 war 2018 wieder ein Wachstum von Handelsflächen zu verzeichnen. Die Verkaufsflächen stiegen um knapp 100.000 m2 auf nunmehr 13,8 Millionen m2. Da Österreich eine im europäischen Vergleich relativ große Einkaufsfläche pro Kopf aufweist, war die Marktbereinigung der vergangenen Jahre, insbesondere in schwächeren Lagen, durchaus positiv zu sehen – nun scheint der klare Abwärtstrend gebrochen und ein im Großen und Ganzen langfristig gesundes Ausmaß an Einzelhandelsflächen dürfte erreicht worden sein. Weitere Flächenreduktionen wird es vor allem in B und CLagen geben. Hier konzentrieren Vermieter ihre Anstrengungen immer mehr auf Alternativnutzungen statt nach Einzelhandelsmietern zu suchen. Beachtlich hohe Nachfrage gibt es seitens Arztpraxen und anderer Gesundheitseinrichtungen sowie Sozialeinrichtungen wie etwa Kindergärten.
Die Neuflächenproduktion ist weiterhin verhalten und die einzigen nennenswerten Neuentwicklungen finden in den Bundesländern statt. Im ersten Halbjahr eröffnete das „Hey“ in Steyr mit 15.000 m2 und über 30 Shops, das bereits zur Eröffnung voll vermietet war und in den ersten Monaten bereits einen regen Kundenandrang verzeichnen konnte. Im FMZSektor erfolgte der Baubeginn für die Erweiterung des boomenden FMZ Kittsee. Hintergrund dafür ist vor allem die grenznahe Lage und der enorme Zustrom slowakischer Konsumenten aus dem nur wenige Autominuten entfernten Bratislava.
Mieterstruktur
Am österreichischen Einzelhandelsmarkt zeichnete sich im ersten Halbjahr 2019 immer stärker ein Strukturwandel ab: Während die Modebranche weiter sukzessive Flächen reduziert oder durch Insolvenzen sogar schließen muss (Vögele, Mister Lady, BikBok, Carlings), gibt es auch zwei Gewinnerbranchen, die aktuell sehr expansiv sind und die verminderte Flächennachfrage aus dem Fashionbereich kompensieren können: Sport und Gastronomie.
Insbesondere Sportartikelhändler haben in den vergangenen Monaten einige großflächige Filialen eröffnet, teilweise wurden die Flächen dabei von Modeketten übernommen. Nachdem XXL Sports im April seine bereits fünfte Österreich-Filiale auf fast 4.000 m2 im Kaufhaus Gerngroß auf der Mariahilfer Straße eröffnete, folgte der britische Sporthändler JD Sports Mitte Juli auf der ehemaligen Bershka-Fläche, ebenfalls auf der Mariahilfer Straße. Mit dem Hervis Flagship-Store wird Österreichs wichtigste Einkaufsstraße im August noch ein weiteres großes Sportgeschäft erhalten. Bisher war auf dieser Fläche ein Kombi-Store der Marken Jack & Jones und Vero Moda vertreten. Bereits im Vorjahr eröffneten Nike und Asics ihre Flagship-Stores auf der Mariahilfer Straße. Dass Österreich für internationale Sportketten so interessant ist, liegt auch an den hohen Pro-Kopf-Ausgaben der Österreicher für Sportartikel- und -bekleidung, die im Schnitt bei 300 Euro im Jahr liegen. Die Deutschen geben durchschnittlich nur 100 Euro jährlich für Sportequipment oder Sportmode aus. Selbst in der Schweiz sind es mit 240 Euro weniger als in Österreich.
Die zweite große Nachfragegruppe ist die Gastronomie, insbesondere die Systemgastronomie. Ein immer größerer Anteil an den Konsumausgaben fließt in das auswärts essen und das spiegelt sich auch in einem stetig steigenden Anteil der Gastronomieflächen in Einkaufsstraßen und Einkaufszentren wider. Zu den aktuell expansivsten Unternehmen in diesem Bereich zählt die US-amerikanische Pizzakette Domino’s, die zuletzt auf Vermittlung von EHL ihre bereits achte Filiale in Wien eröffnet hat. Weitere Ketten, die in den vergangenen Monaten neue Standorte eröffneten, waren u.a. Pasta Manifattura, Honu Tiki Bowls oder der sehr trendige Eisanbieter Veganista, der bereits die neunte Filiale innerhalb von zwei Jahren aufgesperrt hat. Zwischenzeitlich gibt es erstmals in Österreich mehr Systemgastronomiebetriebe als Drogeriemärkte.
