Die Podiumsdiskussion – digitale Revolution oder Evolution?

Schon die Begrüßung gibt die Richtung vor: „Anmoderiert“ wurde der aktuelle ImmoLive Talk von „Annabelle“, einer Künstlichen Intelligenz, die Chefredakteur Walter Senk gleich einmal zum „einfachen Mitarbeiter“ degradierte – nicht ganz ernst gemeint, natürlich. Am 19. Mai 2020 diskutierten live: Ari Benz und Marcel Nürnberg (Geschäftsführer von Squarebytes), Domagoj Dolinsek (Geschäftsführer bei PlanRadar), Judith Kössner (Head of Immobilien bei willhaben.at) und Michael Mack (Immonow).

Die Prozesse und Geschäftsmodelle, auch in der Immobranche, haben sich intensiviert – nicht zuletzt durch den Schub in die Technik, der durch die Corona-Krise ausgelöst wurde. Wie hat sich das spürbar gezeigt, etwa hinsichtlich Inserate und Nachfrage, wird Judith Kössner von willhaben eingangs gefragt. Nach einer kurzen „Schockstarre“ mit Beginn des Lockdowns hätten sich Zugriffszahlen und andere Key Perfomance Indicators rasch erholt, erzählt Kössner, die jetzt von “einem all-time high“ spricht. Es sei klar zu beobachten, dass „Menschen auch während des Lockdowns und der Krise nach Wohnungen gesucht“ hätten – auch, weil sich die Immobilie als krisensichere Investition zeigt. Ein „immenser“ Anstieg von 138 Prozent sei bei den Klickzahlen zu beobachten, was virtuelle 360-Grad-Rundgänge betrifft. Wer seine Projekte und Anzeigen digital visualisieren konnte, „konnte weiterarbeiten, und ist nicht komplett stillgestanden“, sagt Kössner. Virtuelle Rundgänge seien klarer Trend – es spare Zeit und Kosten und sei somit für beide Seiten effizienter. Nicht zuletzt, weil vor-Ort-Besichtigungen wegen Corona unmöglich waren, habe es einen „Schub“ für virtuelle Rundgänge und digitale Anzeigen gegeben.

“Hausaufgaben” waren wichtig

Michael Mack von Immonow ergänzt um seine Erfahrungen aus den vergangenen Wochen:  Der visuelle Aspekt sei bei digitaler Präsenz besonders wichtig geworden. Unternehmen, die sich mit digitalen Prozessen und Tools schon seit Jahren beschäftigten, „haben jetzt schlichtweg einen Vorteil“. Wer seine „Hausaufgaben“ zuvor gemacht hatte, konnte im Vertrieb bleiben – und wurde zum Beispiel nicht vom Laptop-Beschaffungsengpass zu Lockdown-Beginn getroffen. Neben bequemen Tools wie den virtuellen Rundgängen sei die Immobilienwirtschaft aber auch in anderen Bereichen, etwa der Kommunikation, „sehr stark geblieben“ – Mack verweist beispielhaft auf die raschen „Response-Zeiten“.

Ari Benz und Marcel Nürnberg von Squarebytes, welches unter anderem 360-Grad-Panoramen herstellt, werden nach ihren Erfahrungen gefragt. Benz erzählt von „Automatismen“ und genereller Weiterentwicklung der Software, was zu erhöhter Nachfrage geführt habe. Auch er meint, dass diejenigen Unternehmen im Vorteil waren, die bereits Erfahrung mit diesen Vertriebssystemen gehabt hätten – „und die wissen, wie man es richtig einsetzt“. Der Immobilien-Erwerb sei eine „sehr emotionale“ Sache – verbunden mit dem gewachsenen Bewusstsein der Menschen, dass „sich sehr viele Dinge von zuhause aus erledigen lassen“. In der Immo-Wirtschaft sei vor allem das Bewusstsein gewachsen, verschiedene digitale Tools erfolgreich einsetzen zu können. „Alles, was angenehm zu bedienen ist; alles was einfach funktioniert, wird angenommen und wird bleiben“, prophezeit Benz.

