Wir schreiben das Jahr 1989. Ost/West wird Geschichte, und eine komplette Neuaufteilung Europas beginnt. Damit eröffnen sich für viele heimische Unternehmen neue Märkte und Möglichkeiten. Schon vor der „Wende“ waren einige von ihnen in Zentral- und Osteuropa tätig, aber erst jetzt beginnt sich das Marktpotenzial richtig zu erschließen– wenn man auch in den ersten Jahren mit zahlreichen Problemen zu kämpfen hat.
Entwicklung in Wellen
Die Entwicklung in den CEE/SEE Staaten erfolgte in Wellen: Zuerst gerieten Ungarn, Slowenien und Tschechien auf den Radar der Investoren, dann folgten auch die etwas entfernter gelegenen Länder. Ein Boom sondergleichen war die Folge, der alles aufholen sollte, was in den 50 bis 60 Jahren davor verabsäumt worden war: wirtschaftlich, ideologisch und gesellschaftlich. Wofür wir uns in Westeuropa Jahrzehnte Zeit lassen durften, das sollte in CEE/SEE in kürzester Zeit geschehen. Und das, obwohl die Länder eine sehr komplexe geschichtliche und politische Entwicklung hinter sich hatten und dieser Aufbruch in eine neue Zeit teilweise auch mit Kriegen einherging.
Historische Wurzeln
Die 90er-Jahre stellten aber auch der Beginn der Globalisierung, und es waren die meisten osteuropäischen Länder in dieser Zeit ideologisch, wissensmäßig und vor allem auch finanziell-materiell völlig überfordert. Daraus ergab sich allerdings auch die Chance, die Länder mit Know-how und Finanzhilfe zu unterstützen. Deutschland war mit der Wiedervereinigung beschäftigt, aber auch mit der Entwicklung anderer Länder. Österreich begann natürlich ebenfalls die Entwicklungs- und Geschäftschancen in den CEE- und SEE-Ländern zu nützen. Aufgrund der gemeinsamen Historie mit vielen Staaten taten sich die heimischen Unternehmen relativ leicht und spielten in der anlaufenden Entwicklung eine zentrale Rolle. Dies taten auch Unternehmen anderer Länder, aber die Mehrheit der westlichen „Berater/Verkäufer“– speziell aus den USA– hatte sich nicht mit dem jeweiligen Land, der nationalen Eigenheit und dem Status im Wirtschaftsgeschehen auseinandergesetzt und besaß auch weder Wissen über noch Verständnis für die anderen Kulturen. Ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs österreichischer Unternehmen war definitiv der, dass sie schon aus der Historie heraus exzellentes Wissen über Land und Leute hatten und dies auch zum Vorteil aller zu nutzen wussten.
Erst 25 Jahre
Selbst in den 25 Jahren, die seit der Öffnung vergangen sind, war es nicht möglich, die großen ideologischen und wirtschaftspolitischen Unterschiede zwischen Ost und West abzubauen. Überträgt man die aktuelle Lage in der CEE/SEE-Region auf Westeuropa, so ist man im Jahre 1970. In Wahrheit befinden sich einige Regionen– verglichen mit unserer Entwicklung– sogar noch in den 50er-Jahren.
Alles war möglich und wurde realisiert
In CEE/SEE wurde bei den Investitionen eine enorme Geschwindigkeit vorgelegt, die sicherlich auch mit der Wirtschaftslage bis zur Krise 2008 zu tun hatte und von einer Euphorie des Aufbruchs und der Freiheit getragen wurde. Was aber in der Euphorie leider passierte, war eine enorme Überproduktion von Flächen, die in dieser Form nicht notwendig waren. Die Developer gingen von einem linearen Zeitbild aus und dachten, dass die Wirtschaft nur einen Weg kennt– nach oben. Es gab Fehler in den Produkten, in ihrer Anzahl und der Standortwahl. Kroatiens Kaufkraft beträgt aktuell zirka 4.500 Euro pro Kopf im Jahr und erreicht rund 23% des österreichischen Niveaus– trotzdem gibt es in der kroatischen Hauptstadt Zagreb rund 16 Shoppingcenter. Diese Anzahl ist ein Zeichen für das blinde Vertrauen in einen immerwährenden Aufstieg. Das stimmt auch bedingt, doch hat sich der Aufstieg derzeit etwas verlangsamt– wobei die zyklischen Bewegungen durch die Finanzkrise verstärkt wurden. Von einem Stopp kann noch lange keine Rede sein, denn in CEE/SEE wird weiterhin eine Vielzahl an Immobilien benötigt. Um sich dies zu vergegenwärtigen, reicht es, wenn man aus den Großstädten hinausfährt und das Umland betrachtet. Damit die Menschen in dieser Region einen Wohlstand genießen können, wie wir ihn heute bei uns haben, ist noch sehr viel zu tun, und das betrifft zu einem guten Teil auch Immobilien.
Infrastruktur statt Shoppingcenter
Vielleicht nicht unbedingt ein Shoppingcenter, aber sehr wohl benötigen die Menschen Wohnraum, Arbeitsraum, Freizeitmöglichkeiten, Gebäude für Bildung und vor allem Infrastruktur– diese gewaltigen Herausforderungen lassen sich nicht in ein paar Jahren lösen. Neben den aufstrebenden Ländern wie China, Indien und einigen Staaten Afrikas wird CEE/SEE in den kommenden drei bis fünf Jahrzehnten ganz sicherlich zu den zukunftsträchtigen Regionen zu zählen sein. Daher muss es das Ziel der dort ausländischen Unternehmen sein, diese Region weiter zu entwickeln und als große Wachstumschance zu sehen.
Ein Land steht stellvertretend für das Potenzial der Region: Polen gilt mittlerweile bei den Investoren als Core-Investitionsziel, und das zu Recht: Polen hat in den vergangenen Jahren eine positive Wirtschaftsleistung erbracht, und das in einer Zeit der Verunsicherung und schwächelnden Wirtschaft in ganz Europa. Das Land hat knapp 40 Millionen Einwohner und schafft aus sich heraus auch ein entsprechendes Wirtschaftswachstum, was zeigt, welche Möglichkeiten diese Region birgt. Auch die Ukraine hat ein ähnliches Potenzial, doch hier ist es die politische Situation, die eine Weiterentwicklung derzeit noch stark erschwert– dies ist auch durch die alten Strukturen bedingt, die das Land nicht so einfach abschütteln kann.
CEE/SEE ist in den nächsten Jahrzehnten eine große Chance für alle nationalen und internationalen (Immobilien-)Unternehmen, die Erfahrung haben, und das Unglaubliche ist, dass sich dieser Markt direkt vor unserer Haustüre befindet.