Der Autor
Roland Gruber
Roland Gruber, geboren 1972 in Bad Kleinkirchheim in Kärnten, Studium der Architektur in Linz und Zürich sowie Studium Kulturmanagement in Salzburg. Mitgründer, Partner und Geschäftsführer von nonconform, einem Büro für Architektur und partizipative Raumentwicklung an den Standorten Wien, Berlin, Bayern, Oberösterreich, Kärnten und Steiermark. Er ist auch Mitinitiator und Kurator der nonconform Leerstandskonferenz, Mitgründer und […]
Was führt die Menschen in das Zentrum ihrer Stadt, ihrer Gemeinde oder ihres Dorfes? Sie gehen nicht dorthin, weil sie gerne spazieren gehen, sondern um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Im pulsierenden Herzen eines Ortes waren seit jeher wichtige Funktionen des täglichen Lebens angesammelt. Vom Wohnen über das Arbeiten bis zum Einkaufen und zur Freizeit. Viele dieser unterschiedlichen Nutzungen kann ein funktionierendes Zentrum in unmittelbarer Nachbarschaft ermöglichen. Nicht selten wird ein städtisches Gefüge deshalb mit etwas Lebendigem verglichen: Die Ortsmitte hält eine Stadt oder ein Dorf zusammen und versorgt sie wie das Herz seinen Organismus.
Aber stimmt das eben beschriebene Bild heutzutage noch?
Noch nie stand die Herausforderung, wie mit den Leerständen im Zentrum der eigenen Stadt oder Gemeinde umzugehen ist, an so zentraler Stelle der gesellschaftlichen Diskussion wie jetzt. Denn das Phänomen der aussterbenden Orts- und Stadtkerne ist nicht zu übersehen. „Durch die rapide Überalterung im ländlichen Raum und die jahrzehntelange monofunktionale Siedlungserweiterung an den Ortsrändern kommt es schnell zum Donut-Effekt“, erklärt Hilde Schröteler-von Brandt, Professorin an der Universität Siegen in Deutschland. „Das bedeutet, dass sich zuerst die identitätsprägenden Ortszentren leeren. Wo die Einwohner fehlen, rutschen auch die Handelsflächen mit ins Donut-Loch.“
Zentrum vs. Rand: Eine echte Herausforderung für europäische Orte
Dass Stadt- und Dorfzentren verstummen, hat viele Gründe – ein wesentlicher ist die gestiegene Automobilisierung der letzten Jahrzehnte, durch die sich viele vitale Funktionen an die Ortsränder verlagerten und die Nutzungstrennung forciert wurde. Zuerst entstanden ausgedehnte Einfamilienhausgebiete, bald folgten die Handels- und Einkaufszentren, und mittlerweile finden sich da und dort auch Verwaltungs- oder Gesundheitseinrichtungen in peripheren Lagen.
Donut-Effekt ruiniert die Gemeinden
Denn der Donut-Effekt – die Verlagerung an den Rand und die damit einhergehende Verödung der Zentren – ruiniert die Gemeinden. Er entzieht den Orten ihren Boden und ihre Identität und macht sie für kommende Generationen unattraktiv. Wir brauchen ein umfassendes Bewusstsein für den sparsamen und intelligenten Umgang mit Grund und Boden. Das wird zwar in vielen Papieren formuliert und gefordert, jedoch werden nach wie vor täglich durchschnittlich rund 80 Hektar in Deutschland bzw. 20 Hektar in Österreich verbaut, was mit 100 Fußballfeldern in Deutschland bzw. 30 Fußballfeldern in Österreich gleichzusetzen ist. Trotz hohem Leerstand in gut erschlossenen Ortskernen werden die meisten dieser neuen Einfamilienhaus- oder Gewerbegebiete in flächenverbrauchenden neuen Baugebieten am Ortsrand umgesetzt.
Es wäre jedoch wesentlich klüger und vor allem auch ressourcenschonender, unsere verödeten Orts- und Stadtzentren mit kreativen und zeitgemäßen Formen von Wohnen, Arbeiten, Handel und Freizeit zu beleben, vorhandene Gebäude und Flächen zu nutzen, umzubauen, weiterzubauen oder, wo noch Platz ist, neu zu bauen. Diese kompaktere Bauweise und höhere Dichte sowie die dabei entstehenden Nutzungsdurchmischungen dämmen den Flächenverbrauch ein und sind essenziell für den Sozialraum der Menschen und auch für ein intaktes Ortsbild.
Wir brauchen einen Krapfen-Effekt!
Es ist dringend an der Zeit, dass aus Donuts Krapfen werden! Das leere Donut-Loch soll mit innovativen Füllungen wieder genießbar werden, weil wir von einer Sache auch Abschied nehmen müssen: Der Handel in seiner klassischen Form ist nicht mehr zurückzuholen, er ist verloren. Jetzt geht es darum, neue Krapfenfüllungen zu finden. In der Mitte, im Zentrum darf kein Loch, keine Leere sein. Hier braucht es die Fülle des Lebens. Damit das süße Leben wieder in die Ortszentren zurückkehren kann, sind ein umfassendes Bündel an Maßnahmen und vor allem das Rückgrat und die Ausdauer der handelnden Personen vor Ort notwendig – Ziel: der „Krapfen-Effekt“.
An oberster Stelle steht das Bekenntnis der Politik und Verwaltung zu Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Das bedeutet: volle Konzentration auf die Stärkung der Ortsmitten und die Potenziale der Nachverdichtung im Bestand und eine klare Absage an die Zersiedelung im Speckgürtel, die „den Donut“ fördert.
Eine Vielzahl an Ideen gemeinsam entwickeln
Ein weiterer Schritt ist es, die Bürgerschaft mit mutiger Öffentlichkeitsbeteiligung zum gemeinsamen Weiterdenken zu motivieren und mit ihr eine Vielzahl an Ideen gemeinsam zu entwickeln. Das ist ein entscheidender Schritt in Richtung eines umfangreichen Raumrezepts, mit dem sich am Ende die ganze Gemeinde wohlfühlt. Die Bürgerinnen und Bürger sind vom ersten Akt der Ideenfindung bis zur konkreten Umsetzung als Experten für den eigenen Ort in die Veränderungsarbeit einzubeziehen. Gleichzeitig muss das Bewusstsein in der Bürgerschaft für den sparsamen und intelligenten Umgang mit Grund und Boden umfassend geschärft werden.
Der Zentrumskümmerer
Der dritte Schritt zum Krapfen-Effekt ist die Installierung eines Zentrumskümmerers. Es hat sich gezeigt, dass für eine erfolgreiche Ortskernbelebung ein sogenannter Kümmerer benötigt wird, der dafür Sorge trägt, dass die im Masterplan vorgesehenen Projekte bedarfs- orientiert und zeitgemäß umgesetzt werden. Diese Person stellt nicht nur das Gesicht des Veränderungsprozesses dar, sondern hat auch die Aufgabe, die richtigen Menschen in den richtigen Situationen zusammenzubringen, offen zu sein für neue Ideen und Vorschläge weiterzuentwickeln, nützliche Netzwerke aufzubauen, Wissen sichtbar zu machen, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und Umsetzungen zu managen. Das alles ist notwendig, um eine neue Kultur der Erdgeschoßnutzungen in die Innenstädte und Ortskerne zu bringen, von denen man bis dato vielleicht noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Ein richtiger Zentrumskümmerer sieht in der Innenstadtstärkung nicht nur einen Job, sondern auch eine Berufung.