Domagoj Dolinsek von PlanRadar wird gefragt, ob die Immo-Branche „gut aufgestellt“ sei für jene technischen Entwicklungen, die nun kommen: Der Einbruch zu Corona-Beginn sei innerhalb der Unternehmen selbst „organisationsbedingt“ gewesen – die Sache habe sich, etwa bei PlanRadar selbst, aber rasch erholt – auch die Nutzung von PlanRadar befinde sich jetzt auf einem Höchststand. Es gebe eine starke Interaktion zwischen der Baustelle vor Ort und den Menschen im Office – „da muss man mit den richtigen Tools ausgestattet sein, wenn man am Ball bleiben will“. Rasch zu reagieren sei auch Gebot der Stunde, wolle man zum Beispiel Verzugspönalen vermeiden. Bei PlanRadar sei eine sehr langfristige Kundenbindung zu beobachten – wenn sich der Kunde an das Tool gewöhnt habe, „bleibt er sehr lang dabei“, erzählt Dolinsek.

Die Technik, der Mensch und sein Drang zum Spielen

Michael Mack von Immonow sieht einen Trend, „dass sich Menschen immer wohler fühlen im Umgang mit digitalen Lösungen“. Der Business-Bereich habe sich, durch und an die verfügbaren Lösungen, gut angepasst – und sich stark auf den Kunden fokussiert. Immonow biete seinen Kunden die Möglichkeit, alles digital abzuwickeln oder „den händischen Weg“ zu gehen – das digitale Angebot werde immer stärker genützt, und das unabhängig vom Alter der Kunden. Wichtig sei bloß, dass zwischen „händischem“ und digitalem Weg kein Qualitätsunterschied bemerkbar sein dürfe.

Ari Benz und Marcel Nürnberg von Squarebyts werden nach Trends gefragt, die nur der Krise geschuldet waren und wieder verschwinden werden – oder ob daraus etwas Nachhaltiges entstehe. Nürnberg erzählt von Virtual-Reality-Begehungen, die Squarebytes entwickelt habe. Diese VR-Touren waren während Corona gar kein Thema – auch weil die 3D-Brillen, „die man sich dazu aufsetzt, ein Hygienethema waren“. Da war Kreativität gefragt – also sei Squarebytes auf die Technik der Augmented Reality umgestiegen. Ari Benz gibt ein Beispiel: Aus einem Folder können mit Tablet oder Smartphone ganze Häuser herauswachsen, und das gedruckte Papier erwacht zum Leben. Oder: Man steht im Rohbau, und „augmentiert“ sich die fertige Wohnung inklusive Einrichtung auf dem Gerät. „Es gibt jetzt die super Chance, neue kreative Lösungen zu finden“, freut sich Marcel Nürnberg auf eine spannende Zeit. Viele Technologien kämen aus der Welt der Computerspiele – Stichwort „Gamification“ – was auch der Natur des Menschen entspreche und seinen spielerischen Trieb befriedige. Das ließe sich alles in der Immobilienbranche nützen.

In gewisser Weise, ja, man kann sich an die Besichtigung einer Wohnung „heranspielen“, meint auch Judith Kössner von willhaben. Eine Umfrage mit 2.000er-Sample habe Immobiliensuchende nach ihren größten Schwierigkeiten und „Pain Points“ gefragt: Diese reichen von der Finanzierung über die physische Besichtigung bis zum Vertragsabschluss – allesamt Bereiche, so Kössner, die von der Digitalisierung verbessert werden könnte. „Unnötige Besichtigungen“ zu vermeiden gelte als Paradebeispiel; auch den Einsatz von smarten Türöffnern, die eine Besichtigung ohne Makler ermöglichen, führt Kössner an. Insgesamt werde es „eine Transformation, keine Revolution“ geben, meint Kössner, „aber Veränderung wird es geben“.

Domagoj Dolinsek von PlanRadar wird auf das technische Problem der Schnittstellen angesprochen – wird es einmal den Punkt geben, an dem alles auf ein einheitliches System hinausläuft? Nein, eher werden die Schnittstellen kompatibler, sagt Dolinsek – das liege nicht zuletzt im Interesse des Herstellers. Kunden wünschen sich gottseidank „immer weniger die eierlegende Wollmilchsau“ – sie bauen sich stattdessen eine Landschaft aus Tools auf und setzen auf deren Verzahnung. „Es gewinnt jener Anbieter, der diesem Wunsch (nach Kompatibilität) genüge tut“, so Dolinsek.

