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Vier Profis, vier Meinungen. Bitzer, Lindner, Richter, Wild. Einzelhandel 2018

Viele Themen prägen den Einzelhandel nicht nur 2018, sondern auch in den kommenden Jahren. Vier Spezialisten (Jörg Bitzer, Hannes Lindner, Wolfgang Richter, Marcus Wild) nehmen aus verschiedenen Blickwinkeln Stellung zu den Herausforderungen in der nächsten Zeit.

Jörg Bitzer, Leiter des Bereichs Einzelhandelsimmobilien bei EHL Immobilien

Die strukturellen Änderungen, die in den kommenden Jahren auf Einkaufszentren und Einkaufsstraßen zukommen, werden noch tiefgreifender sein, als sich in den vergangenen Jahren bereits abzeichnete. Anbieter von Einzelhandelsflächen müssen in den nächsten zehn Jahren mit so vielen Mieterwechseln rechnen wie selten zuvor. Einerseits werden insbesondere in Mitteleuropa zahlreiche traditionelle Großmieter aus den Bereichen Textil, Schuhe, Elektronik oder auch Banken Flächen reduzieren, andererseits drängt eine Vielzahl von neuen, oftmals allerdings auch kleineren Konzepten auf den Markt, die für gut gemanagte Standorte eine enorme Chance darstellen. Es wird also längerfristig weniger Flächennachfrage geben, und wir werden ganz andere Shops und Dienstleister sehen als heute.

Brot und Spiele

Die vielleicht wichtigste Änderung ist ein starker Anstieg gastronomischer Angebote, auf die ein deutlich höherer Anteil am Gesamtumsatz von Einkaufszentren entfallen wird. Besonders in der System- und Erlebnisgastronomie im mittleren Preisbereich gibt es eine Welle spannender Newcomer: Hier wird es eine große Vielfalt gastronomisch, preislich und regional differenzierter Konzepte geben. Das entspricht dem Wunsch nach Abwechslung und Erlebnis viel besser als das Leistungsspektrum einiger weniger marktbeherrschender globaler Multis.

Die zweite große Veränderung ist ebenfalls dem Trend zum erlebnisorientierten Einkauf geschuldet: die starke Ausweitung von Entertainment-Angeboten. Virtual-Reality-Erlebnisse in 3D-Shows, Gaming-Areas, aufwendige Kindererlebnisbereiche oder auch bis zu mehreren Tausend Quadratmeter große Sportbereiche – etwa Trampolinparks – sind nur einige der neuen Entertainment-Möglichkeiten. Die Vielzahl der Show- und Mitmachangebote wird dazu führen, dass die Verweildauer im Einkaufszentrum der Zukunft deutlich zunehmen wird.

Online & offline

Auch der weiter an Bedeutung gewinnende Onlinehandel ist kein Grund zum Pessimismus für den filialgebundenen Einzelhandel: Der große Trend heißt Synergie statt Konkurrenz. Kunden bestellen online und holen Waren in der Filiale ab, was insbesondere im Bereich Fashion zu deutlich weniger Retouren führt und zu zusätzlichen Impulskäufen in der Filiale animiert. Umgekehrt dienen die Filialen als begehbare Schaufenster, tatsächlich gekauft wird dann abends via Computer, was insbesondere bei unhandlichen und schweren Produkten den Einkauf deutlich bequemer macht.

 

Hannes Lindner, geschäftsführender Gesellschafter bei Standort + Markt:

Sättigung – an allen Fronten

… sowohl im Handel als auch beim Konsumenten. Verkaufsfläche als Dogma für Vielfalt und Attraktivität hat ausgedient, dieser Wettlauf neigt sich dem Ende zu; das „Next Level“ heißt Faszination auf der Fläche. Der Hintergrund ist banal: Das Internet hat die einst monopolistische Stellung des stationären Handels im Bereich der Angebots- und Preisbildung an die Wand gespielt. Was in den nächsten zehn Jahren geschieht, ist ein einmaliger Positionierungswettlauf, der wahrscheinlich nur jene überleben lässt, deren DNA einige wenige nicht so rasch ersetzbare Merkmale erkennen lässt: Auf der einen Seite werden dies Diskonter (egal, welches Qualitäts- und Preis-Genre!) sein, auf der anderen Seite jene mit Emotion (und vielleicht auch Produktqualität) geladenen Marken im höheren Preissegment, die in der Lage sind, sich durch eine extrem stringente Distributionspolitik aus den Fängen der Preisvergleichbarkeit und des Diskont-Dilemmas zu befreien. Wer nicht selektiv distribuiert, wird auf den virtuellen, aber auch realen Marktplätzen verramscht. In diesem Zusammenhang ist auch das sehr starke Wachstum von Factory-Outlet-Centern in Europa entsprechend einzuordnen. Beratungsqualität als Entscheidungskriterium für die Wahl des Shops? Wir werden sehen, ob diese Sozialromantik künftig noch eine Rolle spielen wird.

