Im Jahr 1900 lebte gerade einmal jeder 40. in einer Millionenstadt, derzeit ist es etwa jeder Sechste. 2030 werden wir eine urbane Weltbevölkerung von etwa 60% haben, was einer Verdoppelung seit den 50er-Jahren entspricht. Es entstehen immer mehr Megastädte und sogenannte „Stadtagglomerationen“ mit über fünf Millionen Einwohnern. Mittlerweile gibt es weltweit 45 Megastädte in 28 Ländern– die größte Anzahl dieser Global Cities weisen China, Indien und die USA auf. Und: In diesen Megacitys wird auch die wirtschaftliche Entwicklung stattfinden. So fantastisch und teilweise erdrückend diese Zahlen für ein kleines Land wie Österreich wirken mögen, so vertreten doch einige Soziologen und Stadtökonomen auch die Ansicht, dass sich dieser Trend wieder in die andere Richtung entwickeln kann und wird. Letztendlich braucht man nur den Gedanken weiterdenken und stößt irgendwann an den Rand des Unmöglichen: Leben wir irgendwann alle in der Stadt? Wer lebt am Land und wer ist für die Nahrungsproduktion verantwortlich? Darf man den Aussagen einiger Stadtentwicklungsexperten folgen, so sehen diese den „Weg in die Stadt“ noch lange nicht als die „gmahte Wies’n“, wie es landläufig so dargestellt wird. Zukunftsprognosen haben die Tendenz, von einem Punkt der Gegenwart linear weitergedacht worden zu sein, und daher muss die Entwicklung nicht so sein. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Megastädte, auch wenn das für uns in der derzeitigen Situation nicht vorstellbar ist, sich irgendwann wieder verkleinern, denn die Frage ist: Wo und wann hört die Lebensqualität in einer Stadt auf, und wollen wir alle tatsächlich in riesigen Stadtagglomerationen leben? Das Thema der Zukunft wird für viele Städte Individualität heißen, und da hat Österreich einiges zu bieten.
Wachstum in Österreich
Gleichwohl zeigt sich auch bei uns der Trend zur Stadt. Das Bevölkerungswachstum und der Zuzug in die Ballungszentren halten weiter an, wie aus „Österreichs Städte in Zahlen 2012“, der aktuellsten Publikation von Statistik Austria und dem Österreichischen Städtebund, hervorgeht. Das durchschnittliche Wachstum der Landeshauptstädte lag zwischen 2001 und 2012 bei 8,5%, wobei sich Graz mit 17,3%, Eisenstadt mit 16,2% und Wien mit 11,7% über diesem Wert befanden. Vorstädte und Gemeinden im Einzugsgebiet großer Städte konnten in diesem Zeitraum noch deutlicher zulegen (etwa Gänserndorf mit +31,9% oder Seiersberg mit +23,7%). Städte und Gemeinden in ländlichen und grenznahen Bereich zeigen hingegen Bevölkerungsrückgänge.
Der Wunsch nach Land und Natur
Betrachtet man bespielsweise die Ergebnisse einer Umfrage von s REAL und Wohnnet als, sieht man einen sehr interessanten Trend in Bezug auf die aktuellen Wohnwünsche der Bevölkerung. Da in den letzten Jahren immer von der Renaissance der Städte die Rede war, ist das Ergebnis dieser Umfrage doch einigermaßen überraschend: 43% aller Befragten wollen gerne am Land leben, weitere 22% ziehen ein Leben in einer Bezirksstadt dem in einer Landeshauptstadt vor (36%). Der Umzug aufs Land wird von den Umfrageteilnehmern jedoch an eine Reihe von Bedingungen geknüpft, allen voran an eine gute öffentliche Verkehrsanbindung. Für 27% der Befragten ist das die entscheidende Voraussetzung für eine Übersiedelung weg aus dem städtischen Raum. Der Anteil derer, die als wichtigste Bedingung angaben, eine Familie gründen und mit ihr aufs Land ziehen zu wollen, ist mit 16% vergleichsweise viel geringer und dicht gefolgt vom Wunsch nach einem mobilen Arbeitsplatz, den 15% der Befragten als Voraussetzung nennen.
Arbeitsplätze, Bildung und Investition
Arbeitsplätze und Bildung sind die wichtigsten Gründe, warum Menschen verstärkt und ungebrochen vom Land in die Städte ziehen. Dieser Trend wird auch in Zukunft anhalten. Die Herausforderung wird sein, sowohl Arbeitsplätze zu schaffen als auch regionale Bildungseinrichtungen– vermutlich gemeinschaftlich– zu betreiben.
