Sehen Sie derzeit in den A- oder B-Städten die besseren Renditen für Einzelhandelsimmobilien?
Vogel: Bei der Bewertung von Standorten ist für uns die Unterscheidung zwischen A- und B-Städten weniger relevant. Denn der Einzelhandelsimmobilienmarkt ist in Deutschland anders strukturiert als der Büroimmobilienmarkt. Hier gibt es durchaus interessante Standorte im Bereich von mittelgroßen Städten wie Aachen, Karlsruhe oder Münster, die gemessen an den klassischen Wirtschaftskennzahlen wie der Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sowie des BIP, der Arbeitslosenquote, der Einkommens- und Kaufkraftentwicklung sowie der demografischen Perspektive günstigere Aussichten als die eine oder andere Großstadt aufweisen.
Nach welchem System gehen Sie vor?
Vogel: Wir haben ein eigenes Scoring-Modell entwickelt, in welches viele Parameter wie z.B. demografische Entwicklung, Zentralität, Umsatzkennziffern, Beschäftigungskennzahlen etc. eingeflossen sind. Hiermit haben wir die besonders chancenreichen Standorte für Handelsimmobilieninvestments vorselektiert. Deutschland ist dezentral strukturiert, und dementsprechend gibt es gerade im Einzelhandelsbereich zahlreiche interessante Städte, in denen wir sehr gute Investmentchancen sehen. Insbesondere gute Nahversorgungszentren funktionieren auch „in der Fläche“ Deutschlands, denn die Ausgaben im periodischen Bedarf sind pro Kopf nur geringen Schwankungen unterworfen– sprich: fast überall gleich hoch.
Sie haben auf diese Marktgegebenheiten und die Investmentnachfrage mit zwei Fonds reagiert. Wo sehen Sie konkret die besten Investmentchancen?
Vogel: Erstens bei High-Street-Objekten in den wichtigsten innerstädtischen Einkaufsarealen. Hier werden Lagen an den Top-7-Standorten weiterhin gefragt sein. Da aber Renditen hier sehr niedrig und kaum noch klassische Core-Investments verfügbar sind, sollten langfristig orientierte Investoren ihre Strategie ergänzend ausrichten, indem sie sich zusätzlich zu den traditionell im Fokus stehenden Top-7-Standorten auf etablierte 1A-Einzelhandelslagen in Wachstumsstädten sowie regionalen Zentren in Deutschland mit langfristigem Potenzial fokussieren.
Zudem spricht zweitens vieles dafür, zusätzlich zum High-Street-Einzelhandel in etablierte Fachmarktzentren/Nahversorgungscenter zu investieren. Diese ergänzen mit ihren eher günstigen Produkten und kostenlosen Parkplätzen das Einkaufsprofil von High-Street-Lagen, die höherpreisig sind und ein besonderes Shoppingerlebnis versprechen. Nicht zuletzt sind die Rendite-Spreads zwischen Fachmarktzentren und Objekten in High-Street-Lagen aus Rendite-Risiko-Gesichtspunkten sehr attraktiv. Bei der Entwicklung der Spitzenrenditen an den Top-7-Standorten liegen Fachmarktzentren deutlich vor Shopping Centern sowie Geschäftshäusern. Im Übrigen sehen wir auch gute Investmentchancen bei dominanten, großen Shopping Centern. Diese erwerben wir im Club mit mehreren unserer Fonds.
Wo liegen bei Einzelhandelsimmobilien derzeit die größten Herausforderungen?
Vogel: Die Digitalisierung beschleunigt und verändert Prozesse enorm. Mieter sind sehr viel anspruchsvoller, haben zunehmend auch lückenlose Daten, aus denen sie ihre Flächenbedürfnisse und Storekonzepte ableiten können oder schneller anpassen wollen. Ihnen geht es auch um eine höhere Flächeneffizienz. Die Flächen des stationären Handels entwickeln sich immer mehr zu Markenerlebnisräumen. Zeitlich begrenzte Pop-up-Shops, Monomarkenstores, Verkaufsräume, die einem Café sehr nahe kommen, verändern Flächenkonzepte gravierend. Darauf müssen Immobilienbesitzer und -betreiber mit guten Angeboten und Flexibilität reagieren. Denn auch die Einzelhändler reagieren schneller. So hat sich die durchschnittliche Ladenbaulebenszeit deutlich reduziert; während sie früher bei 8–9 Jahren lag, liegt sie heute eher bei 4–5 Jahren.
Was werden Ihrer Meinung nach in der nächsten Zeit die entscheidenden Veränderungen auf dem Markt sein, betreffend die Entwicklung und die Nachfrage von Flächen?
Vogel: Wir werden künftig im Einzelhandel zunehmend weniger zwischen stationärem und Online-Handel unterscheiden. Multichannel wird alle Vertriebskanäle zusammenführen. Dabei wird es darum gehen, dem anspruchsvollen Kunden Erlebnisorte in der realen Welt zu offerieren. Selbst Online-Händler suchen Flagshipstores in attraktiven Innenstadtlagen, um das Markenerlebnis in der realen Welt zu bieten. Die Flächennachfrage wird vor allem neue Anforderungen an die Effizienz stellen. Im Fokus werden Top-Lagen in den Ballungsräumen und attraktiven Mittelstädten stehen.
Ein gutes aktuelles Beispiel für die Verknüpfung von Online- und Offline-Welt ist der neue Decathlon Store in der Königsstraße in Stuttgart. Während man bisher Decathlon ausschließlich auf mehreren tausend Quadratmetern in Fachmarktzentren fand, gibt es neuerdings ein 50 Quadratmeter großes Geschäft in der Stuttgarter Innenstadt, in dem z.B. die im Internet bestellte Ware abgeholt oder bei Nichtgefallen zurückgegeben werden kann; und kleinere Artikel sollen dabei gleich noch mitgekauft werden.
Was war für Sie in der jüngsten Vergangenheit die auffälligste Entwicklung im großflächigen Einzelhandel?
Vogel: Der Lebensmittler als Ankermieter hat an Bedeutung zugenommen. Und dieser Trend wird anhalten. Daher ist es so wichtig, diesen Mieter mit seinen Bedürfnissen sehr gut zu verstehen.
Gibt es eine Entwicklung, die Sie so nicht erwartet hätten?
Vogel: Der so nicht vorhersehbare starke Flüchtlingszuzug im vergangenen Jahr verstärkt die Binnennachfrage noch einmal deutlich. Laut einer aktuellen IWF-Studie kann Deutschland allein 2017 aus dieser Entwicklung 0,3% mehr Wirtschaftswachstum erreichen–ein Aspekt, der in der Diskussion um die Entwicklung der Einzelhandelsimmobilien bislang eher unterschätzt wird. Denn von diesem Wachstum wird vor allem der Einzelhandel profitieren. Hier kommen hunderttausende neue Konsumenten, die Güter des täglichen Bedarfs, Kleidung und technische Konsumgüter nachfragen werden. Die Argumente für Einzelhandelsimmobilien werden hierdurch noch einmal gestärkt.