Noch nie gab es eine dermaßen starke Dynamik in der Immobilienwirtschaft. Systeme werden hinterfragt, Konzepte auf den Kopf gestellt und wieder neu entworfen. In der Immobilienwirtschaft sind in den nächsten Monaten in vielerlei Hinsicht große Veränderungen zu erwarten. Es sind lineare Entwicklungen, aber einige neigen auch zur Disruption, wie zum Beispiel die Digitalisierung. „Die Immobiliensuche ist im 21. Jahrhundert angekommen“, meint Jürgen Leger, Geschäftsführer des Proptech-Unternehmens Findheim. Matching-Technologie, Machine-Learning-Algorithmen, Recommender, Zeitersparnis, erfolgsbasiertes Pricing-Model sind einige Schlagworte. „Eines der größten Themen wird das Einführen des Bestellerprinzips für Mietobjekte sein“, so Leger: „Ich bin der Überzeugung, dass dies zeitnah passieren und ein großes Umdenken im Kreis der Immobilienprofis zur Folge haben wird. Sie werden sich die Frage stellen: „Was kann ich gut? Was mache ich gerne? Wo kann ich am besten Mehrwert für meine Kunden schaffen?“
Die Technologie steht erst am Anfang ihres Weges durch die Immobilienwirtschaft
Unabhängig vom Bestellerprinzip wird der technologische Fortschritt aber auf jeden Fall immer stärker Einzug in die Immobilienbranche halten. Die Computer werden immer leistungsstärker, die erhobene Datenqualität in allen Bereichen wird laufend besser, neue Tools und Algorithmen bieten Möglichkeiten, die es vor wenigen Jahren schlicht und einfach noch nicht gab, wie zum Beispiel VR-Rundgänge für Wohnungen, Big-Data-gestützte Evaluierungen von Grundstückspreisen oder automatisch generierte, maßgeschneiderte Angebote für Wohnungssuchende. Jürgen Leger: „Nicht alles, was neu auf den Markt kommt, wird sich durchsetzen, aber grundsätzlich ist sowohl aufseiten der Immobilienprofis als auch bei den Wohnungssuchenden eine große Bereitschaft zu erkennen, neue Wege zu testen.“
Zusammenarbeit für sinnvolle Lösungen
Die Immobilienwirtschaft ist in den letzten Jahren in den Mittelpunkt zahlreicher regulatorischer Maßnahmen gerückt, wobei es öfters der Fall war, dass nicht zum richtigen Mittel gegriffen wurde, um Missstände zu beheben. So verunsicherten etwa die OGH-Entscheidung zum Lagezuschlag und die Novelle zur Wiener Bauordnung Mieter, Vermieter, Projektentwickler und Eigentümer. Blickt man nach Deutschland, so war und ist es der Mietendeckel in Berlin. „Immerhin besteht Hoffnung, dass die zum Teil ideologisch aufgeheizte Diskussion um Mietdeckel oder Enteignungen an Schärfe verliert – dann nämlich, wenn sich zeigt, dass der Mietanstieg vor allem dort reduziert worden ist, wo mehr gebaut wurde“, meint Tobias Just, FRICS, Universität Regensburg und IREBS Immobilienakademie. Die heimische Immobilienwirtschaft bot und bietet immer wieder den politisch Verantwortlichen ihre Expertise und ihr Fachwissen an – leider wurde es allzu oft ignoriert. Ein Zustand, der auch schon aufgrund der Notwendigkeit, sinnvolle Lösungen zu finden, in der kommenden Zeit ein Ende finden dürfte.
Die Besteuerung des Online-Handels
Eine Lösung gefunden werden muss definitiv für die Besteuerung des Online-Handels. Nur 36 Prozent aller Ausgaben der österreichischen Konsumenten kommen österreichischen Unternehmen zugute. Derzeit beträgt der Umsatzanteil jener Shops, die direkt von ausländischen Unternehmen betrieben werden, etwa 64 Prozent, vor zwei Jahren waren es noch 61 Prozent gewesen. 24/7-Services und Mieten werden nicht bezahlt. Diese massive Benachteiligung erfordert eine vernünftige Lösung. Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, bringt die Situation auf den Punkt: „Es kann nicht sein, dass die Oma im Knopfgeschäft im Erdgeschoß die Miete zahlt, und der E-Commerce liefert frei Haus.“
Klimaschutz fördert nachhaltige Immobilien
Klimaschutz bleibt das zentrale Thema, vor allem weil die durch Umweltschäden verursachten Kosten immer deutlicher werden. Klimaschädliches Verhalten wird teuer werden, was Auftrieb für die Entwicklung nachhaltiger Immobilien geben wird. Heinz Fletzberger, Geschäftsführer der SÜBA: „Es wird bei uns keine Projekte mehr geben, bei denen wir nicht auf erneuerbare Energie setzen. Wir werden nicht bei allen Projekten alle Aspekte umsetzen können, versuchen jedoch, bei unseren Häusern so weit wie möglich ohne fossile Energieträger auszukommen.“
Die Idee der Kreislaufwirtschaft wird in vielen Bereichen des Lebens Einzug halten. „Eine lange Nutzung von Gebäuden kann durch ein hohes Maß an Flexibilität und ökologisch langlebige Baustoffe erreicht werden“, so Peter Engert, Präsident des ÖGNI: „Wiederverwendung wird durch Sanierung und Umnutzung einen neuen Stellenwert erhalten. Recycling wird nur ein letzter Ausweg sein, um die Rohstoffe wieder in den Kreislauf einzuführen.“ Umgedacht wird auch in der technischen Gebäudeausrüstung, denn Reparierbarkeit wird als Wert für Investitionsentscheidungen wiederentdeckt werden.