Die Menschen ziehen dorthin, wo es Arbeit gibt. Dabei ist die Größe der Stadt relativ egal. Um mehr Klein- und Mittelbetriebe im Bundesland und damit in den Städten und Gemeinden zu halten, hat– wie der NÖ Wirtschaftspressedienst berichtete– der Wirtschaftsbund Niederösterreich ein sogenanntes „Crowd-Funding-Modell“ entwickelt, das zunächst im Waldviertel zum Einsatz kommen soll. Beim „Crowd-Funding“ investieren Privatpersonen Geld in Unternehmen, damit deren Finanzkraft gestärkt wird und ihnen dadurch bessere Chancen zur weiteren Kapitalbeschaffung bei Banken und anderen Förderstellen eingeräumt werden.
„Die Betriebe vergeben Genussrechte an Anleger, die steuerrechtlich als Fremdkapital, unternehmensrechtlich hingegen als Eigenkapital behandelt werden können“, erklärt Werner Groiß, Obmann der Bezirksstelle Horn in der NÖ Wirtschaftskammer und Sprecher des Wirtschaftsbunds Waldviertel, das Prinzip. Private Investoren können sich auf einer eigens eingerichteten „Public-Placement-Plattform“ über Betriebe mit Kapitalbedarf, ihre Geschäftstätigkeit und Projektziele informieren. In Zeiten wie diesen sind für Investoren Direktinvestments– noch dazu in der eigenen Region– wohl am sinnvollsten.
Günstige Immobilienpreise in kleineren Städten
Was natürlich ebenfalls für kleinere Städte spricht, sind die Immobilienpreise, wie der Vergleich Wien und St. Pölten zeigt. So kostet eine 80-Quadratmeter-Mietwohnung in Wien jährlich etwa 13.500 Euro, während eine vergleichbare Wohnung in St. Pölten bereits um ca. 9.400 Euro zu haben ist. Damit erspart man sich mehr als 4.000 Euro pro Jahr bei den Wohnkosten! Das gleiche Bild ergibt sich bei den Eigentumspreisen: Eine gleichfalls 80 Quadratmeter große Eigentumswohnung kostet in Wien durchschnittlich 290.000 Euro. In St. Pölten gibt es eine solche bereits um rund 140.000 Euro, was einer Ersparnis von fast 150.000 Euro bei der Schaffung von Immobilieneigentum entspricht. Mittlerweile beträgt die Entfernung zwischen den beiden Städten mit dem Zug nur noch 25 Minuten.
Eine alte Tradition wird belebt
Ein wesentlicher Faktor in den Städten ist auch die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung. In einer Studie der Hafencity Universität Hamburg und der Universität Regensburg in Deutschland wurde festgestellt, dass die Menschen in dem Supermarkt einkaufen, der am nächsten liegt. Diese Erkenntnis ist insofern interessant, da für die Bewohner mittlerweile die Erreichbarkeit das wesentliche Kriterium ist. Früher haben in den Städten die Märkte diese Funktion übernommen, doch sind sie leider mittlerweile etwas aus der Mode gekommen. Wenn man aber zum Beispiel im niederösterreichischen Gars am Kamp den Wochenendmarkt betrachtet, dann zeigt sich, dass dort nicht nur regionale Produkte angeboten werden, sondern dass er als wöchentlicher Treffpunkt auch einen ganz wichtigen Stellenwert für die Gemeinschaft hat. Mit einer Initiative in Niederösterreich versucht man nun diese alte Tradition der Märkte wiederzubeleben. Als regionale Nahversorger mit Lebensmitteln veranstalten immer mehr Gemeinden Wochenmärkte, die auch vom Publikum gern angenommen werden. Märkte bieten Individualität, was ebenfalls eines der tragenden Merkmale für Städte, Gemeinden und Regionen in den kommenden Jahren sein wird.
Die Individualität geht verloren
Die Wiener Wirtschaftskammerpräsidentin Brigitte Jank beklagte einmal in einem Interview die Uniformität der Innenstädte: „Wenn man die Hot Spots vergleicht, so bewegen wir uns in Richtung Vergleichbarkeit, und die Fachgeschäfte verschwinden. Eine Stadt sollte individuell gestaltet werden.“ Die Individualität ist einer der wesentlichen Aspekte, die eine Stadt letztendlich ausmachen, und in Österreich sind wir noch weit entfernt von der Uniformität der Städte in anderen Ländern. Die Individualität macht die Stadt erst interessant, und das Besondere an den heimischen Städten ist, dass sie allesamt gewachsene Städte mit eigener Charakteristik sind. Während in anderen Ländern der Welt die Städte auf dem Reißbrett entworfen werden– oder Städte wie Hallstatt gleich nachgebaut werden–, bietet Österreich gewachsene und individuelle städtische und damit auch gesellschaftliche Strukturen. Und damit auch stabile Strukturen– ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren einer Stadt.