„Ich kann nicht in allem gut sein. Ich muss es mir modular zusammenbauen können“, pflichtet Michael Mack von Immonow beim Thema Schnittstellen-Kompatibilität bei.

Fragen der Zuseherinnen und Zuseher im Live-Chat

„Welche Innovationen werden mehr im Wohn-, und welche mehr im Gewerbebereich greifen?“, kommt die Frage aus dem Live-Chat.

Michael Mack von Immonow meint: Im Wohnbereich werden sich Flächen und Raumaufteilungen ändern, weil die Möglichkeiten für das Home Office ausgeweitet werden. Das wiederum spielt in den Bereich der Gewerbeflächen hinüber, wo ein geringerer Flächenbereich gefragt sein werde. Im Wohnbereich seien „Smart Living“-Bereich stark im Kommen, sagt Mack. „Das tägliche Leben muss einfach sein“, so der Experte.

Wie werden die derzeit „Riesentrumm-Brillen“ im VR-Bereich künftig aussehen? Squarebytes-Nürnberg zieht erneut den Vergleich zu Videospielen: „Wir sind da in der Generation ‚Super Nintendo‘. (Eine Spielkonsole aus den frühen 1990er-Jahren, Anm.) Die Geräte werden immer kleiner werden, vieles wird kabellos.“ Auch die Möglichkeit von Kontaktlinsen oder Projektoren schließt Nürnberg nicht aus. Ari Benz ergänzt: „Wir glauben stark an die Emotionalisierung im Immobilien-Bereich, ganz egal ob Wohnen oder Gewerbe.“ Bei Fragen – vom hellen oder dem dunklen Boden, vom Open Office oder den getrennten Büros – können digitale Tools „wesentlich einfachere Lösungen“ bringen. Als Beispiel nennt er das Musterbüro, das künftig nicht mehr physisch, sondern virtuell eingerichtet werden kann.

Human Touch oder Digital Skills

Welche Rolle spielt in der Digitalisierung noch der „human touch“? PlanRadar-Experte Dolinsek sieht den persönlichen Bezug nicht verschwinden; auch wenn es „aus gewerblicher Sicht nun einmal ein Investment und ein Asset ist“. Deswegen werden Individualität und Authentizität in der Vermarktung eine größere Rolle spielen.

Individuelles Eingehen auf den Kundenwunsch seit „natürlich ein reeller Blick“, sagt Judith Kössner von willhaben – und meint damit digitale Erleichterungen „wirklich mühsamer Schritte für den Kunden“. Das heiße aber nicht, dass der Kunde – trotz aller Digi-Tools – am Ende des Tages auch menschliche Beratung brauche. Der Mensch, die persönliche Beratung und das Know-How der Branche „ist notwendig“, die Digitalisierung „wird nicht alles ablösen können“.

Michael Mack von Immonow kommt zurück auf die „Gamification“ – ein „Schlagwort, das schon lange im Umlauf ist“, aber in der Immo-Branche „noch nicht ganz so angekommen“ sei, wie es vielleicht möglich wäre. Es könne nicht Sinn der Digitalisierung sein, jemanden zu ersetzen, so Mack, aber Digitales müsse den Nutzer unterstützen. Immo-Transaktionen seien „hochsensible“ Geschäfte, wo viel Geld fließe – wenn hier eine Virtual-Reality-Begehung möglich sei, wenn „vom Plan gekauft“ werde und real nur eine Baustelle gegeben sei, dann sei das eine super Unterstützung.

Eine weitere Frage aus dem Live-Chat verneint Mack: Die Immo-Branche sei mit dem angesprochenen Mode-Einzelhandel nicht vergleichbar. „Beim H&M tut es mir nicht weh, wenn ich nur online einkaufe“; bei „Gucci und Prada kommt aber das physische Shopping-Erlebnis dazu“. Und Immobilien-Transaktionen seien – angesichts der Marktpreise und rechtlichen Komponenten – sowieso nicht komplett ins Digitale übertragbar, da brauche es den realen, physischen Kontakt und die Qualität der Beratung.