Maschinen ersetzen Menschen

Während im Markensegment die Distributionspolitik wahrscheinlich kriegsentscheidend sein wird, dürfte die Schlacht im Diskontbereich im Bereich der Absatzmengen, der Organisation der Lieferstrukturen, der Kosteneffizienz der Logistik und des Technologieeinsatzes am Point of Sale geschlagen werden; der Grundtenor lautet hier: Maschinen ersetzen Menschen – und: Konsumenten ersetzen mit Maschineneinsatz Personal (z. B. durch Selfscanning). Weiters sind deutliche Tendenzen zu erkennen, dass Shops (aufgrund der Personalkosten und Ladenöffnungszeiten) nicht zwangsläufig mit Menschen besetzt werden müssen – so mancher Shop könnte zum Automaten mutieren.

E-Commerce radiert wesentliche Kostenblöcke weg

Der E-Commerce ist im Handel derzeit gleichsam Katalysator wie auch neuer, faktischer Marktteilnehmer. Wie stark der E-Commerce am Ende des Tages in die Bindung der Konsumausgaben eingreift und Platz einnimmt, hängt wohl stark von den Kostenstruktur-Unterschieden zwischen den Welten Online und Offline ab. Eines steht bereits heute fest: Die wesentlichen Kostenblöcke im stationären Handel, nämlich die Personalkosten wie auch die Raumkosten für qualitativ hochwertige Standorte, werden durch den E-Commerce weitestgehend wegradiert. Ist der einzige Kostenvorteil des stationären Handels, dass der Konsument eigenständig das Last-Mile-Problem löst, indem er den Shop aufsucht und die Waren selbst nach Hause bringt? Sollten die wesentlichen Kostenblöcke im E-Commerce (neben dem Wareneinsatz die Kosten für Marketing, EDV & Software, Fulfillment und Versand) günstiger sein als im stationären Handel, könnte es für den stationären Handel doch noch unbequemer werden. Das Retouren-Problem scheint in diesem Zusammenhang jedenfalls kein wirklicher Stolperstein für Online zu sein.

Seitwärtsbewegung statt Expansion

In Bezug auf das Expansionstempo im Handel sind die bedeutendsten Marktteilnehmer zwischenzeitlich deutlich vom Gas gegangen, wir sehen eher ein „Seitwärtstreten“ – sprich Umsiedlungen zur Verbesserung der Standortqualität – als ein zusätzliches Wettrüsten. Ausgenommen sind hier lediglich Betriebe des Kurzfristbedarfssektors in Wachstumsgebieten – also primär in den wenigen mittel- bis großstädtischen Regionen Österreichs. Es wird kritischer denn je die Frage gestellt: Welchen Standort brauche ich, auf welchen Standort kann ich verzichten? Entsprechend wird auch bei Mietvertragsverlängerungen oder Neuabschlüssen hart verhandelt: B- und C-Standorte müssen preislich dabei verstärkt Federn lassen. Bei den Top-Lagen kommt es auf die Leidensfähigkeit des Mieters an – werden die neuen „Unverschämtheiten“ des Eigentümers noch weiter akzeptiert oder nicht? Hier orten wir klare Tendenzen, dass der Bogen mancherorts bereits überspannt ist und Alternativstandorte erstmals in Erwägung gezogen werden. Dies könnte in den kommenden Jahren natürlich weitreichende Auswirkungen auf die Bewertung der Immobilien haben.

 

Wolfgang Richter, CEO Regio Plan:

Wir merken bereits seit vier Jahren eine sanfte Verringerung der Verkaufsflächen – und die wird sich 2018 deutlich beschleunigen. Daraus folgend wird sich der Druck auf die Mieten erhöhen, vor allem in schlechteren Lagen.

Image und Kontakt

2018 wird sich im Einzelhandel die Frage stellen: Wie kann der Flächenertrag wieder gesteigert werden? Oder weiter gefasst: Welche Funktion soll die Fläche im Einzelhandel überhaupt haben? Bloß eine Warenherzeigefunktion wie bisher? Oder eine Imagefunktion für die Marke? Eine Funktion des Kontakts zum Unternehmen? Oder eine Kommunikationsfunktion?