Abseits dieser beiden insgesamt expansiven Branchen sorgen einzelne, besonders erfolgreiche Unternehmen aus anderen Bereichen ebenfalls für Nachfrage nach zusätzlichen Flächen. Erwähnenswert ist etwa die rasche Expansion des von EHL begleiteten niederländischen Warenhauskonzerns HEMA, der zuletzt Stand- orte in der SCS und der steirischen Shoppingcity Seiersberg eröffnet hat. Das ebenfalls holländische Unter- nehmen Cheese & More wiederum, das von EHL nach Wien geholt wurde und seine erste Filiale außerhalb der Niederlande in der Kärntner Straße eröffnet hat, hat Österreich als Testmarkt für die weitere europäische Expansion genutzt. Nach dem höchst erfolgreichen Start der Österreich-Tochter wurde das Unternehmen von EHL auch beim Markteintritt in Deutschland begleitet und hat im Frühjahr eine Filiale auf dem Münchner Marienplatz eröffnet.
Mietentwicklung
In den sehr guten Lagen des Wiener Einzelhandelsmarktes, insbesondere der Mariahilfer Straße (bis zu 110 EUR/m2) und der Kärntner Straße (bis zu 330 EUR/m2), konnten die Mieten ihr hohes Niveau halten. Allerdings wird der „Spread“ zwischen den Höchstmieten, die erzielt werden und Mieten an Sekundärstandorten immer größer. Die Mieten in den etwas schwächeren B- und C-Lagen und vielfach auch in den Shopping-und Fachmarktzentren geraten generell durch die erwähnten Insolvenzen und Filialschließungen der Textilbranche weiter unter Druck. Nachvermietungen sind in diesen Lagen meist nur zu günstigeren Konditionen realisierbar.
In den absoluten Spitzenlagen rund um den Kohlmarkt übersteigt die Nachfrage nach Flächen unverändert das sehr begrenzte Angebot. Die hier aufgerufenen Mieten übersteigen immer häufiger das seit mehreren Jahren bestehende Niveau von etwa 400 EUR/m2. Damit wird Wien im internationalen Ranking der Spitzenmieten, wo es zuletzt auf Platz 10 lag, vermutlich recht bald weiter nach oben klettern.
Ausblick
Der filialgebundene Einzelhandel konnte bedingt durch eine gute Allgemeinkonjunktur im ersten Halbjahr 2019 den seit Jahren bestehenden Abwärtstrend stoppen und sowohl Flächenbedarf als auch Mieten in den Toplagen zeigen sich aktuell weitgehend stabil. Allerdings bedeutet das keineswegs, dass es nicht weiterhin einen bedeutenden Strukturwandel geben muss. Wichtige Branchen wie allen voran Textil, Schuhe und Elektro werden noch in größerem Ausmaß Filialbereinigungen durchführen, doch springen dafür andere in die Bresche, insbesondere Sport, Gastronomie, Dienstleistungen und Gesundheitseinrichtungen. Insgesamt sollte dies für stabile Flächennachfrage sorgen, es wird daher weiterhin wenig Neuflächenproduktion geben. Dafür werden in steigendem Maß Investitionen in die Qualitätsverbesserung und neue mutige Konzepte erforderlich sein, um einen Standort wettbewerbsfähig zu halten.
Längerfristig wird auch der Wandel der Mobilität Folgen haben: Das derzeit so wichtige Kriterium Parkplatzangebot wird tendenziell an Bedeutung verlieren, u. a. weil immer mehr Konsumenten gekaufte Waren zustellen lassen statt sie selbst zu transportieren. Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Nähe zum eigenen Wohnort wird tendenziell an Bedeutung gewinnen.