Blick in die Zukunft
Stellvertretend für einen Blick in die Zukunft des Wohnbaus steht das Projekt „Hygge“ in Wels von TRIO Development – 26 moderne Eigentumswohnungen in Holzbauweise mit großzügigem Außenbereich und einem E-Mobilitätskonzept. Im Rahmen eines E-Bike-Sharings werden allen Wohnungseigentümern entsprechende Fahrzeuge, wie zum Beispiel spezielle E-Lastenfahrräder, zur Verfügung gestellt. Die E-Lastenräder samt der notwendigen Ladestation werden von TRIO angekauft und gehen ins Eigentum der Wohnungseigentümer über. Die Registrierung zur Nutzung geschieht auf einfache Art und Weise online – die regelmäßige Wartung erfolgt über die Hausverwaltung.
Gemeinsam und teilen
Das Gemeinsame wird in den kommenden Jahren immer stärker in den Vordergrund rücken. Sei es bei Stadtentwicklungsprojekten, die gemeinsam umgesetzt werden, oder bei Projekten, die sich ergänzen. Die ganze Bandbreite an denkbaren Vorteilen für die Nutzer wird kaum ein Gebäude bieten können – aus Platz- und aus Kostengründen. Eigentümer von Immobilien können dieser Herausforderung begegnen, indem sie stärker zusammenarbeiten, meint Jens Böhnlein, Global Head of Office bei der Commerz Real: „Gebäude A hat eine Café-Bar mit tollem Ambiente, Gebäude B bietet eine Abholstation für Pakete, und Gebäude C hat das moderne Fitnesscenter.“ Letztendlich ist die „Sharing Economy“ auch eine Form der Gemeinsamkeit.
Wir verbrauchen zu viel Fläche
Ob Stadt oder Land, Österreich gehört zu den großen Flächenverbrauchern in Europa. Dass es hier in absehbarer Zeit zu einer Änderung kommen muss, ist klar. „Der übergroße Flächenverbrauch muss drastisch reduziert werden“, meint Michael Pisecky, Geschäftsführer der s REAL: „Daher muss dringend die Nachverdichtung auf den Weg gebracht werden, schon um das Problem der sterbenden Ortskerne zu entschärfen, aber auch um bestehende Infrastruktur und Gebäude besser und umweltschonender zu nutzen.“ In diesem Sinne müssen auch Sanierungen angekurbelt werden, und „neu errichtete Gebäude müssen multifunktionell angelegt und für mehrere Zwecke nutzbar gemacht werden.“
Reurbanisierung und Regionalisierung
In zahlreichen europäischen Städten und Agglomerationen lassen sich gegenwärtig zwei Prozesse beobachten: Reurbanisierung und Regionalisierung. Innenstädte und innenstadtnahe Stadtquartiere werden attraktiver, gerade für Menschen, die die Vorzüge des städtischen Lebens entdecken. Die spezifischen atmosphärischen Qualitäten einer Stadt, einer Region oder eines Quartiers sind entscheidend dafür, dass die Menschen auch dort leben wollen. „Die Entwicklung hin zur Schaffung attraktiver, multifunktionaler Lebenswelten mit allen Facetten – Arbeiten, Wohnen, Bildung, Nahversorgung, umweltfreundliche Mobilität – hat erst begonnen“, sieht Hans-Peter Weiss, Geschäftsführer von ARE/BIG, einen Beginn langfristiger Veränderungsprozesse. „Das gesamthafte Herangehen an multifunktionale Lebens-, Lern- und Arbeitsräume wird immer wichtiger und nimmt eine bedeutende Rolle in der Stadtplanung ein. Auch im Bildungsbereich, im Schul- und Universitätsbau wird dieser gesamthafte Ansatz verstärkt nachgefragt.“ Die Synthese unterschiedlicher Nutzungen entspricht dem heutigen Lebensstil und schafft auch im Sinne der Nachhaltigkeit positive Effekte.
Die Regionen brauchen Leben
In vielen Innenstädten fehlt allerdings bezahlbarer Wohnraum, während gleichzeitig das Umland Leerstände zu verzeichnen hat. Durch falsche Allokationen werden unnötig Pendlerströme erzeugt. „Dadurch veröden im ländlichen Raum die Dörfer, sperren die Ortskerne zu, ziehen die Jungen weg, verfallen die Preise“, stellt Nikolaus Lallitsch, Geschäftsführer Raiffeisen Immobilien Steiermark, die Situation pointiert dar und ist der Überzeugung: „Diese drohende Entwicklung halte ich insgesamt für unsere größte Herausforderung.“ Vor diesem Hintergrund sind interkommunale Kooperationen naheliegend, um die notwendige Balance zwischen unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken herzustellen und die Menschen wieder in die Regionen zu bringen oder dort zu halten. „Hier kann die Immobilienwirtschaft durch die Kenntnis der einzelnen Regionen die richtigen Akzente setzen und gemeinsam mit Politik und Wirtschaft einer schleichenden Entvölkerung ganzer Landstriche entgegenwirken“, bietet Gerald Gollenz, stellvertretender Fachverbandsobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder, einmal mehr das Fachwissen der Branche den politisch Verantwortlichen an. Dabei ist nicht nur die Ansiedelung von Betrieben ein entscheidender Faktor, sondern auch die Entwicklung neuer Arbeitsmodelle im Zuge der Digitalisierung beziehungsweise der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. „Home-Office und Teleworking werden an Bedeutung gewinnen, und die Menschen werden die Schönheit und Lebensqualität einer Region genießen können, ohne auf die Anbindung an entscheidende Datennetze verzichten zu müssen“, blickt Gollenz in die Zukunft.