Lebensmittel per Mausklick

2018 wird ein ganz großes Thema sein, in welchem Ausmaß es dem Lebensmittelhandel gelingt, den Onlinekanal zu bedienen. Wenn das gut funktioniert und von den Konsumenten angenommen wird, hat das nicht nur auf den Lebensmittelhandel dramatische Auswirkungen, sondern auch auf alle Shoppingmalls, Fachmarktzentren und innerstädtischen Einkaufszonen, denn hier ist der Lebensmittelhandel der Hauptfrequenzbringer. Und falls dieser weniger Frequenz bringt, müssen sich die Betreiber etwas anderes überlegen, denn die Mietverträge werden sich zu wandeln beginnen: weg von der Umsatzmiete, hin zur Frequenzmiete.

The Last Mile

Ein weiteres großes Thema 2018: Wie kann die „letzte Meile“ bei der Paketzustellung besser und billiger organisiert werden. Aus Logistik- und Kostensicht ist das noch nicht befriedigend gelöst. Und parallel dazu: Was können die Unternehmen, die auch über eine stationäre Fläche verfügen, gegenüber den Pure Playern an Vorteilen für die Kunden bieten (z. B. Pick up, Umtausch in der Filiale), denn momentan sind Amazon, Zalando, Universal, Otto und Co. die unumschränkten Herrscher im Internet.

The Human Touch

Kreativität und Mut wird bei den (stationären) Händlern 2018 jedenfalls gefragt sein. Und die Antwort auf das „technische“ Internet kann nicht eine Technisierung der Filialen sein, sondern ist hauptsächlich der „Human Touch“ – nicht zuletzt durch sehr gut ausgebildete und wertschätzende Verkäufer, mit denen man als Kunde gerne redet.

 

Marcus Wild, CEO SES Spar European Shopping Centers:

Digitalisierung wird noch stärker

Online und Offline vernetzen sich zunehmend. Als analogen Gegentrend sehen wir, dass das bewusste Erleben und das Wohlfühlen im Center genauso im Vordergrund stehen: von der Tauschbörse bis hin zum Do-it-yourself-Bastelkurs als Event in der Mall. In Zukunft wird sich fast alles um Multifunktionalität drehen. Für die Shoppingcenter-Entwicklung heißt das im Klartext: Shoppen allein ist zu wenig. Wir legen noch mehr Fokus auf Erlebnis, Urban Space und Freizeit-Hotspots. Ich denke, dass der Begriff Shoppingcenter nicht mehr stimmt und wir den Menschen in Zukunft urbane Orte bieten werden, die Arbeiten, Shoppen, Wohnen und Leben bestmöglich vereinen! Der Trend zur Mischnutzung wird immer stärker, weil er auch die Besucherfrequenz unterstützt. Die besten Händler suchen die besten Standorte. Besucherfrequenz ist also ein Erfolgsgarant.

Die steuerliche Bevorzugung des Online-Handels gegenüber dem stationären Handel wird 2018 in den Fokus der Staaten rücken. Da rechne ich mit ersten wirklichen Schritten.

Regionaler Treffpunkt

Wir beobachten, dass eine starke lokale Verankerung der Center in ihrem direkten Umfeld immer wichtiger wird. Sowohl innerstädtische Standorte als auch Stadtteillagen punkten, wenn sie Treffpunkte für die Menschen in der Region sind.

Health & Beauty, Wellness, Sport und Ernährung

Menschen suchen nach Balance und einem ausgewogenen Lebensstil. Daher bleiben die großen Trendthemen der Zukunft, wie Health & Beauty, Wellness, Sport und Ernährung, auch 2018 sehr wichtig. Am Point of Sale wollen Kunden Marken mit allen Sinnen erleben. Der stationäre Handel und die Gastronomie profitieren davon am meisten und fordern den Onlinehandel damit auf ihre Weise heraus. Es heißt, spannend und individuell zu bleiben, Neues und Unerwartetes zu bieten: von Events über Pop-up-Stores bis hin zu Kunst und Kultur.

Gastronomie mit Magnetfunktion

Exzellent gemachte Gastronomie hat zunehmend auch eine Magnetfunktion. Ich gehe davon aus, dass sich die Umsätze aus der Gastronomie in Einkaufszentren prozentuell verdoppeln werden – auf bald zwölf Prozent. Zum Teil geschieht dies durch eine Zunahme von Flächen, zum Teil aber auch durch erhebliche Umsatzsteigerungen auf unveränderter Fläche.

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Geschrieben von:

Chefredakteur bei

Immobilien Redaktion
Interview-Partner:
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  • Erschienen am:
    31.01.2018
  • um:
    11:15
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