Die digitale Immo-Wirtschaft der Zukunft

Wie sieht die digitale Immobilienwirtschaft in fünf Jahren und darüber hinaus aus? Wohin gehen die Visionen?, will die Community im Chat von den ExpertInnen wissen.

Domagoj Dolinsek (PlanRadar) antwortet: Es gehe nicht um die „Tools“ alleine – „das Entscheidende im Hintergrund, wo man gewinnen kann, sind die Prozesse“. Gerade diese seien in  vielen Unternehmen aber noch nicht angepasst; da brauche es „Verschmelzung und klare, saubere Prozess-Abbildungen“. Und zwar nicht nur global, sondern regional orientiert: „Ich kann nicht dieselbe Methodik fahren in Ost- wie in Westeuropa, weil die Menschen anders reagieren“. Für ein Unternehmen stelle sich so zum Beispiel die Frage, „will ich weiter dezentral agieren oder zentralisieren wir alles? Was ist einfacher?“ Definitiv werde nur mehr „ein Bruchteil der vorhandenen Manpower“ vonnöten sein, weil sich vieles digitalisieren ließe. In fünf, zehn Jahren „werden sich die Kräfte verschieben“.

Die Squarebytes-Geschäftsführer Ari Benz und Marcel Nürnberg meinen: Kurzfristig helfe die digitale Besichtigung schon jetzt, weil sie dem Konsumenten hilft und Verkäufer bzw. Makler entlaste – allerdings nur jenen Unternehmen, „die auch gewillt sind, diesen Weg der Digitalisierung zu gehen“. Zudem eröffne die 5G-Technologie „enorme Möglichkeiten“ – etwa in der Virtual-Reality-Begehung, die bislang (aus Gründen der Datenmenge, Anm.) offline stattgefunden habe und jetzt online passieren könne, sagt Ari Benz.

Für die langfristige Frage will sich Marcel Nürnberg „ein Thema herauspicken“ – nämlich die „digitalen Assistenten“, mit denen wir künftig „immer mehr zusammenarbeiten werden“. Dieser digitale Assistent „wird uns besser kennen als unsere Freunde und Familie“, und das werde eine Auswirkung darauf haben, wie Immobilien gesucht werden. Diese würden laut Nürnberg künftig „nicht mehr gesucht, sondern vorgeschlagen“. Derzeitige Kriterien – Kosten, Lage, Quadratmeter – seien allesamt „rational“, so Benz. „Aber kein Mensch sucht rational nach einer Wohnung. Es heißt doch eher: Hey, ich will eine geile Wohnung im 19. Bezirk haben! Such für mich!“

Judith Kössner von willhaben spricht zu den emotionalen Faktoren der Wohnungssuche, die bei virtuellen Besichtigungen einen ganz anderen Einfluss haben als im „normalen“ Inserat. Die „Fakten“ – also Preis, Lage, etc. – werden weiter eine Rolle spielen. Aber ja, es gehe um die emotionale Komponente: „Ich komme rein und fühle – das ist mein Haus!“ Auch das „emotionale Abholen wird digital“, ist sich Kössner sicher. Ziel müsse sein, dass „alle Menschen“ – Suchende, „aber vor allem Unternehmer“ wirklich in der digitalen Welt angekommen sind, „nur dann ist Weiterentwicklung möglich“.

Michael Mack von Immnow wirft einen Blick in die Zukunft der nächsten zehn Jahre. „Drei Dinge werden uns im Jahr 2030 beschäftigen“: Damit Unternehmen „effizient und effektiv“ aufgestellt sind, werden Fragen um Schnittstellen und Prozesse an Gewicht gewinnen. Zweitens würden „Sprache und Kommunikation“ als Thema entscheidend sein – wie sieht die Rolle der sprachlichen Kommunikation bei digitalen Assistenten aus, und welche rechtliche Komponente schwingt da mit? „Eine sehr heikle Fragestellung im Immobilienbereich“, ist sich Mack sicher. Drittens werde es darauf ankommen, wie sich die öffentliche Verwaltung mit der Bereitstellung von Daten weiterbewege. Viele Vertriebswege, die derzeit noch physisch erledigt werden müssen, könnten bereits digital abgewickelt werden – allein schon aus Gründen der Zeitersparnis.

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