EHL Update H1 2020 zum Einzelhandelsmarkt

In der ersten Jahreshälfte des Jahres 2020 wurden der österreichische Einzelhandelsmarkt, die Gastronomie und große Teile der privaten Dienstleistungsbranchen von der Coronakrise mit voller Wucht getroffen. Somit waren (mit der wichtigen Ausnahme des Lebensmittelhandels) alle großen Mietergruppen für Einzelhandelsimmobilien betroffen, was wiederum dazu führte, dass weitgehend unabhängig vom konkreten Mietermix der Großteil aller Einzelhandelsimmobilien mit großen Schwierigkeiten konfrontiert war.

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Überblick Einzelhandelsmarkt

Die Phase der Coronaschließungen war zwar zweifellos der Tiefpunkt der Entwicklung, aber keinesfalls ist mit deren Ende die Krisenphase für die genannten Branchen und somit auch den Markt für Einzelhandelsimmobi­lien vorüber. Auch nach der weitgehenden Aufhebung der Beschränkungen (verblieben sind nach Ende Juni im wesentlichen noch restriktive Sperrstundenregelungen, Limitierung von Großveranstaltungen und geringfügi­ge Einschränkungen für Dienstleister) kämpft ein Großteil der Unternehmen mit deutlich gesunkenen Umsät­zen. So lagen die Einzelhandelsumsätze im Juni im Durchschnitt um 25 Prozent unter dem Vorjahreswert, bei Mode betrug das Minus 40 Prozent, bei Schuhen rund 30 Prozent. Diese negative Entwicklung ist teils der großflächigen Konsumzurückhaltung der Österreicher geschuldet, teils der Abwanderung von Umsätzen in den Onlinehandel und zum Teil auch dem Ausbleiben ausländischer Touristen.

Augenfälligste Folge dieser desaströsen Rahmenbedingungen war eine Häufung von Insolvenzen, wie sie seit langem nicht mehr zu verzeichnen war. Auf der (unvollständigen) Liste der Insolvenzen, Schließungen oder radikalen Filialreduktionen mit Bezug zum österreichischen Markt finden sich prominente Namen wie Esprit, Stefanel, Runners Point, Dressman und Tally Weijl, in der Systemgastronomie waren Vapiano und Maredo die bekanntesten Krisenopfer.

Die Coronafolgen sind aber auch deswegen so stark spürbar, weil wesentliche Teile des Einzelhandels bereits „unter Vorerkrankungen“ litten, insbesondere unter der immer stärker werdenden Onlinekonkurrenz, die im filialgebundenen Einzelhandel im Non­Food­Bereich schon seit längerem trotz guter Konjunktur weitgehend stagnierende Umsätze zur Folge hatte.

Flächenentwicklung

War 2018 und 2019 nach fünf aufeinander folgenden Jahren mit rückläufigem Flächenbestand noch eine Sta­ bilisierung der Einzelhandelsflächen zu verzeichnen, so ist diese leichte Erholung 2020 durch Coronakrise und Konjunktureinbruch bereits wieder beendet. Einer geringfügigen Neuflächenproduktion, die großteils auf zusätzliche Lebensmittelmärkte entfiel (die einzigen großflächigen Neuentwicklungen entstehen derzeit im auf den Ostmarkt zielenden Parndorf), stand der Wegfall von Flächen an schwächeren Standorten gegenüber und auch ein Teil der nach Insolvenzen und Filialschließungen leerstehenden Flächen wird mangels wirtschaftlicher Perspektiven wohl dauerhaft dem Einzelhandelsimmobilienmarkt entzogen werden. Somit ist zu erwarten, dass es 2020 wieder zu einem Rückgang der Gesamtmietfläche und der Verkaufsfläche pro Einwohner kommen wird.

