„Dietmar Steiner hat dem Az W schon früh eine einzigartige DNA verpasst, um die uns heute viele Museen beneiden: die Situierung inmitten gesellschaftlicher Debatten. Viele aktuelle Themen, von Klimawandel bis zur gebauten Solidarität hat er seismographisch vorweggenommen. Die Architektur und wir alle, die wir in ihr leben, haben einen großen Verbündeten verloren.“ Angelika Fitz, Direktorin Az W
“Seine Energie, seine Leidenschaft und sein Widerspruchsgeist setzten die Basis, um die Bedeutung von zeitgenössischer Architektur einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen!” Karin Lux, Geschäftsführerin Az W
Als seismographischer Beobachter, scharfzüngiger Kritiker und kompromissloser Liebhaber der Architektur hat Dietmar Steiner die österreichische und internationale Architekturwelt über Jahrzehnte geprägt. Als Autor für Architekturmagazine und Tageszeitungen, als Vortragender, Juror und Kurator hatte er bereits ein internationales Netzwerk etabliert, bevor er 1993 Gründungsdirektor des Architekturzentrum Wien wurde. Diese von Stadt Wien und Bund initiierte Institution hat er 25 Jahre lang geleitet und sie zu einem der weltweit angesehensten Architekturmuseen gemacht. Im Mittelpunkt standen dabei stets die gesellschaftliche Dimension von Architektur und das Museum als Ort für neuralgische Debatten.“ So hat er mit der ersten Ausstellung über das „Rural Studio“ bereits 2003 eine Architecture Engagée mit radikalen Ansätzen von low-tech und low-cost ins Scheinwerferlicht geholt und damit ein internationales Umdenken – vor allem in akademischen, medialen und theoretischen Kreisen – eingeleitet. Ähnliches gelang dem Az W mit einer Ausstellung zur bis dahin unbekannten „Sowjetmoderne“, der Jahre später ein großer Hype rund um die brutalistische Architektur folgen sollte. Zu den weiteren bahnbrechenden Ausstellungen unter seiner Direktorenschaft zählt „Wien. Die Perle des Reiches. Planen für Hitler“, die erstmals das Baugeschehen in Wien während der NS-Zeit aufarbeitete. „The Austrian Phenomenon“ oder „Lessons from Bernard Rudofsky“ widmeten sich der internationalen Rezeption des österreichischen Architekturerbes, während Projekte wie „Chinaproduction“ und „Balkanology“ die Zusammenhänge zwischen globalen Kapitalströmen und lokalen Kontexten sichtbar machten.
In den 25 Jahren als Direktor des Architekturzentrum Wien belebte Dietmar Steiner die österreichische Architekturlandschaft mit internationalen Themen und die Wiener Stadtentwicklung mit kontroversiellen Diskussionen. Er etablierte das Az W als international hoch angesehene Anlauf- und Schnittstelle für die architektonische Fachwelt und legte den Grundstein für die größte Sammlung von Vor- und Nachlässen österreichischer Architekt*innen des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig entwickelte sich das Az W zu einem Publikumsmuseum mit einem breiten Vermittlungsprogramm, besonders auch für Kinder und Jugendliche – eine Vorreiterrolle, an der sich später viele andere Architekturmuseen ausrichteten.
Dietmar Steiner, 1951 in Wels geboren, studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste (zuerst bei Ernst A. Plischke, dann bei Gustav Peichl). Er arbeitete an Friedrich Achleitners Archiv „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“ mit, lehrte bis 1989 an der Hochschule für angewandte Kunst und fungierte als Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (1980–1982). Darüber hinaus war er als Redakteur beim internationalen Mailänder Magazin „domus“ tätig. 2002 kuratierte er als Kommissar den österreichischen Beitrag der Architektur-Biennale in Venedig. Von 2006 bis 2014 war er Präsident von ICAM – International Confederation of Architectural Museums – der weltweiten Dachorganisation der Architekturmuseen. Von 2009 bis 2014 Vorsitzender des Qualitätsbeirats für den sozialen Wohnbau in Wien. Seit 1989 betrieb er ein eigenes Büro für Architekturberatung in Wien. Sein lebenslanges Agieren an der Schnittstelle von Theorie und Praxis und seine inhaltliche Bandbreite prädestinierten ihn für die Rolle des Vermittlers. Ob zwischen Bauherr*innen/Investor*innen und Architekt*innen, zwischen Politik und Baukultur, zwischen Laien und Fachleuten, stets ging es ihm darum, Hintergründe und Interessen zu thematisieren, Rahmenbedingungen zu verschieben und so höchstmögliche Qualität vor allem für die Nutzer*innen von Architektur zu sichern.
„Architektur ist Lebensmittel“, diese Überzeugung begleitete seine jahrzehntelange Arbeit für eine menschliche und ressourcenschonende Architektur. In den letzten Jahren wurde sein Blick auf die Architektur von einem zunehmenden Pessimismus geprägt. Global agierende Großbüros, Stararchitekt*innen und die rechtliche wie wirtschaftliche Schwächung des Berufsstandes sah er als Teil einer gesellschaftlichen Krise. Die Architektur ließ ihn aber auch nach seiner Pensionierung 2017 nicht los. Und so widmete er sich einer Aufgabe, die zugleich auch den Beginn seiner Karriere darstellte, der Arbeit von Friedrich Achleitner und dem ausständigen Architekturführer Niederösterreich. Leider konnte er dieses Projekt nicht mehr beenden.
Die Architektur hat einen ihrer größten Mentoren verloren. Unser Mitgefühl gilt seiner Ehefrau Margarethe Cufer. Er wird uns fehlen!