Teil 1 erschien am 7.5.25
Privates Umfeld und kritische Infrastruktur
Dazu kommen noch zwei weitere Herausforderungen: das private Umfeld und die kritische Infrastruktur. Es werden nicht alle Einsatzkräfte auch tatsächlich zum Einsatz erscheinen. Verständlich. Schützt man bei einem Blackout nicht besser seine Familie?
In einem echten Notfall werden von der Feuerwehr nicht die Wohnhäuser angefahren, sondern die kritische Infrastruktur. Die hat Vorrang, wobei man in vielen Fällen davon ausgehen kann, dass die dort vorhandenen Aufzüge ein Notstromaggregat haben und damit das nächstgelegene Stockwerk auch bei einem kompletten Stromausfall erreichen können.
Notfall und Katastrophe
Die Stadt Wien ist auf Notfälle vorbereitet. Auf Katastrophen allerdings nicht. Das kann man auch niemandem zum Vorwurf machen. Für ein Worst-Case-Szenario in dieser Form vorbereitet zu sein, würde nämlich entsprechende finanzielle Mittel verlangen. Das wiederum würde sehr viele Leute auf den Plan rufen, die der Stadtregierung diese unsinnige Geldausgabe ankreiden würden. Es gibt zwar den Spruch „Hope for the best, but be prepared for the worst“, doch in diesem Fall ist in der Stadt eher der erste Teil des Satzes das Notfallprogramm: „Wird scho’ nix passieren.“
Hilf dir selbst!
Daher gibt es nur eine Lösung: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Das ist keine Aufforderung zu beten (was manchmal auch nicht schlecht sein kann, um die Psyche zu stabilisieren), sondern eine Aufforderung, die Initiative in die eigene Hand zu nehmen. Es ist eine Warnung, sich bei der Bewältigung des Lebens zu sehr auf Götter und höhere Mächte zu verlassen. Das wird in diesem Fall auch nicht möglich sein, aber man kann sich auf andere Menschen verlassen.
Zusammenarbeit
Kurz und gut, man sollte im eigenen Haus die Befreiungsmöglichkeiten selbst in die Hand nehmen. Eine gut organisierte Hausgemeinschaft ist sicherlich eine wertvolle Basis. Wobei auch nicht das ganze Haus in die Vorbereitungen involviert werden muss. Es reicht, wenn sich ein paar Parteien zusammentun, um Notfallpläne auszuarbeiten. Man gilt ja gleich als „Verschwörungstheoretiker“, wenn man sich mit durchaus realistischen Szenarien befasst, die aber von vielen als nicht denkbar abgewiesen werden.
Lösung eins
Grundsätzlich geht es darum, sich gegenseitig Hilfe zu leisten. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten – die erste bereits vor dem Blackout, die zweite mittendrin. Im ersten Fall einigt man sich mit den Eigentümern, eine Notfallanlage im Lift zu installieren. Die neueren Modelle der Aufzugsanlagen verfügen bereits darüber. Bei einem Stromausfall fährt der Aufzug zumindest in das nächstgelegene Stockwerk, um ein Aussteigen zu ermöglichen. Für diesen kontrollierten Senkbetrieb würden ein 12V-Motor mit einigen 100 Watt und eine Motorradbatterie genügen. Eine Nachrüstung ist ebenfalls möglich, liegt aber im Ermessen der Eigentümer. Das ist keine große Sache, und es gibt bereits Unternehmen, die auch bei Fremdliften – also nicht aus der eigenen Produktion – diese Serviceleistung anbieten und ihre Notstromaggregate montieren. Diese müssen nicht viel können, außer zum nächsten Stockwerk zu fahren und die Tür zu öffnen.
Moderne Sicherheit
Mittlerweile gibt es Aufzüge, die bei Stromausfall im Batteriebetrieb weiterfahren. Nicht nur bis in das nächste Stockwerk. Bei fortschrittlichen Modellen sind im Falle eines Stromausfalls bis zu 100 Fahrten mit reinem Batteriebetrieb möglich. Das wäre ohnehin günstig, wenn man sich in einem Hochhaus mit – sagen wir mal – ab zehn Stockwerken befindet. Da werden die Aufzüge wirklich gebraucht. Wer allerdings fahren darf und wer nicht, wird in solchen Fällen von der Muskelkraft abhängen. Es muss nämlich damit gerechnet werden, dass selbst bei einem funktionierenden Aufzug in Notfällen das Chaos herrscht. Wobei dieses System bei einem Blackout seine Tücken hat. Wie lange hält die Batterie und wer ist der oder die Letzte im Lift? Damit schließt sich wieder der Kreis, und wir kommen zur zweiten Lösung.
Lösung zwei: der Dreikantschlüssel
Einigt man sich auf keine Lösung oder sind die Eigentümer nicht gewillt, eine entsprechende Notfallanlage zu installieren – oder ist die Batterie leer! –, hilft der legendäre Dreikantschlüssel. Mit diesem Inbusschlüssel lässt sich die Lifttür von außen öffnen. Er hebt eine mechanische Verriegelung an, und die Türen können aufgeschoben werden. Übrigens: Das „Schlüsselloch“ befindet sich rechts oben im Rahmen der Aufzugstür.
Der Dreikanter, der die Tür zur Freiheit der andern bedeutet, ist keine große Sache. In den Baumärkten ist er ab einem Preis von rund fünf Euro zu haben: „Der für die Notbefreiung erforderliche Dreikantschlüssel M5 hat bei allen Anlagen Anwendung zu finden.“ Als „Notentriegelungsschlüssel Aufzug“ kann man ihn auch im Internet erwerben.