Im Gegensatz zu den Vorjahren kommen auch aus den Branchen, die bisher in größerem Ausmaß freiwerdende klassische Einzelhandelsflächen absorbierten, also z. B. Gastronomie und Gesundheitsdienstleister, derzeit nur recht vereinzelt Impulse.

Mieterstruktur

Corona hat zwar den Großteil der Mieter von Einzelhandelsimmobilien getroffen, aber doch sehr unterschiedlich stark und vor allem unterschiedlich nachhaltig. Das wird auch die weitere Entwicklung der Mieter- und Branchenstruktur in Einkaufsstraßen und Einkaufszentren prägen.

Praktisch unbetroffen und damit relativ der große Gewinner ist der Lebensmittelhandel. Die großen vier – Rewe, Spar, Hofer, Lidl – sind weiterhin expansiv und auch Nischenanbieter wie Biosupermärkte haben sich gut gehalten und haben intakte Wachstumsperspektiven.

Generell haben sich alle Nahversorgungsbranchen wie Drogerie- oder Baumärkte in der Krise als robust erwiesen, auch Sportgeschäfte verzeichneten nach Ende des Shutdowns sehr zufriedenstellende Um- sätze. Einzelne Branchen, die von der Krise sogar profitierten, wie etwa Gartenmärkte, bleiben aber die große Ausnahme. Branchenübergreifend haben Diskonter überdurchschnittlich abgeschnitten, was auf das steigende Preisbewusstsein der Konsumenten in einem sehr schwierigen wirtschaftlichen Umfeld zurückzuführen ist.

Besonders stark betroffen sind hingegen die großen Branchen Mode und Schuhe. Hier ist mit einer nachhaltigen Korrektur zu rechnen, die sich in der Ausdünnung von Filialnetzen, der Reduktion von Filialgrößen und dem Rückzug einzelner Marktteilnehmer niederschlagen und zu einem merkbar geringeren Flächen- bedarf dieser Branchen führen wird.

Mietentwicklung

Da es im ersten Halbjahr und insbesondere im Coronaquartal Q2 kaum Neuvermietungen gab, fehlen belastbare Marktdaten. Dennoch kann auf Basis von Vertragsverlängerungen und Neuverhandlung bestehender Verträge mit einiger Sicherheit von einem steigenden Druck auf das Mietenniveau in wesentlichen Teilen des Flächenbestands ausgegangen werden. Dieser trifft im Unterschied zur Vergangenheit auch die A-Lagen und sogar die absoluten Spitzenflächen.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist das Goldene U, bestehend aus Kärntner Straße, Graben und Kohlmarkt. Dort macht sich vor allem das fast vollständige Fehlen internationaler Touristen und Kongressgäste negativ bemerkbar. Mit den stark zurückgegangenen Umsätzen können die zwischen 130 EUR/m² auf der Kärntner Straße und bis zu 400 EUR/m² in Bestlagen am Kohlmarkt liegenden Mieten bei weitem nicht erwirtschaftet werden. Die düsteren Mittelfristprognosen für den Städtetourismus lassen erwarten, dass dies jedenfalls noch bis Ende des Jahres der Fall sein wird.

Auch in anderen innerstädtischen Toplagen wie der Inneren Mariahilfer Straße, aber auch in einem großen Teil der Einkaufszentren ist damit zu rechnen, dass das derzeitige Mietniveau bestenfalls stagnieren wird.

Darüber hinaus ist ein Trend zu einer stärkeren Differenzierung der Mieten entsprechend der Branchen- und Unternehmensbonität festzustellen. Vermieter sind noch mehr als bisher bereit, nachhaltig erfolgreiche Ketten, insbesondere aus der Lebensmittelbranche, mit attraktiven Konditionen langfristig zu binden, um sich Mieter zu sichern, die eine langfristige Verwertung ohne nennenswertes Ausfallrisiko versprechen.