Nicht legal
Aber Achtung! Nicht autorisierte Personen, die einen Dreikanter zum Öffnen einer Aufzugstür verwenden, handeln illegal. Das ist verständlich, denn in so einem Fall ist das Risiko nicht kalkulierbar: Absturzgefahr, Einklemmungsgefahr, plötzliche Stromversorgung. Der Dreikanter öffnet nämlich nur die Tür, bewegt aber nicht den Lift. Je nachdem, wo dieser sich zwischen den Stockwerken befindet, kann viel oder wenig Platz zum Aussteigen vorhanden sein, womit Absturz- und Einklemmungsgefahr gegeben sind. Das Risiko, dass es sich bei dem Stromausfall nur um einen Brownout handelt, ist immer gegeben (siehe Kasten). Im besten Fall bleibt der Lift, wo er ist. Im schlechtesten Fall fährt er an.
Verloren im Bürohaus
Eine Spur heftiger wird die Sache, wenn sich der Fahrstuhl in einem öffentlichen Gebäude oder in einem Bürohaus befindet. Ganz ehrlich: Wie würden Sie reagieren? Würden Sie versuchen, Hilfe für die Eingeschlossenen zu holen, oder danach trachten, so schnell wie möglich nach Hause kommen? Eben. Und daher kann man davon ausgehen – nein, muss man davon ausgehen –, dass die Situation in einem solchen Gebäude für die Steckengebliebenen weitaus dramatischer ist. Denn diejenigen, die sich im Lift befinden, werden nach kürzester Zeit, nämlich dann, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Bürohaus verlassen haben – und das wird relativ schnell passieren –, auf sich allein gestellt sein. „Drei Männer und eine Frau, die sich nicht mehr unter Kontrolle haben“, so beginnt der Trailer zum Film „Abwärts“ aus dem Jahr 1984: „Eingesperrt auf engstem Raum …“ Sie wissen, worum es geht.
Wenig Spielraum
Die Feuerwehr hat alle Hände voll zu tun, und ob Rettung kommt oder nicht, ist so ungewiss wie die Rückkehr des Stroms. Handy gibt es nicht, also wird sich wohl irgendwann jemand auf den Weg machen, um die vermisste Person zu suchen. Das kann in einer Stadt, in der der Strom ausgefallen ist, ein Spießrutenlauf werden. Viel eher ist damit zu rechnen, dass die Eingeschlossenen nicht gehört werden und sich niemand um sie kümmert. Wobei: Es gibt ja auch Familien, in denen es sogar erwünscht ist, dass missliebige Personen nicht mehr auftauchen. Vielleicht sollte daher schon im Vorfeld auf ein wohlwollendes Miteinander gesetzt werden.
Alternativen
Das Aussteigen nach oben, wie es in Filmen gerne gezeigt wird, ist vom Gesetz her verboten. Laut Auskunft von Aufzugsfirmen und der Feuerwehr ist es wirklich keine gute Idee. Viele Argumente sprechen dagegen, vor allem der Strom. Wenn der nämlich unerwartet – vielleicht auch nur für kurze Zeit – wiederkommt, kann es auf der Kabine im Liftschacht weitaus ungemütlicher sein als darin. Und fährt der Aufzug dann auch noch bis in den obersten Stock, wird’s richtig eng.
Drei Minuten ohne Luft
Eines sei aber gesagt: Die Angst, dass man erstickt, ist komplett unbegründet. Die Aufzüge sind durchlüftet und selbst bei einer vollen Kabine wird niemand nach Luft ringen müssen. Drei Minuten kommt der Mensch ohne Luft aus, drei Tage ohne Wasser, drei Wochen ohne Essen – alles kein Problem. Ein Aspekt allerdings wird so gut wie nie bedacht: Wie lange kommt der Mensch ohne Toilette aus? Liest man sich so durch die „Blackout-Foren“ im Internet, so befassen sich viele mit dem Thema Lift und interessanterweise auch mit dem Toilettengang. Wie gesagt: nicht gefährlich, aber sehr unangenehm. Tatsächlich wird empfohlen, immer einen kleinen, mit Gummizug verschließbaren Plastiksack bei sich zu haben. Für den Notfall … da muss nicht einmal ein Blackout kommen.
Der beste Tipp, den ich zum Thema Blackout gehört habe: Fit bleiben und alles, was unter vier Stockwerken ist, zu Fuß gehen.
Ein geschichtlicher Exkurs
In Wien wurde das erste moderne Exemplar eines Aufzugs 1869 in einem Palais in der Wipplingerstraße eingebaut. Er war eine reine private Spielerei. Der Aufzug funktionierte hydraulisch und konnte zwei Fahrgäste befördern. Der erste öffentliche Lift wurde am 10. Mai 1870 im Grand Hotel am Kärntner Ring eingeweiht. In knapp 55 Sekunden kam man im vierten Stock an. Eine Ewigkeit, wenn man die Geschwindigkeit der heutigen Lifte bedenkt – der Wimpernschlag einer Libelle, wenn man in einem Lift eingeschlossen ist. Das passierte aber damals nicht. Die Aufzüge waren nicht wirklich gesichert, und da konnte man schon eher abstürzen als steckenbleiben. Aber schön waren sie allemal. Aufgrund der verhältnismäßig langen Verweildauer in der Kabine war diese fast wie ein kleiner Salon ausgestattet – Teppich, gepolstertes Sofa, getäfelte Wände, formschöne Beleuchtungskörper und geschliffene Spiegel inklusive. Einige dieser wunderbaren Exemplare findet man immer noch in alten renovierten Gründerzeithäusern. Diese Epoche brachte überhaupt den Durchbruch des Lifts. 1900 waren in Wien 412 Personenlifte erfasst, 1913 waren es schon 2.586. Heute sind es 50.000 Lifte.