Ausblick

Die aktuelle Krise wird den längerfristigen Wandel im filialgebundenen österreichischen Einzelhandel deutlich beschleunigen. Die Filialbereinigungen in wichtigen Branchen mit hohen Anteilen an der Gesamtverkaufsfläche wie insbesondere Textil und Schuhe werden schneller und konsequenter umgesetzt werden, als das noch im Vorjahr zu erwarten war.

In guten Lagen werden sich daraus für noch wachsende Branchen wie Lebensmittelhandel neue Möglichkeiten eröffnen, sich an chancenreichen, frequenzstarken Standorten zu etablieren. Ein positives Signal ist auch, dass es bereits wieder einige Anfragen spannender neuer Konzepte aus dem Ausland gibt, die in Österreich weiterhin einen attraktiven Markt mit nachhaltigen Perspektiven sehen. In B- und C-Lagen wird sich hingegen das Leerstandsproblem verschärfen und die Eigentümer entsprechender Objekte werden noch mehr als bereits bisher Umnutzungen anstreben oder auch Flächen aus dem Markt nehmen müssen.

Die schwache Ertragslage in Handel und Gastronomie sowie steigende Leerstände werden die Mieten in weiten Teilen des Einzelhandelsimmobilienmarkts unter Druck bringen, insbesondere gilt das für teure Lagen mit hohem Tourismusanteil. Stabil bleiben die Mieten in Einkaufsstraßen und EKZ / FMZ mit primärer Nahversorgungsfunktion sowie an den Top-Standorten, während kleinere und bereits bisher eher schlecht performende EKZ / FMZ es zukünftig noch schwerer haben werden, attraktive Mieter zu gewinnen.

Als Konsequenz aus den schwer einschätzbaren wirtschaftlichen Perspektiven in wichtigen Teilmärkten wird es auch zu einer stärkeren Flexibilisierung der Mieten kommen. Insbesondere werden umsatzabhän- gige Mieten bzw. Mischformen mit niedriger Fixmiete plus umsatzabhängigen Zahlungen an Bedeutung gewinnen. Die Laufzeit neuer Mietverträge wird tendenziell sinken.

Die Produktion von Neuflächen wird auf absehbare Zeit nur in sehr geringem Maß, etwa im Rahmen von Wohnbauprojekten, erfolgen. Es ist auch damit zu rechnen, dass geplante Investitionen in Modernisie- rungen und Verbesserungen nochmals überprüft werden. Das ist schon deswegen zu erwarten, weil die Finanzierung von Investments im Retailbereich von den Banken sehr kritisch geprüft wird.

Der beschleunigte Strukturwandel eröffnet aber auch interessante neue Möglichkeiten und insbesondere A- bzw. Top-Lagen (Kärntnerstraße, Mariahilfer Str., Getreidegasse) gewinnen weiter an Bedeutung, wäh- rend schlechtere Lagen an Boden verlieren. In den sehr guten Lagen werden größere Leerstände daher nur temporäre Phänomene bleiben. Freiwerdende Flächen werden Raum für innovative Einzelhandels-, Gastronomie- und Dienstleistungskonzepte sowie für die Neunutzung von Flächen schaffen. Diese innovativen Ansätze werden zwar möglicherweise kurzfristig nur niedrigere Mieten als die bisherigen Nutzungen bringen, mittel- und langfristig aber können sie die nachhaltige Marktfähigkeit der Objekte sichern und so auch wieder steigende Mietenniveaus ermöglichen.

Miete Top Einkaufsstraßen | Q1 2020
 Nettomiete EUR /m2/M
Kohlmarkt250 – 450
Graben190 – 350
Kärntner Straße120 – 330
Innere Mariahilfer Straße35 – 150
Rotenturmstraße30 – 130
Favoritenstraße15 – 55
Neubaugasse15 – 55
Landstraßer Hauptstraße10 – 50
Meidlinger Hauptstraße10 – 30

Quelle: EHL Market Research | Q1 2020

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  • Erschienen am:
    10.07.2020
  • um:
    21:00
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